Kultur

Totenschädel und Titos Hund

04.06.2020 • 20:25 Uhr / 6 Minuten Lesezeit
Werke von Markus Schinwald im KUB. <span class="copyright">Philipp Steurer</span>
Werke von Markus Schinwald im KUB. Philipp Steurer

Am Freitag wird die neue Schau im Kunsthaus Bregenz eröffnet.

Ein Ort der Gegenwartskunst, sensibel für die Stimmungen der Zeit, möchte das Kunsthaus Bregenz sein. Zumindest mit der aktuellen Ausstellung ist beides erfüllt: „Unvergessliche Zeit“ verbindet Werke, die während der Corona-Krise entstanden waren – außer Markus Schinwalds Arbeiten, die zwar älter sind, sich heute jedoch neu lesen lassen. Weiters konnten für diese kurzfristig organisierte Schau Helen Cammock, Annette Messager, Rabih Mroué, Marianna Simnett und Ania Soliman gewonnen werden. Zuletzt kam noch William Kentridge mit seinem „Centre for the Less Good Idea“ hinzu. Dessen Video zeigt sich als das lebendigste Werk in dieser Schau, die sich ansonsten meist nährt von Stille, Einsamkeit, Politischem oder einer Nähe zum Tod.

Werke von Ania Soliman. <span class="copyright">Philipp Steurer</span>
Werke von Ania Soliman. Philipp Steurer

Präsentiert wird ein vielfältiger künstlerischer Ausdruck dieser „besonderen Zeit“, die damit erfahrbar gemacht werden soll. Denn, wie KUB-Direktor Thomas D. Trummer bereits der NEUE erzählte, sei es speziell die Kunst, die historische Krisen in Erinnerung behalten würde. „Menschen wollen einander verstehen, und dazu brauchen sie die Kunst“, sagte er beim Pressetermin. Grundlegende Fragen würde sich heute stellen – Fragen der Existenz, des Zusammenlebens, der „politischen Gemeinschaft“, so Trummer.

Bronwyn Lace vor Aquarellen von Annette Messager. <span class="copyright">Philipp Steurer</span>
Bronwyn Lace vor Aquarellen von Annette Messager. Philipp Steurer

Anwesend bei der Schau war neben Schinwald auch die Künstlerin und Kuratorin Bronwyn Lace, die in Johannesburg lebte und nun in Wien arbeitet und wohnt. Sie schloss sich 2016 dem Kentridge bei der Gründung des „Centre for the Less Good Idea“ an – eine Plattform, auf welcher zahlreiche Künstler experimentelle und kollaborative Projekte realisieren. Aufbauend auf der Erfahrung, dass in der realen Entwicklung guter Ideen diese oft „kollabieren“ – so Lace, die Direktorin des Zentrums –, steht hier das Prozesshafte im Vordergrund. Kunst bietet für Lace auch einen Freiraum für Dummheit: „Kunst muss keinen Sinn machen.“

Minute

Kollabiert ist auch das Vorhaben des „Centre for the Less Good Idea“, Anfang April in Johannesburg ein großes Fes­tival zu realisieren. Nun wurden die Beiträge der Künstler als Fragmente von Texten, Performances, Tänzen oder Bildern in eine filmische Form transformiert. Seit April wurden die einminütigen Videos auf Instagram (#lessgoodidea) veröffentlicht, und sind im Erdgeschoss des KUB als 29-minütige Videoserie zu erleben. „The Long Minute“ zeigt auch Beiträge des Mentors Kentridge selbst: Raffiniert, wie er Zeichnung und Schrift mit Projektionen und Videos kombiniert, sie alle zu einem bewegten Bild werden lässt. Bei seiner Selbstdarstellung ist auch eine ordentliche Portion Witz dabei.

“Menschen wollen einander verstehen, und dazu brauchen sie die Kunst”

Thomas D. Trummer, Direktor des Kunsthaus Bregenz

Die französische Künstlerin Annette Messager hat in der Corona-Krise eine Serie an Aquarellen angefertigt, die im Erdgeschoss hängen. Im vergangenen Oktober musste sich Messager einer Kopf-Operation unterziehen – nun malt sie Schädel. Es sind Totenköpfe mit und ohne Skelett, manchmal erscheinen sie wie Tiere, manchmal sind es Gespenster, oder ein Liebespaar: intime Zweisamkeit im Lockdown gepaart mit dem Makabren des Totenkopfs. Der libanesische Künstler Rabih Mroué stellt unter anderem aus Kreidezeichnungen animierte Videos her. Die Arbeit „Calk Outlines“ zeigt liegende Menschen, kombiniert mit weniger tröstlichen Gedanken („Where shall I hide my hope“).

Tagträume

Das Motiv des Müßiggangs weitet sich indes bei Helen Cammock aus. Die Britin gewährt uns im Film „Idleness“ (Trägheit, Faulheit) Blicke aus dem Fenster auf die unspektakuläre englische Landschaft. Cammock spendet dazu Zitate und Gedanken zum Thema. Zum Beispiel wird infrage gestellt, ob das Tagträumen tatsächlich eine passive Tätigkeit ist. Die in London lebende Künstlerin Marianna Simnett verwandelt sich in dem Video „Tito’s Dog“ in den Hund des Herrschers des damaligen Jugoslawien. Eindrücklich erzählt sie die Geschichte in Ich-Form, wie der Hund bei einem Angriff sein Leben opferte, um Titos Leben zu retten.

Markus Schinwald.<span class="copyright"> Philipp Steurer</span>
Markus Schinwald. Philipp Steurer

Die aus Polen stammende, in Paris lebende Künstlerin Ania Soliman platzierte in zahlreichen Vitrinen quadratische Zeichnungen neben Instagram-Posts. Letztere sind eine Art Corona-Tagebuch. Vielfältig sind die Themen, auch digitale Technologien, vor allem aber die kommunistische Vergangenheit in ihrem Heimatland werden sichtbar.

Metallspangen

Und dann – Schinwalds übermalte Biedermeier-Porträts im obersten Geschoss. Zwei Werkserien zeigt der gebürtige Salzburger. Auch wenn er die Porträts oft mit Masken garniert – diese Methode als Vorahnung zu bezeichnen, stimme nicht, so Schinwald. Denn bei den „Prothesen“ in seinen Gemälden gehe es mehr darum, dass sich die Subjekte vor fremden Blicken schützen, nicht, um andere zu schützen. Neben Masken versieht er die Porträts aus dem 19. Jahrhundert – sie seien keine Meisterwerke, sondern eher „akademische“ Malerei – mit merkwürdigen Metallspangen, oder Stoffen, die aus der Bekleidung über den Kopf gestülpt sind. Manches Mal verschwinden Teile des Gesichts im Hintergrund.

Video von Marianna Simnett. <span class="copyright">Philipp Steurer</span>
Video von Marianna Simnett. Philipp Steurer

Passend für die Corona-Zeit sind besonders Schinwalds großformatige Bilder: Menschen, meist alleine in einem riesigen abstrakten Raum. Hier wird die Einsamkeit spürbar.

Zur Ausstellung

Eröffnung am Freitag, 5. Juni, bei freiem Eintritt von 15 bis 20 Uhr. Künstlergespräch mit Markus Schinwald und Bronwyn Lace am Samstag, 5. Juni um 11 Uhr. Öffnungszeiten ab 6. Juni: Donnerstag bis Sonntag, 10 bis 18 Uhr.