Kultur

Philosophie in der Nussschale

18.02.2021 • 11:00 Uhr / 4 Minuten Lesezeit
Wolfram Eilenberger. <span class="copyright">Annette Hauschild</span>
Wolfram Eilenberger. Annette Hauschild

Wolfram Eilenberger und sein Buch “Feuer der Freiheit”.

In dem Buch „Zeit der Zauberer“ widmete sich Wolfram Eilenberger dem großen Jahrzehnt der deutschsprachigen Philosophie, 1919 bis 1929. Die vier Denker Martin Heidegger, Ludwig Wittgenstein, Walter Benjamin und Ernst Cassirer werden hier als „Zauberer“ der Philosophie vorgestellt. Die NEUE erreichte den 1972 geborenen deutschen Schriftsteller telefonisch auf einer Hütte im tief verschneiten Finnland. Eilenberger stellt im Gespräch klar, dass jede geniale Philosophie in eine Nussschale passt. Und: Die von ihm behandelten Philosophen, die er auch als „globale Denkikonen des goldenen Zeitalters der Philosophie“ bezeichnet, verkünden ihr Denken nicht nur, sondern verkörpern es auch.

Die Philosophin Simone de Beauvoir. <span class="copyright">APA/AFP</span>
Die Philosophin Simone de Beauvoir. APA/AFP

Deswegen kann er beispielsweise die Philosophie Heideggers auf wenigen Seiten schlüssig darstellen. Dessen Hauptwerk „Sein und Zeit“ bricht er auf den Begriff der „Zuhandenheit“ herunter, die sich in der eigenen körperlichen Holzarbeit Heideggers im Zuhanden-Sein von Hammer und Holz zeigt. Auch im neuen Buch „Feuer der Freiheit“ wendet Eilenberger diese Methode der Veranschaulichung der Philosophien im Biografischen höchst kunstvoll und einleuchtend an. Dabei stellt Eilenberger die vier Philosophinnen Simone de Beau­voir, Simone Weil, Ayn Rand und Hannah Arendt im Jahrzehnt von 1933 bis 1943 vor. Hier erzählt Eilenberger im Kapitel „Zaubertrank“, wie ein Studienkollege Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre die Philosophie Edmund Husserls, die „in der Konzentration auf das rein Gegebene“ abzielt, anhand eines Aprikosencocktails erklärt.

Briefe

In seiner Recherche geht Eilenberger oft von den Briefen der jeweiligen Philosophin aus. Eilenberger empfiehlt generell, wenn Interesse an einer bestimmten Philosophin besteht, mit dem Lesen der Briefe zu beginnen, da diese oft am klarsten und kürzesten die Ansichten der betreffenden Denkerin offenbaren. Dem Autor geht es dabei keineswegs um das „kleine hässliche Begehren“, Gelehrte von ihren Denkmälern zu stürzen, sondern im Gegenteil: In der Alltäglichkeit und den Schwächen der Philosophen wird ihr Denken nicht geringer, sondern eher noch größer.

Spirituelles Erbe

Es ist für Eilenberger kein Zufall, dass alle acht Philosophinnen und Philosophen in seinen beiden Büchern ein „quasi­religiöses Erweckungserlebnis“ hatten. Die tiefen Einsichten und je eigenen großen Wahrheiten fußen unter anderem darauf, dass sie sich für eine spirituelle Erfahrung offengehalten haben – für den Autor auch ein Kennzeichen für gutes Philosophieren. Wittgenstein kann ohne seine mystische Tiefe nicht ganz begriffen werden, genauso wenig kann Weil ohne ihre Offenheit für das spirituelle Erbe der Menschheit verstanden werden.

Wolfram Eilenberger. Feuer der Freiheit. Die Rettung der Philosophie in finsteren Zeiten (1933–1943). Klett-Cotta, 400 Seiten, 25,70 Euro.

Eilenberger gehört zweifelsohne zu den großen Vermittlern der Philosophie und ihrer komplexen Sachverhalte unserer Zeit. Wer nach den Büchern zu den 1920er- und 1930er-Jahren nun ein Werk über die Philosophie nach dem Zweiten Weltkrieg erwartet, wird wohl enttäuscht werden, über diese Phase hat Eilenberger keine Abhandlung geplant. Er arbeitet jedenfalls an neuen Werken, ein nächstes Buch wird es jedoch wahrscheinlich erst in zwei, drei Jahren geben.
Wolfgang Ölz

zur Person

Wolfram Eilenberger war langjähriger Chefredakteur des „Philosophie Magazins“, ist „Zeit“-Kolumnist, moderiert die „Sternstunde Philosophie“ im Schweizer Fernsehen und ist Programmleiter der phil.cologne. Für „Zeit der Zauberer“ erhielt er 2018 den Bayerischen Buchpreis.