Kultur

Gelbe Heilige und lautlose Töne

08.04.2023 • 09:00 Uhr / 6 Minuten Lesezeit
Gemälde aus Dorota Sadovskás „Gelber Weg“.<span class="copyright"> Florian Raidt </span>
Gemälde aus Dorota Sadovskás „Gelber Weg“. Florian Raidt

In drei Ausstellungen zeigt das Künstlerhaus Bregenz sehr vielfältige Positionen von Künstlerinnen und Künstlern aus Bludenz, Berlin und Bratislava.

Mit tonlosen Klängen, Welten aus Linien, gelben Körpern, recycelten Männerjacken und Verarbeitungen von Alltagsmomenten präsentiert das Künstlerhaus Palais Thurn und Taxis in Bregenz in den aktuellen Ausstellungen sehr ungewöhnliche und faszinierende künstlerische Auseinandersetzungen.

Klänge im Stillstand

Ein schwarzer Ballon wird gehalten von acht ihn umkreisenden Mikros, doch der Ton kommt nicht, die Verbindungen sind getrennt. Normalerweise verwendet der in Bludenz geborene und in Wien lebende Soundkünstler Karl Salzmann durchaus Töne und Klänge in seinen Ausstellungen, nicht jedoch in „Soundworks. Arbeiten mit Klang. 2013–2023“, wo im Erdgeschoss des Künstlerhauses Klänge durch Erinnerungen sichtbar gemacht werden. Der Abdruck einer abgedeckten Gitarre in Gips gegossen, eingerahmte lose Schallplattenhüllen oder Fotografien sind die Spuren von dem, was einmal gewesen ist, von der Musik längst vergangener Tage.

Textilarbeit von Emöke Vargová. <span class="copyright">Florian Raidt </span>
Textilarbeit von Emöke Vargová. Florian Raidt

In weißen Rechtecken bringt Salzmann eine 100-Hertz-Sinuswelle in ihrer ursprünglichen physikalischen Auflösung an die Wand und präsentiert auf Holzschachteln die Überreste einer (Farb)Explosion. Salzmann, der sich neben der Kunst auch in der Forschung mit den Geräuschen unserer Welt auseinandersetzt, bringt in der Einzelausstellung den Stillstand des Tons zum Ausdruck.

Im ersten Stock wie im Dachgeschoss sind die Werke von drei slowakischen Künstlern zu sehen. Die Gruppenausstellung von Dorota Sadovská, Emöke Vagová und Ján Vasilko konnte durch die Kooperation mit der Galerie Michael Bella in Wien realisiert werden. Bis auf die Acrylfarbe, die sich in den Arbeiten von Sadovská und Vasilko in sehr unterschiedlichen Verwendungen findet und dem gemeinsamen Wirkungsort Bratislava haben die drei zumindest in künstlerischer Hinsicht nicht viel miteinander am Hut. In drei Räumen zeigen sie jede und jeder für sich, welche originellen und beeindruckenden Möglichkeiten die zeitgenössische Kunst hervorbringt.

Ein Meister der Linien

Ján Vasilko hat seine Bilder sorgsam angeordnet und dabei die ganze vertikale Fläche der Wand genutzt, um den Blick des Betrachters herauszufordern. Geometrische Formen und dabei vor allem die Geraden sind sein Element. Tag und Nacht zeichnet er mit Lineal, Feder und Acrylfarbe farblich harmonisch abgestimmte Linien. Eine simple Technik, aus der sehr komplexe und dreidimensional wirkende Gemälde entstehen. In seinen Bildern geht es vor allem um Formen und Farben, die im industriell-konstruktivistischen Stil unterschiedliche Wirkungen erzeugen. Mit leeren Feldern, kräftigen Strichen oder farblichen wie figurativen Wiederholungen im exakten geometrischen System des Vertikalen und Horizontalen erschafft Vasilko als Meister der Linien außergewöhnliche Improvisationen zwischen Realität und Abstraktion.

Die Ausstellung „Soundworks. Arbeiten mit Klang. 2013–2023“. <span class="copyright">Florian Raidt</span>
Die Ausstellung „Soundworks. Arbeiten mit Klang. 2013–2023“. Florian Raidt

Dagegen wirken Emöke Vargovás Textilienbilder wie aus einer anderen Zeit gefallen. Sehr nachhaltig hat sie im Second Hand erstandene Herrenjacken als Ursprungsmaterial für sich entdeckt und dieses auseinandergeschnitten, zusammengenäht und mit abstrakten Motiven ausgestattet auf großflächigen Holzrahmen befestigt. Aus manchen hängen die Ärmel heraus, in anderen wurden sie umgekrempelt nach innen gestülpt. Interessanterweise hat sie die eingenähten Etiketten und Label bewusst in ihre Werke integriert. Die Anordnungen der Stoffelemente unterliegen klaren Strukturen, spielen mit Kontrasten und verdeutlichen in übereinanderliegenden Schichten das Innenleben der Textilien.

Die Künstlerin Dorota Sadovská hat den Platz im Dachgeschoss genutzt und in gebogener Form 14 großformatige Gemälde aneinandergereiht, die sie zusammen als „Gelber Weg“ betitelt. Zu sehen sind hyperrealistische grellgelb-orange Menschen, die in feinen Schattierungen ganz bestimmte Ges­ten und Emotionen ausdrücken – denn in ihnen verbergen sich die mythologischen Geschichten der Heiligen. Sadovská hat Dionysos, Apollonia, Thomas von Aquin, Maria Magdalena und die anderen in strahlenden Gelbtönen und nach dem Abbild von realen Menschen, die sie kennt, portraitiert und von den typischen Attributen getrennt als rohe körperliche Gestalten neuzeitlich visualisiert. Aus der Vogelperspektive gemalt, blicken sie mit nach oben gerichteten Gesichtern den Betrachtern entgegen und wirken in ihrer androgynen Erscheinung übernatürlich und futuristisch.

Arbeiten von Ján Vasilko. <span class="copyright">florian Raidt</span>
Arbeiten von Ján Vasilko. florian Raidt

Privates aus dem Alltag anderer

Nicht mit der Zukunft, sondern mit Vergangenheit und Gegenwart haben sich 24 Studentinnen und Studenten der Klasse Ina Weber der Berliner Universität der Künste auseinandergesetzt. Im Format „zur Zeit“ werden jährlich internationale Studierenden eingeladen, eine eigene Ausstellung im Künstlerhaus zu gestalten. Dieses Jahr treffen unter dem Titel „Ein anderer Alltag“ Installation, Fotografie, Performance und Malerei aufeinander und erlauben einen sehr persönlichen und privaten Blick in die sehr unterschiedlichen Alltagsmomente der Studierenden.

Thematisch stehen Themen wie Herkunft oder Kindheit im Vordergrund. Helen Vogelsang hat beispielsweise eine Eckbank aus ihrem Familienalltag mit Textilien nachgebildet, Ernstina Eitners Arbeit ist geprägt von der Visualisierung ihrer russlanddeutschen (Ess)kultur. Clio MacLellan erforscht die digitale Welt der Zoom-Meetings mit der rohen Wolle ihrer eigenen Schafe. Nelly Choné verarbeitet den Alltag auf Reisen mit Pappmaschee in kleinen Objekten. In „Himmel oder Hölle“-Spielen aus bedrucktem Stoff legt Clara Holländer Abwägungen und Entscheidungen auf die Waage. Lilli Beer thematisiert fotografisch den Verfall der Jugendzentren in der DDR und Jelena Kupsch hat ihre traumatischen Erlebnisse bei der Geburt ihres Sohnes in einem Wandteppich verarbeitet.

Bis 1. Mai im Künstlerhaus Palais Thurn und Taxis in Bregenz.