Ein Cello wie die Stimme eines Einsamen

Marie Jacquot leitete die Wiener Symphoniker beim dritten Orchesterkonzert am Montag. Der Vorarlberger Cellist Kian Soltani war erstmals bei den Bregenzer Festspielen zu erleben.
Erfreulich oft laden die Wiener Symphoniker und Bregenzer Festspiele auch Dirigentinnen auf ihr Podium: Nach Julia Jones im zweiten „Rigoletto“-Jahr und Karina Canellakis mit dem konzertanten „Siegfried“-Schlussakt im letzten Konzert war nun die junge Französin Marie Jacquot mit einem farbenreichen russischen Programm zu erleben.
Höchste Zeit war es auch für das Festspiel-Debüt des Cellisten Kian Soltani, denn der 30-jährige Vorarlberger mit persischen Wurzeln ist längst auf den großen Bühnen zu Hause, seine brillante Interpretation des ersten Schostakowitsch-Konzerts war ein umjubeltes Heimspiel.
Liebe und Fantasie
Zwei bekannte musikalische Erzählungen umrahmten das Programm: „Romeo und Julia“ und „Scheherazade“: Fasst Peter I. Tschaikowski die Geschichte des berühmten Liebespaares in einer kontrastreichen Fantasie-Ouvertüre zusammen, so folgt man Scheherazade, die mit Erzählungen ihr Leben rettet und die Liebe des Sultans gewinnt, durch ein viersätziges Orchestergemälde.
Marie Jacquot, die bis zu ihrem 16. Lebensjahr meisterhaft Tennis spielte und sich dann für die Musik mit Posaune und Dirigieren entschied, hat unter anderem in Wien studiert und pflegt auch neben ihren Verpflichtungen als erste Kapellmeisterin an der Deutschen Oper am Rhein die Verbindungen nach Österreich. Die Wiener Symphoniker hat sie während der Pandemie auch in einem der „Wohnzimmer-Konzerte“ geleitet.
Bei Tschaikowski lässt sie zunächst mit den Blechbläsern eine weihevolle Stimmung, der Figur des Pater Lorenzo entsprechend, entstehen, entwickelt dann einen großen Orchesterklang und macht in straffen Steigerungen und rasenden Streicherfiguren die Familienfehden plastisch deutlich. Natürlich ist auch Raum für die großen Themen der Liebenden und die Tragik der Geschichte.

In den Orient
Nikolai Rimski-Korsakows „Scheherazade“ bezaubert Musizierende wie Hörende in gleicher Weise durch ihre große Klangfarbenpalette, die die Themen des Sultans (in den Bläsern) und der Erzählerin (in der filigranen Solovioline von Konzertmeister Anton Sorokow) in immer neuem Licht erscheinen lassen. Darüber hinaus gibt es viele Instrumentalsoli der Holzbläser, des ersten Horns, der Harfe, die mit der Solovioline verbunden ist, und in den Steigerungen eine funkensprühende Schlagwerkgruppe. Orchester und Dirigentin sind eng verbunden und angeregt von den sparsamen Satzüberschriften des Komponisten kann das begeisterte Publikum seine Fantasie spielen lassen und in den Orient reisen.
Interpretationsgeschichte
Zwischen diesen beiden Orchestergemälden wirkt Schostakowitschs erstes Cellokonzert aus dem Jahr 1959 natürlich herber, aber auch ungemein ausdrucksstark. Komponiert wurde es für den großen Mstislav Rostropowitsch. Indem Ivan Monighetti, der langjährige Lehrer von Kian Soltani in Basel, der letzte Schüler Rostropowitschs war, ist sicherlich viel an Interpretationsgeschichte in den Unterricht eingeflossen.
Kian Soltani wirft sich hinein in den ersten Satz, ist ständig in Verbindung mit der Dirigentin und dem Orchester, er meistert ihn mit bohrender Energie und intensiver Tongebung. Im zweiten Satz klingt das Cello wie die Stimme eines Einsamen, getragen von den Bratschen und Celli, aus den Tiefen des Orchesters steigt ein Klagegesang auf, Solist und Holzbläser wiegen sich in einem Walzer, die Celesta mischt sich in die zarten Flageolett-Klänge des Cellos. Aus der Stille wächst eine Solokadenz, in der Soltani souverän Spieltechniken, Mehrstimmigkeit, Registerwechsel mit großer Ruhe entwickelt und immer mehr in einen virtuosen „Flow“ kommt: Wenn das Orchester wieder einsetzt mit grellen Bläserfarben und stetigem Puls, wird der Solist zum Seiltänzer.
Während des Lockdowns hat Kian Soltani nicht nur eine CD mit seiner liebsten Filmmusik aufgenommen, er hat auch weitere Stücke arrangiert: So kamen Publikum und Orchester in den Genuss einer Bearbeitung von Schostakowitschs Introduktion zum Film „The Gadfly“, in der er gemeinsam mit den sechs Cellisten der Wiener Symphoniker in herrlichen Klängen schwelgte – ein sanfter Gegensatz zum Solokonzert!