Kultur

Wie Regierungen den Boulevard finanzieren

08.10.2021 • 12:51 Uhr / 4 Minuten Lesezeit
Wie Regierungen den Boulevard finanzieren
Juergen Fuchs

Politik und Medien: Inseratenvergabe als intransparente Achillesferse.

Erfunden hat weder diese Bundesregierung noch das System-Kurz das Inserieren, das einem natürlichen Kommunikationsbedürfnis entspringt. Ebenfalls nicht neu ist die korruptive Verstrickung der Politik mit einzelnen Medienherausgebern. Letztere sind im Boulevard zu Hause, dort wo die Verschränkung aus redaktionellen- und Marketinginhalten traditionell fließender sind und dort – Stichwort Gratiszeitungen –, wo die Abhängigkeit von der Politik ungleich größer ist, als bei verkaufsbasierten Tageszeitungen mit hohem Aboanteil. Bis zu 40 Prozent der Jahresumsätze machen öffentliche Inserate bei Gratisblättern aus, erhob das Medienhaus Wien.

Dessen Studie konstatierte eine Schieflage, die während der Pandemie durch umfassende Kampagnen noch größer wurde. Der an strenge Voraussetzungen geknüpften Presseförderung für Tageszeitungen, die neun Millionen Euro ausmacht, steht eine intransparente Inseratenvergabe gegenüber: Allein die Bundesregierung investierte im Vorjahr 33,5 Millionen Euro in Zeitungsinserate. Mehr als Hälfte, 57 Prozent, gingen an die Gratiszeitungen „Heute“, „oe24“ sowie die Kaufzeitung „Krone“. Beim Kanzleramt waren es 52,4 Prozent. Ein Blick über die Grenze zeigt die Größenordnung dieser Summe: Im zehnmal größeren Deutschland gab die Regierung im gleichen Zeitraum 150 Millionen Euro aus.

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Fellner-Netzwerk größter Profiteur

Größter Profiteur ist just das Mediennetzwerk Wolfgang Fellners, das in den aktuellen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zur Drehscheibe der Aufmerksamkeit wird. Kein anderes Medium erhielt pro Leser und Leserin mehr Inseratengeld: 8,22 Euro waren es 2020 bei „Österreich“ bzw. „oe24“. Zum Vergleich, ein „Standard“-Leser war der Regierung bloß 2,43 Euro, ein Leser der Kleinen Zeitung 3,57 Euro wert.
Die Studie dokumentiert eine Schieflage, ausgelöst durch den großen Druck des Wiener Boulevards auf die mediale Landschaft: In den östlichen Bundesländern ist ein Leser 7,96 Euro wert, im Süden (Kärnten, Steiermark) nur 5,47 Euro, die restlichen Bundesländer liegen dazwischen.

Die andere Seite der Medaille hat im Juni Horst Pirker, Mehrheitseigentümer der VGN-Gruppe („News“) thematisiert. Als Reaktion auf einen regierungskritischen Artikel habe das Finanzministerium „einen totalen Inseratenstopp“ angedroht.

Zu den Politikern, die meinten, sich Beifall – oder wie im aktuellen Fall Umfragen – aus den Medien erkaufen zu können, wird auch der frühere Wiener Wohnbaustadtrat Werner Faymann (SPÖ) gezählt. Ab 2011 ermittelte die Staatsanwaltschaft gegen den späteren Bundeskanzler, weil staatliche Betriebe in seinem Auftrag in ausgewählten Medien inseriert haben sollen. „Faymann hat das damals in eine neue Dimension gebracht, von der Intensität und der Menge her, aber unter Sebastian Kurz ist das noch einmal um eine x-fache Potenz verstärkt worden“, beschrieb Horst Pirker gegenüber Ö 1 eine neue Eskalationsstufe einer Politik durch Inserate.

Die Schwachstelle

Erklärung der Chefredakteure

Der Verein der Chefredakteurinnen und Chefredakteure um den neuen Vorsitzenden Johannes Bruckenberger (APA) übt heftige Kritik an den behaupteten Vorgängen rund um gekaufte, manipulierte Meinungsumfragen. „Die in den Justizunterlagen beschriebenen Zustände sind unethisch, unmoralisch und verwerflich. Medienkonsumenten wurden dadurch getäuscht, der Ruf der Medienbranche beschädigt“, heißt es in der Erklärung. Der Verein räumte zudem mit der verbreiteten irrigen Annahme auf, wonach es für Inserate Gegenleistung in Form von redaktioneller Berichterstattung gebe. Auch wenn einzelne Gratistitel auf solche Art ihre Geschäftsmodelle aufgebaut haben sollten, gebe es in den allermeisten Medienhäusern rote Linien und eine strikte Trennung zwischen Redaktion und Anzeigenabteilung.