Kultur

Werthers
Liebeswahn als „Video-Diary“

03.02.2023 • 18:54 Uhr / 7 Minuten Lesezeit
Der Schauspieler in der Rolle des "Werther!". <span class="copyright">Heike Blenk</span>
Der Schauspieler in der Rolle des "Werther!". Heike Blenk

Morgen kommt Philipp Hochmair erstmals mit seinem Soloprogramm „Werther!“ nach Götzis. Im Interview spricht der Schauspieler über seine erste Theaterrolle.

Sie haben das Werther-Solo schon über 1000 Mal gespielt. Wie unterscheidet sich ihre Performance heute im Gegensatz zu den Anfängen? Hat sich Werther für Sie gefühlsmäßig verändert?
Philipp Hochmair: Ich hab mich ja vor allem in der langen Zeit verändert. Und mich immer wieder in dem Stück zu spüren ist ein tolles Erlebnis, eine außergewöhnliche Situation. Es gibt wahrscheinlich nicht viele Schauspieler, die dieses Glück haben, so eine Rolle so oft über so einen langen Zeitraum durchleben zu dürfen. Ich habe das Stück unter allen möglichen Bedingungen und an ungewöhnlichen Orten gespielt, angefangen von der Premiere in einem Nürnberger Klassenzimmer bis hin zu Gastspielen in Australien und Südamerika. Jetzt sind das schon besondere Tage, an denen ich Werther wieder mal spiele. Oft sind das sehr schöne, außergewöhnliche Orte, wo man mich jetzt damit einlädt. Es ist ein sehr emotionales Stück. Mich in meinem Alter jetzt da wieder hineinfallen zu lassen in diesen „ausgelassen närrischen“, hochemotionalen Fluss, ist natürlich eine Freude. Da kann man viel Energie erzeugen und bekommt auch viel zurück. Diese Wechselwirkung ist faszinierend, das ist wie eine Reise in ein ganz besonderes Land.

Was ist das Besondere am Werther im Vergleich zu anderen Rollen?
Diese Textvorlage ist so intensiv und kleinteilig fein und geht dabei sehr in die Tiefe. Ich mache zurzeit wesentlich mehr Film als Theater und die Konfrontation mit dieser Sprache und der Situation, die hier geschildert wird, hat eine unglaubliche Magie. Das jetzt zu erleben hat für mich nochmal eine andere Dimension bekommen als vor 20 Jahren, wo ich das sehr hungrig und ungeduldig – ich war damals ja noch ganz am Anfang – durchlebt habe.

Können Sie sich jetzt noch intensiver in den Werther reinfühlen?
Es ist fast wie ein Nachhausekommen und eine Selbstkonfrontation gleichzeitig.

Wie aktuell ist Werthers Briefroman in der heutigen Social-Media-Zeit?
Die Situation ist, glaube ich, immer aktuell. Leute verlieben sich zu jeder Zeit und Liebeswahn gibt es auch immer und überall. Vielleicht ist der Roman jetzt sogar aktueller denn je, wo Menschen digital immer kontrollierbarer und erfassbarer werden, aber große Emotionen dadurch weniger in Erscheinung treten dürfen oder gar nicht mehr wirklich zugelassen werden können. In der Social-Media-Welt geht Sprache auch stark verloren. In Werther hört und durchlebt man eine sehr intensive, komplexe Sprache, die sich nicht auf Hashtags oder dreiminütige Videoclips reduzieren lässt. Speziell junge Leute können vielleicht gar nicht mehr so in einen Sprachfluss oder Sprachrausch verfallen, weil die Bildwelt viel dominanter geworden ist. Zu Goethes Zeit war Sprache sicher eine viel wichtigere Ausdrucksform und hatte eine fast magisch-berauschende Kraft.

Werther hat sich durch die Sprache noch mehr in den Liebeswahn reingesteigert.
Ich denke, dass es im Roman eigentlich um Sprach­erfindung geht. Es geht um die Schöpfung und Findung von Liebessprache, der Sprache der Liebe. Werther stürzt sich absichtlich in eine unmögliche Liebesgeschichte hinein, um in einen Formulierungswahn zu verfallen. Diesen Schöpfungsprozess diese Gefühlssprache, erleben wir an dem Abend.

Ein Programm, das sich zwischen Lesung, Monodrama und Performance bewegt. <span class="copyright">Rafaela pröll</span>
Ein Programm, das sich zwischen Lesung, Monodrama und Performance bewegt. Rafaela pröll

Wie würde sich Werther heute anders verhalten?
Ich denke, Werther hätte heute nicht die Probleme, die der Werther von damals hatte. Er hätte digital viel mehr Ablenkungsmöglichkeiten und wahrscheinlich auch eine andere digitale Aufmerksamkeit. Aber genau das ist ja das Interessante, dass es eben nur dieses eine Nadelöhr gibt, durch das er – mit seiner Sprache – durch muss. Werther heute wäre ganz anders einsam. Er würde seinen Suizid anders angehen. Er würde das Netz als Bühne für seinen Suizid nutzen, um dann – posthum – zu einem Darknet-Star zu werden.

Würde er sich überhaupt umbringen?
Ich fürchte leider ja … Aber vielleicht auch nur zum Schein, vielleicht würde er es nur inszenieren, einen Film drehen, ins Netz stellen und verschwinden, seine Identität löschen und eine neue Identität finden … Wenn ich das Stück jetzt ganz neu machen müsste, würde es wahrscheinlich ähnlich aussehen. Es ist und bleibt eine Art Zeitreise in meine Anfangsjahre, eine Reise zurück in meine damalige Zukunft.

Wie profitiert die Performance von der Musik?
Die Musik ist eine Art Rampe. Wie bei allen meinen Stücken hat die Musik eine rahmende Funktion. Werther baut sich hier seinen eigenen Film zusammen, sein Video-Diary und was wir erleben, ist sozusagen Live-Kino. Als wir das Stück damals entwickelt haben, ist die Platte „30“ vom französischen Elektromusiker Laurent Garnier gerade rausgekommen. Die Musik hat uns gefallen und wir haben sie gleich eingebaut.

Sie haben mal in einem Interview die Performance als das Theater der Zukunft bezeichnet. Wie schaut das Theater der Zukunft aus?
1997 war diese Art zu spielen und das Stück zu erzählen neu und radikal. Das war damals Theater der Zukunft. Und glücklicherweise ist die Form nicht wirklich gealtert. Was Regisseur Nicolas Stemann und ich vor 25 Jahren hier für uns erfunden haben, ist in der Form in Aufführungen heute immer wieder zu finden: klassische Texte als Monologe, Videokameras, Mikrophone und gute Musik …, dass man die Goethe-Welt sozusagen in ein Heute holt und ganz zeitgenössisch gestaltet. Die damaligen Auftraggeber hätten sich eigentlich gewünscht, dass ich mit einer Rokoko-Perücke auftrete und das ganze „historisch“ darstelle, aber dagegen haben wir uns gewehrt. Das Theaterstück war für 20 Vorstellungen in 20 ­verschiedenen Klassenzimmern konzipiert und wäre dann nach zwei Monaten abgesetzt worden. Dass das noch 25 Jahre an den ungewöhnlichsten Orten weiter laufen sollte, hat natürlich kein Mensch geahnt. Welches Stück spielt man schon 25 Jahre lang? Das ist eigentlich völlig absurd. Dass sich das über Jahrzehnte in unterschiedlichen Sprachen, Städten und Kontinenten hält, ist natürlich ein kleines Wunder.

Werther!: am 5. Februar, 18 Uhr, Kulturbühne AmBach, Götzis.

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