Warum die Caritas-Lerncafés gegen Armut helfen können

Bildungsaufstieg sind in Österreich immer noch eine Seltenheit. Die Lerncafés der Caritas unterstützen Kinder bei diesem Ziel und helfen ihnen den Schulalltag zu meistern.
“Hi, hei, hau”. Ein leises Gemurmel, konzentrierte Spannung liegt in der Luft. Zwei Kinder und eine Frau sitzen um einen Tisch. Eine warme Stimme spricht ein Lob aus. „Super gemacht, Riham“, sagt sie. Die Stimme gehört zu Rebecca Gebreheneras. Sie ist hauptamtliche Koordinatorin des Caritas Lerncafés am Standort Feldkirch. Gerade übt sie mit der achtjährigen Riham lesen. Das Mädchen kommt aus Syrien. Vier Jahre lebt sie nun bereits in Österreich. Sie geht in die erste Klasse. Zum zweiten Mal. Das erste Jahr war zu schwierig für sie. „Deshalb bin ich schon älter als die anderen Kinder“, lacht sie. Ihre Eltern sprechen nur sehr schlecht deutsch. Schlechter als sie selbst.

Neben ihr sitzt die kleine Maria. Sie ist sieben Jahre alt und vor einem Jahr vor dem Krieg aus der Ukraine geflohen. Auch, wenn sie erst kürzer in Deutschland ist und in die zweite Klasse geht, das Lesen auf deutsch fällt ihr schon leichter. In einer wahnsinnigen Geschwindigkeit liest sie die Silben vor, die auf dem Arbeitsblatt stehen, das Gebreheneras in der Hand hält. Gebreheneras erklärt, dass für Riham das Lesen in ganzen Wörten oder gar Sätzen noch zu kompliziert ist. Deshalb übt sie mir ihr silbenweise. „Wenn sie dann alle Silben flüssig lesen kann, kann sie auch die Wörter und schließlich ganze Sätze lesen.“
Eins-zu-Eins-Betreuung ist hier möglich

Den Hinweis, dass Riham sich mit dem Lesen schwer tut, hat sie nicht von der Schule bekommen. „Wir merken das, wenn die Kinder hier zu uns kommen und ihre Hausaufgaben machen.“ Wenn ein Kind Schwierigkeiten hat, die Schularbeiten zu erledigen, suchen die Betreuerinnen vor Ort adäquate Hilfen. Das kann beispielsweise ein Rechenschieber sein, für Kinder, die sich mit den Zehnerüberschreitungen schwer tun. Oder eben ein Silbenblatt, wie es Riham nun hilft. Auch wenn es ein bisschen nach Schule klingt, die Lerncafés sind ganz anders als der klassische Unterricht, den die Kinder vormittags erhalten. „Wir haben Zeit für Eins-zu-Eins-Betreuungen“, erklärt Gebreheneras. Insbesondere deshalb machen die Kinder hier schneller Fortschritte als in der Schule.
Hohe Nachfrage in Vorarlberg
Die Lerncafés in Vorarlberg haben eine lange Warteliste, berichtet Bea Bröll. Sie leitet alle Lerncafés im Land. Damit der Schlüssel von maximal drei Kindern pro Betreuer eingehalten werden kann, müssen die Hauptamtlichen zu Beginn des Schuljahres selektieren. „Das passiert anhand der Schulnoten. Wer am meisten Hilfe benötigt, steht auf den Listenplätzen weiter oben“, erklärt sie und ärgert sich gleichzeitig, nicht mehr Plätze anbieten zu können. Derzeit besuchen rund 480 Kinder pro Woche an mittlerweile 15 Standorten das Caritas-Angebot. Zwei weitere Standorte sind in Planung. „Dann sind wir über das ganze Land hinweg gut verteilt“, so Bröll. Probleme Freiwillige zu finden, haben sie bislang nicht. „Aber klar ist natürlich, mehr können wir immer gebrauchen“, lacht sie.

Nur möglich dank Ehrenamtlern
Auch ein kleiner Junge, etwa 7 Jahre alt, tut sich schwer mit dem Lesen und Schreiben. Er muss Hausaufgaben erledigen, die in einem Arbeitsheft stehen. Unterstützung bekommt er dabei von Lydia. Sie ist Rentnerin, weil sie einen Schlaganfall hatte. Früher hat sie als Pädagogin gearbeitet. Nun hilft sie als Freiwillige den Kindern im Caritas Lerncafé in Feldkirch. Trotz Unterstützung ist das Bearbeiten der Heftseiten für den Jungen in dem Moment zu anstrengend. Seine Konzentration ist schlicht am Ende, zumal die Kinder neben ihm mit ihren Aufgaben bereits fertig sind und ihr Lieblingsbuch lesen dürfen. „Darf ich eine Pause machen?“, fragt er Lydia. Sofort die Situation erkennend, bejaht sie seine Frage. „Leg dich fünf Minuten auf das Kissen und entspanne dich“, antwortet sie ihm mit einem verständnisvollen Blick, der ihre warme Stimme unterstützt. Lydia ist seit drei Jahren im Lerncafé tätig. Sie freut sich, dass sie den Kindern helfen und ihnen eine Anlaufstelle für Probleme bieten kann.

Den Bildungsaufstieg schaffen
Was die kontinuierliche Hilfe in den Lerncafés bringen kann, zeigt das Beispiel der 10-jährigen Souzedr. Sie kommt seit zwei Jahren jede Woche zum Jahnplatz. Zu Beginn hatte sie Vierer und Fünfer in der Schule, erzählt sie. „Jetzt habe ich nur noch Einser und Zweier“, strahlt das Mädchen. Am Anfang habe sie kaum richtig deutsch sprechen können. Nun ist deutsch sogar ihr Lieblingsfach in der Schule – und wer nicht weiß, dass deutsch für sie eine Fremdsprache ist, wird es ihrem Sprechen nicht anmerken. Keine Grammatikfehler, ein großer Wortschatz – beeindruckend, was diese Kinder leisten. Souzedrs Ziel ist klar: Sie möchte weiter kommen und einmal Matura machen.
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Die 10-Jährige ist ein klassisches Beispiel für ein Kind, das einen Bildungsaufstieg schaffen könnte. In Österreich gelingt das nur wenigen Kindern. Eine Erhebung von Statistics Austria zeigt, dass Teilhabechancen vererbt werden können. So spricht man beispielsweise von vererbter Armut, wenn die Eltern bereits arm waren und die Kinder es auch sind. Die Studie verdeutlicht einen der möglichen Gründe: Haben die Eltern höchstens eine Pflichtschulausbildung, erreichen die Kinder zu 26 % selbst ebenfalls nur einen Pflichtschulabschluss. Lediglich 8 % absolvieren ein Studium. Zudem kommt der Großteil, 76 %, der AHS-Schüler in Österreich aus Familien mit einem hohen Einkommen. Leidglich gut ein Viertel, 27 %, stammen aus Haushalten mit niedrigem Einkommen.
Um dem entgegenzuwirken und vor allem Kindern aus ärmeren Haushalten den gleichen Zugang zu Bildung zu ermöglichen, sind die Lerncafés kostenlos und von Land, Caritas und privaten Geldgebern finanziert. Die Städte stellen die Räumlichkeiten zur Verfügung. Kinder, deren Eltern keine Sozialhilfen erhalten, dürfen nicht in die Einrichtungen kommen. „Der Ansturm ist sowieso groß. Kinder aus finanziell stärkeren Familien, müssen dann auf kommerzielle Angebot zurückgreifen, damit Chancengleichheit besteht“, erklärt Bröll.
Begleitung bis zum Abschluss

Auch wenn Souzedr nun gute Noten hat und der Andrang groß ist, aus dem Lerncafé geworfen, wird sie nicht. „Wir möchten die Kinder auch weiter unterstützen und ihnen helfen, einen guten Schulabschluss zu erlangen. Solange sie Hilfe brauchen, bekommen sie sie“, meint Gebreheneras. In diesem Jahr habe ein Kind beispielsweise entschieden, dass es keine weitere Hilfe brauche und den Weg in Richtung Schulabschluss nun alleine meistern kann. „Das macht uns natürlich stolz“, so Bröll. Auch jedes Kind, das es auf eine höhe Schule schafft, wird gefeiert.
Die Kinder schätzen das Angebot. Sie alle kommen gerne und finden gar nicht, dass es ist, wie in der Schule. Sie dürfen spielen, gemeinsam basteln und treffen ihre Freunde. Maria und Riham finden das toll. „Am besten gefällt es mir, Briefe an den Nikolaus zu schreiben“, strahlt Maria, „da kann man seine Wünsche drauf schreiben.“ Was sie sich wünscht, wollte sie nicht verraten. Aber lange darauf warten, den Wunschzettel zu schreiben, muss sie nun ja nicht mehr.