Wie Neonazis Putins Propaganda befeuern

Was ist dran an der Denazifizierung der Ukraine?
Unter dem Vorwand der Denazifizierung führen Wladimir Putins Truppen nun schon seit mehr als drei Wochen einen offenen Angriffskrieg in der Ukraine. Man müsse die “drogensüchtigen Nazis” im Kiewer Regierungsviertel stürzen, so das Narrativ im Kreml. Der ukrainischen Regierung und ihrem jüdischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj kann man keine Nähe zu nationalsozialistischen Ideen unterstellen, doch für ihre Soldaten gilt das nicht immer. Weil dieser Krieg auch im Internet geführt wird – vor allem auf Sozialen Medien und einschlägigen Internetportalen –, tauchten bislang zahllose Bilder und Videos auf, auf denen sich ukrainische Soldaten mit Symbolen schmücken, die an ihrer Gesinnung keinen Zweifel lassen.


Die meisten Neonazis finden sich wohl im Umfeld des sogenannten Asow-Regiments, einer paramilitärischen Freiwilligenformation, das mit der russischen Annexion der Krim im Jahr 2014 bekannt geworden ist. “Diese Leute sind nur lose in die offiziellen ukrainischen Streitkräfte integriert. Ihre Zahl wird auf etwa 2500 kämpfende Mitglieder geschätzt”, erklärt Oberst Markus Reisner von der Theresianischen Militärakademie. Sie selber geben höhere Mitgliederzahlen an, eine Überprüfung ist derzeit unmöglich. “Man dürfte seit Kriegsbeginn Zulauf erhalten, aber auch Opfer zu beklagen haben”, ergänzt Reisner. Bei Wahlen in der jüngeren Vergangenheit habe man aber beobachten können, dass sie innerhalb der ukrainischen Gesellschaft eher eine Randerscheinung seien.
Bedingungslos national
Die Asow-Truppen spielen vor allem in dem von Russland unterstützen und seit Jahren schwelenden Konflikt in der Ostukraine immer wieder eine tragende Rolle. Sie wollten etwa bei einer der ersten Schlachten mit den russischen Separatisten bei Debalzewe verhindern, dass sich reguläre ukrainische Truppen zurückziehen konnten, als diese Gefahr liefen, von pro-russischen Kräften eingekesselt zu werden. “Diese Leute kämpfen besonders verbissen“, sagt Reisner. Auch, weil sie wissen, was sie erwartet, wenn der Feind ihrer habhaft wird. Sie verhalten sich gnadenlos und können daher auch keine Gnade erwarten.

Das Regiment unterstreicht seinen bedingungslosen Nationalismus, wo immer es möglich ist. Umso absurder ist die Tatsache, dass sie mit ihrer offenen Sympathie für den Nationalsozialismus die russische Propaganda maßgeblich befeuern. “In russischen Medien werden Bilder ihrer Symbole und Devotionalien rauf und runter gespielt”, weiß Reisner. Sie machen es dem Kreml denkbar einfach, den Spin von einer nazifizierten ukrainischen Gesellschaft zu verbreiten.
Trotzdem sind die Asow-Soldaten kein unwesentlicher Faktor für die ukrainischen Streitkräfte – obwohl ihre Zahl vergleichsweise gering ist. Sie kämpfen seit vielen Jahren im Osten des Landes, kennen die Umgebung und den Feind gut. Kapitulation ist für sie keine Option. Bei der Belagerung von Mariupol kämpfen viele Asow-Soldaten. Die russischen Besatzer achten daher besonders darauf, wer über die Flüchtlingskorridore das Gebiet verlässt und die Menschen werden auch auf in der Neonazi-Szene einschlägige Tätowierungen untersucht.

Wie ist es möglich, dass die Neonazis in der Ukraine seit Jahren offen Mitglieder werben und ausbilden können – und sogar Trainingscamps für Jugendliche abhalten dürfen? “Ich denke, die ukrainische Gesellschaft ist viel fragmentierter als wir denken”, erklärt Reisner. Sie verfügen vor allem im Osten des Landes über Einfluss, wurden schon von unterschiedlichen Stellen finanziert – von Oligarchen bis hin zu den USA. Sie haben sich zudem im Zuge der orangen Revolution auch Sympathien in der Bevölkerung erworben. Einschränkungen der Regierung lassen sie sich schlichtweg nicht gefallen. Und in der aktuellen, äußerst bedrohlichen Situation ist man auch auf sie angewiesen.
Auch für die Zeit nach dem Krieg könnte sich das Problem mit dem Asow-Regiment auswachsen, fürchtet Reisner. Denn ihr Einsatz im Krieg dürfte auch zu Legendenbildung führen und ihnen weitere Sympathien bringen. Ein Umstand, der der Ukraine auf einem möglichen Weg nach Europa nicht hilfreich sein werde.
