Damit die Wirtschaft vor die Hunde geht

Niklas Ritter inszeniert Ayn Rands umstrittenes Gesellschaftsepos „Atlas streikt“. Am Samstag wird das Stück im Landestheater uraufgeführt.
Fast 1500 Seiten zu lesen, dauert eine Weile. „Man muss sich ja auch entscheiden bei so einem dicken Buch“, erzählt Regisseur Niklas Ritter im Interview: „Was ist heutig, womit können wir was anfangen, was kann man vertreten?“. Doch vor dem am Ende doch überzeugenden Beschluss, aus Ayn Rands Roman „Atlas shrugged“ ein Theaterstück zu machen, sei der Regisseur erstmal irritiert gewesen
Fremde Weltsicht
Die unpopuläre neoliberalen Weltsicht des Buches war ihm fremd, zwischendurch kamen Zweifel. Aber: „Man muss ja nicht immer der Meinung der Autorin sein, um sich mit so einem Stoff befassen zu können.“ Und irgendwann habe Rand ihn dann doch verführt mit dem Vernunftgedanken, „den Verstand zu verwenden und eben auch für die geleistete Arbeit entsprechend honoriert zu werden.

Dieses sehr komplexe Buch – „eine philosophische Abhandlung in Form eines Romans“ dreht sich um die zwei Hauptfiguren Dagny Taggart und Hank Rearden – eine Eisenbahngesellschafts-Vizepräsidentin und ein Stahlindustrieller, die zwischen zwei Fronten stehen. Auf der einen Seite kämpfen sie gegen eine korrupte Gruppe von Politikern und Wirtschaftsleuten, die sich die Wirtschaft unter den Nagel reißen und auf der anderen Seite gibt es die Streikenden – die Begabten und Erfolgreichen, Manager und Künstler – die von der Bildfläche verschwinden, damit die Gesellschaft zugrunde geht und ein Neuanfang nach ihren Lebensweisen gestartet werden kann. Angezettelt wird alles vom Physiker John Galt, der mit seinem Reaktor die Energieprobleme der Vereinigten Staaten lösen könnte, aber sich wegen der negativen Entwicklung der Gesellschaft lieber mit Gleichgesinnten zurückzieht.
Korrupte Gesellschaft
Rands Roman spielt in einer Dystopie, wo die Freiheit der Menschen durch Wirtschaftszwänge und Regierungsbeschlüsse immer mehr eingeschränkt wird, wo die Überwachung immer größer wird und bald auch der Wohnort nicht mehr frei wählbar ist. „Also eigentlich eine Auflösung von demokratischen Grundrechten“, beschreibt Ritter. In dieser Beschreibung „einer sich zersetzenden Gesellschaft“, sehe der Regisseur aktuelle Bezüge. „Diese Gefahr sehen wir ja überall in der Welt: Diese Rechtspopulisten, die immer mächtiger, immer größer, immer einflussreicher werden, das möchte man ja nicht zu Ende denken. So ein bisschen diese Dystopie hat die Autorin ja schon ganz gut erkannt, ich erkenne einiges wieder.“
Der Grundgedanke des Streiks, in dem sich die führenden Köpfe zurückziehen und der Welt ihren Verstand entziehen, bleibe doch nur ein Gedankenexperiment. Denn den im Buch propagierten Freiheitsgedanken halte Ritter nicht für realistisch: „Die Idee von Ayn Rand ist, dass sich der beste durchsetzt, also die beste Ware, der klügste Kopf, der schlauste Philosoph, der beste Hamburger-Koch – das ist eine Utopie, in unserer Welt ist es ja nicht so. In unserer Welt verkauft McDonalds die meisten Hamburger. Bei uns geht’s vielmehr darum, den Leuten etwas vorzumachen, um erfolgreich zu sein und das ist in der Welt von Ayn Rand, wo der Streik spielt, nicht der Fall.“
Moralprobleme
Der Epos von 1957 ist eines der meistverkauften Bücher der USA und wurde in mehr als dreißig Sprachen übersetzt. 2021 erschien die dritte Neuübersetzung auf Deutsch unter „Der freie Mensch“. Rand gilt als kapitalistische Vordenkerin und erbitterte Gegnerin des Kommunismus. Sie beschreibt die Moral des rationalen Egoismus am Beispiel von John Galt und seinen Mitstreitern, die sich weigern, ihre Erfindungen und Ideen an den Rest der Welt zu liefern – Moralvorstellungen, die auch kontrovers diskutiert und kritisiert wurden.
Kritik an der „Randschen Philosophie“ habe es auch beim Regisseur und seinem Schauspiel-Team gegeben. „Wir haben wahnsinnig viel mit den Schauspielenden diskutiert und gesprochen und irgendwann hab ich mal gesagt: Wenn wir jetzt Macbeth machen und der tausend Leute umbringt, da fragt sich keiner: Warum spiel ich so einen Typen – Wenn man jetzt aber wen darstellen will, der für den Kapitalismus kämpft, dann kriegen alle plötzlich so ein Moralproblem damit, das war schon sehr lustig zu beobachten.“ Man könne sehr wenig inszenieren, wenn man immer Einszueins die Meinung der Autoren vertreten müsse, erklärt Ritter.
Letztlich sei es eine Welt der Autorin, „auf die wir uns jetzt mal einlassen“. Ich fänds schön, wenn sich unsere Kontroverse, die wir hatten und jetzt haben beim Arbeiten und auch beim Lesen, auf die Zuschauer überträgt, das wär ein großer Erfolg.“
Immer wieder habe er überlegt, „ob wir am Ende unsere Haltung gegen die von Ayn Rand stellen müssen oder wollen“, aber „eine Art Greenwashing“ sollte es auch nicht werden, stattdessen setze Ritter auf provokante Thesen. Trotzdem müsse man viele Dinge aus der Zeit verstehen. Ayn Rand ist in einer jüdischen Familie in der Sowjetunion großgeworden, die Eltern wurden mehrfach enteignet. Als sie in die USA flüchtete, ist sie in der freien Welt gelandet und Europa lag in den Trümmern in den 50ern, beschreibt Ritter den Kontext indem das Buch entstanden ist.
Anderes Ende
„Es ist eine sehr komplexe Geschichte, es gibt unzählige Figuren, unzählige Situationen, da musste man sich einfach auch auf bestimmte Stränge und Figuren beschränken. Auch nicht alles eigne sich für die Bühne. Dennoch ranken sich um „die guten und die bösen“ 40 bis 50 Figuren, die alle von vier Schauspielern gespielt werden. „Man kommt sicher so ein bisschen durcheinander mit den Figuren, aber das ist nicht entscheidend, weil der Weg der Hauptfiguren eindeutig ist.“
Wenn sich die Heldin Dagny Taggart im Buch schließlich doch der in die Atlantis geflüchtete sektenhafte Truppe rund um John Galt anschließt, ist Ritters Stück schon längst zu Ende. „Bei uns kämpfen sie doch um ein Fortkommen der Gesellschaft da draußen.“ Die Situation fordere das Volk auf, „wieder den Verstand anzuschmeißen“ und nur der eigenen Wahrnehmung folgend, sein Leben zu leben, beschreibt Ritter.
Premiere: Samstag, 19.30 Uhr.