Besser leben

„Nora ist vollständig integriert“

30.04.2023 • 22:30 Uhr / 8 Minuten Lesezeit
Nora Schweigkofler hat das Downsyndrom und geht in eine Inklusionsklasse.  <span class="copyright">(C) PHILIPP STEURER</span>
Nora Schweigkofler hat das Downsyndrom und geht in eine Inklusionsklasse. (C) PHILIPP STEURER

Am 5. Mai ist der Europäische Tag der Inklusion. Wie Inklusion in der Schule gelingen kann, zeigt das Beispiel der achtjährigen Nora Schweigkofler aus Feldkirch, die das Downsyndrom hat.

Im Klassenzimmer der Volksschulklasse 123B der Praxisschule der Pädagogischen Hochschule (PH) Vorarlberg in Feldkirch: Im ganzen Raum verteilt stehen mehrere gelbe, ovale Tische, an einem davon ist die achtjährige Nora Schweigkofler beschäftigt.

Mit kleinen, quadratischen Kärtchen bildet sie das Wort „Hase“. Neben der Zweitklässlerin sitzen einerseits ihre Freundin Mona, eine Drittklässlerin, und andererseits der Erstklässler Theodor. Die 123B ist – wie der Name es schon ausdrückt – eine Klasse, in der die erste, zweite und dritte Schulstufe klassenübergreifend unterrichtet werden. Zudem ist sie eine Integrationsklasse, denn Nora hat das Downsyndrom.

Wenn bei einem Kind ein sonderpädagogischer Förderbedarf besteht, hat es einen Rechtsanspruch auf eine integrative Klasse. Die meisten Kinder mit Downsyndrom in Vorarlberg besuchen Regelvolksschulen, ab der Mittelschule kann es aber sein, dass sie auf Sonderschulen wechseln. Bei Nora war sogleich klar, dass sie in einer Regelschule einschulen wird, sie war auch in einem Regelkindergarten und absolvierte kein zusätzliches Kindergartenjahr. Wo genau sie die Schulbank drücken würde, mussten sich ihre Eltern Gernot Schweigkofler und Margarete Laschalt-Schweigkofler aber überlegen. Für Kinder mit Behinderung ist es nämlich kein Problem, den Sprengel zu wechseln. Obwohl die Praxisschule nur fünf Gehminuten vom Wohnort der Familie entfernt ist, schauten sich die Eltern andere Bildungsstätten an, denn: Die Klasse, in die Nora einschulen sollte, ist eine Ganztagesklasse. „Wir wussten nicht, ob das nicht zu viel für sie wäre. Doch nachdem andere Eltern von Kindern mit Downsyndrom erzählten, dass sie in solchen Klassen gut integriert sind, entschieden wir uns dafür“, sagt Gernot Schweigkofler.

Die Achtjährige mit ihrem Vater Gernot Schweigkofler auf dem Pausenhof. <span class="copyright"> (c) PHILIPP STEURER</span>
Die Achtjährige mit ihrem Vater Gernot Schweigkofler auf dem Pausenhof. (c) PHILIPP STEURER

Großer Vorteil

Gerade die Ganztagesklasse sollte sich schließlich als großer Vorteil erweisen: Da der Vater in einer 80-Prozent-Stelle als Communications Manager und die Mutter als Geschäftsführerin einer Sozialeinrichtung mit 160 Mitarbeitenden arbeitet, ist es sehr viel einfacher für sie, dass ihre Achtjährige nach der Schule nicht in eine andere Betreuung wechseln muss.

In der Praxisschule hat mittlerweile die Pause begonnen, die Kinder tummeln sich auf dem Schulhof. Nachdem Nora ihre Jause gegessen und mit ihrem Vater geknuddelt hat, der heute anlässlich des Interviews hier ist, spielt sie mit zwei Freundinnen fangen. Gernot Schweigkofler erzählt: „Wir haben das Gefühl, dass Nora gut integriert ist. Die Kinder nehmen gar nicht so wahr, dass sie anders ist. Als letzthin zum Beispiel über das Thema Behinderung gesprochen wurde, sagte ein Mitschüler: ‚Nora hat das aber nicht.‘“

Die Zweitklässlerin selbst antwortet auf die Frage, wie es ihr an der Schule gefällt, mit einem „Gut“ und einem herzigen Lächeln. Sehr vieles sei toll hier, das Beste aber sei Katherine. Katherine Propiak ist ihre persönliche Assistenz, die sie und einen weiteren Jungen der Klasse begleitet, sei es im Unterricht, in der Pause oder in der Freizeit. „Als Nora im vergangenen Jahr eingeschult wurde, haben wir bald zusammengefunden. Sie ist so ein liebes Mädchen“, schwärmt die Betreuerin.

Keine Sitzordnung

Die 123B ist nicht nur eine Integrations- und eine schulstufenübergreifende Klasse, hier gibt es auch keine fixe Sitzordnung und in Reihen aufgestellte, rechteckige Schultische, sondern die eingangs erwähnten ovalen Tische, die quer verteilt im Klassenzimmer stehen. Nach der Pause steuert Nora ihren Platz an, auf dem sie zuvor schon gesessen ist. Während die Erst- und Zweitklässler damit weitermachen, worüber sie vor der Pause gebüffelt haben, holen sich die Drittklässler neuen Stoff für heute. Anhand eines Wochenplanes, der an der Wand hängt, wissen sie, was zu tun ist.

Die 123B mit ihren 21 Kindern wird von den Pädagoginnen Katrin Felder und Corina Kühne unterrichtet. Zusätzlich ist die bereits erwähnte persönliche Assistenz in der Klasse; an drei Tagen ist das Katherine Propiak, an den anderen beiden Tagen Necla Sönmez. In den beiden anderen schulstufenübergreifenden Volksschulklassen der Praxisschule arbeitet meistens nur eine Lehrerin. Eigentlich wären dort eine Pädagogin und eine 50-prozentige Teamteacherin vorgesehen, doch der Lehrermangel hat diesem Konzept einen Strich durch die Rechnung gemacht. Noras Klasse hat nur deshalb zwei Lehrerinnen, weil es eine Integrationsklasse ist.

Während Nora Handschreiben übt, erledigt ihre Freundin Mona, die Drittklässlerin, Matheaufgaben. Manchmal beugt die Ältere sich zu dem rothaarigen Mädchen mit dem grauen Käppi hinüber und hilft ihm.

Voneinander lernen

Das ist generell eines der Prinzipien von schulstufenübergreifendem Unterricht: Das Kind, das in einem Gebiet stärker ist, kann andere unterstützen. Zudem lernen die Schülerinnen und Schüler auch sonst voneinander, unabhängig vom Alter. Das sei speziell im Sachunterricht zu bemerken, erklärt Lehrerin Katrin Felder: „Da kann es durchaus vorkommen, dass ein Erstklässler etwas erzählt, das alle anderen noch nicht wissen.“

Im Sachunterricht und auch in Englisch läuft der Unterricht von und für Nora mit den anderen mit. In Deutsch und Mathematik werden bei ihr und dem anderen Integrationsschüler verstärkt Materialien aus der Montessori-Pädagogik eingesetzt. Beide profitieren in diesen Fächern zudem davon, dass in der Klasse auch Erstklässler unterrichtet werden. Bei der Grundeinführung der Buchstaben haben die zwei Kinder heuer zum Beispiel erneut teilgenommen, sich am Buchstabenweg geübt und Buchstaben aus Knete sowie Sand „be-greifen“ können, wie Pädagogin Katrin Felder es ausdrückt. Ihre Kollegin Corina Kühne ergänzt: „Das schulstufenübergreifende System ist optimal, weil es generell jedes Kind dort abholt, wo es steht. Im Fall von Nora kommt hinzu: In einstufig geführten Klassen wird den Kindern, wenn sie älter werden, der Unterschied sehr bewusst, und sie merken, dass ein Kind mit Behinderung nicht mehr so gut mithalten kann. Dadurch, dass in unserer dreistufigen Klasse sowieso jedes Kind einen anderen Lernstand hat und es immer jemanden gibt, der länger für etwas braucht, ist das normal.“

Keine Bemutterung

Gleichzeitig, so berichtet Katrin Felder, werde das achtjährige Mädchen nicht bemuttert, und es gebe Bereiche, in denen es den anderen Schülerinnen und Schülern helfe, beim Aufräumen zum Beispiel. „Nora muss auch dieselben Regeln wie die anderen beachten, und es kann durchaus sein, dass wir einmal strenger mit ihr sind“, erzählt die Lehrerin und schließt mit den Worten: „Nora ist hier vollständig integriert.“

Die Eltern jedenfalls sind „glücklich, dass es so gut klappt“, sagt der Vater. „Uns gefällt es hier an der Praxisschule sehr gut.“

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