Streamen bis zum Wiedersehen

Aktionstheater-Stück soll im Frühling zu sehen sein. Davor Online-Aktionen.
Was bleibt übrig von dieser Zeit, welche Spuren davon wirken in der Gesellschaft weiter, dann, wenn das Virus im Griff ist? Mit dieser Frage beschäftigt sich derzeit Regisseur Martin Gruber, Leiter des aktionstheater ensembles. Die erste Phase der Corona-Krise hat die Theatergruppe mit dem Stück „Bürgerliches Trauerspiel“ verarbeitet, das Anfang September am Spielboden Dornbirn uraufgeführt wurde. Das Folgeprojekt mit dem Titel „Lonely Ballads – aktionstheater Songbook“ hätte bereits im Dezember Premiere feiern sollen. Als klar wurde, dass der Termin nicht zu halten war, ging es darum, die Stimmung der Zeit mitzunehmen – diese soll nun auf eine neue Ebene gebracht werden, um eine Wiederholung des bereits Gesagten oder eine alleinige „Abhandlung von Befindlichkeiten“ zu verhindern, erklärt Gruber im Gespräch.

Die Proben zum Stück sollen bald anlaufen, informiert der Regisseur. Geplant ist nun eine Premiere im Rahmen des Bregenzer Frühlings Ende Mai/Anfang Juni, zudem soll es Aufführungen am Spielboden geben. Ob der Bregenzer Frühling an diesem noch inoffiziellen Termin realisierbar ist, weiß derzeit niemand. Für den aktionstheater-Leiter steht jedenfalls fest: „Lonely Ballads“ wird gespielt, sobald es möglich sein wird. Sollte dies zu lange nicht der Fall sein, wird es zuerst eine Livestream-Premiere geben.
Kontakt mit dem Publikum
In der Zwischenzeit ist das Ensemble weiterhin online präsent. Die Aktion „Streamen gegen die Einsamkeit“ geht unter dem Titel „Fernbeziehung“ weiter. Die Analogie scheint zu passen: „Eine Fernbeziehung lebt von Hoffnung und Erwartung“, sagt Gruber. Bis zum nächsten ersehnten Live-Treffen mit dem oder der Geliebten gehe es darum, die Beziehung eben auch während der räumlichen Distanz zu pflegen. Das Streamen sieht der Regisseur als Mittel, um die Zeit ohne Aufführungen zu überbrücken, um mit dem Publikum in Kontakt zu bleiben. Und dieses nimmt das Angebot gerne an, die Aktion erfreut sich seit dem Beginn am Anfang der Pandemie einer großen Nachfrage und erregte österreichweit Aufmerksamkeit. „Ein Hammer“ sei der Zuspruch der Zuschauer, meint Gruber erfreut. Menschen in ländlichen Gebieten oder im Ausland könnten damit auch leichter erreicht werden.

Die Begegnung und das Gespräch mit dem Publikum ist dem Ensemble sehr wichtig, und so hatte Dramaturg Martin Ojster die Idee, zusätzlich zum Streaming wöchentliche Online-Publikumsgespräche einzuführen, wie der Dornbirner erklärt.
Grenze der Sprache
Und was kann der Zuschauer bei „Lonely Ballads“ hoffnungsvoll erwarten? Diesmal gehe es nicht darum, gemeinsam einsam zu sein, wie in den Produktionen davor. Im neuen Stück stehe verstärkt der Einzelne, das Individuum im Zentrum. Und so werde zur selben Zeit nur eine Person „in den Ring geworfen“, verrät Gruber. Dem Schauspieler antwortet dann ein Musiker mit einem Song. Die Musik setzt an der Grenze der Sprache an, sie drückt das Unsagbare aus – jene Zustände und Gefühle, die nicht verbalisierbar sind. Genau diese Kraft würden wir ja so an der Musik lieben, meint der Regisseur. Es brauche keine rationalen Erklärungen, damit uns ein Lied berühre. Das Scheitern der Sprache soll hier ersichtlich werden.
Fernweh
Die vierte Staffel von „Streamen gegen die Einsamkeit“ läuft bis zum 28. März. Sieben Stücke sind auf www.aktionstheater.at noch zu sehen. Dazu gibt es jeden Donnerstag um 20 Uhr ein Zoom-Treffen mit Schauspielern und Musikern der jeweiligen Produktion (Anmeldung: karten@aktionstheater.at).
Thematisch setzt sich Gruber derzeit mit einem verstärkten Narzissmus in der Gesellschaft auseinander, den er beobachte. Mit Blick auf die Lage in den Flüchtlingslagern am Rande Europas und der jüngsten Abschiebung zweier in Österreich aufgewachsenen Schülerinnen fragt er sich außerdem, inwiefern noch von einer europäischen Kultur die Rede sein kann..