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Wie Putin seinen Überfall als “heiligen Krieg” inszeniert

20.05.2023 • 14:41 Uhr / 4 Minuten Lesezeit
Wie Putin seinen Überfall als "heiligen Krieg" inszeniert
imago/zuma wire

Putin nützt das Heiligenbild der Dreifaltigkeitsikone, um seinen Überfall auf die Ukraine als “heiligen Krieg” zu inszenieren.

Wer Russlands größte Kathedrale besuchen will, wird dieser Tage durchleuchtet, wie am Flughafen. Ganzkörperscanner und Absperrgitter säumen die Christ-Erlöser-Kathedrale mit ihren goldenen Kuppeln unweit des Kremls. Aus gutem Grund: Schon bald werden tausende russisch-orthodoxe Gläubige aus allen Ecken des Landes hierher pilgern, um ein Kunstwerk zu bewundern, das schon lange keine Kirche mehr von innen gesehen hat: die Ikone der Heiligen Dreifaltigkeit.

Eine Ikone für Zaren und Machthaber

Geschaffen von Andrei Rubljow im 15. Jahrhundert, gehört das Heiligenbild zu den bekanntesten Meisterwerken der Ikonenkunst. Über Jahrhunderte wurden Ikonen wie diese immer wieder von Machthabern für politische Zwecke missbraucht, mussten Segen spenden für die Feldzüge von Fürsten und Zaren. Das ist auch heute wieder so: Präsident Wladimir Putin hat überraschend angeordnet, die Dreifaltigkeitsikone aus ihrem temperaturgeregelten Ausstellungsraum in der Moskauer Tretjakow-Galerie zu holen und an die russisch-orthodoxe Kirche zu übergeben. Der Mittelalterhistoriker Oleg Wosbokojnikow sieht in Putins Schritt eine “Geste der Dankbarkeit an die Kirchenführung”. Es sei eine Demonstration der Einigkeit von Staat und Kirche “in einem Land, in dessen Kirchen für den Sieg, und nicht für den Frieden gebetet wird”.

Für die Kirche ist es zweifellos ein Erfolg. “Auf vielfachen Wunsch der Gläubigen” sei die “wunderwirkende Ikone” an die Kirche retourniert worden, erklärt das Moskauer Patriarchat. Kirchenoberhaupt Kirill schreibt in einem Dankesbrief an Putin von einem “zutiefst symbolischen Schritt” in einer “schicksalhaften Periode der Existenz des russischen Staats”. Damit meint Kirill offenbar den Krieg, den er und die Kirche nach Kräften unterstützen. Unvergessen die Predigt des Patriarchs, in der er den russischen Soldaten versprach, dass ein Tod in der Ukraine sie von “allen Sünden reinwäscht”.

Kunstexperten warnen

Kunstkenner hingegen warnen vor der Verlegung des fragilen Gemäldes. Die Ikone könnte “innerhalb von mehreren Monaten oder einem Jahr buchstäblich sterben”, wenn sie den Temperatur- und Feuchtigkeitsschwankungen einer Kirche mit Besuchern, Wachs und Kerzen ausgesetzt sei, sagt die Kunsthistorikerin Sofija Bagdasarowa. Schon nachdem die Ikone vergangenen Sommer drei Wochen lang in einem Kloster außerhalb von Moskau ausgestellt worden war, stellten Restauratoren 61 “signifikante Veränderungen” fest – Schäden, die durch Transport und unsachgemäße Lagerung entstanden waren.

Wladimir Putin dürfte das wenig kümmern. Während seine “Spezialoperation” offenbar nicht nach Plan läuft und die militärischen Erfolge ausbleiben, setzt er auf Unterstützung von oben. Die Dreifaltigkeitsikone ist nur ein Beispiel, wie er religiöse Symbole zur Inszenierung eines “heiligen Krieges” missbraucht. Im März überreichte Putin bei einem Frontbesuch eine andere Ikone (genauer gesagt, eine Kopie davon) an einen seiner Generäle. Laut der staatlichen Zeitung Iswestija wird das Heiligenbild seitdem von Bataillon zu Bataillon gereicht. “Die Ikone gibt uns Kraft und Erfolg”, zitiert die Zeitung einen Soldaten eines Panzerbataillons. Ob die von Putin gestiftete Ikonenkopie im Schützengraben tatsächlich unterstützend wirkt, lässt sich nicht überprüfen.

Das ist auch der Haken an der Geschichte mit der berühmten Dreifaltigkeitsikone: Entgegen der Behauptung von Kirchenvertretern ist nirgendwo verbrämt, dass sie jemals ein Wunder bewirkt hätte.

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