Textmaschinen erklären die Welt

Mit Jochen Höller im Bildraum Bodensee kommt ein Denkerkünstler nach Vorarlberg, dessen minimalistische Arbeiten im alten k.u.k.-Postgebäude am Bregenzer Hafen überzeugen.
Seit die Buchreligionen Christentum, Judentum und Islam in ihren Heiligen Büchern Bibel, Tora und Koran die Welt durch das Medium Buch erklärt haben, kommt dem Buch eine außergewöhnliche Bedeutung in der Kultur der Menschheit zu. Jeder klassische Roman von Johann Wolfgang Goethes Werther bis James Joyce’ Ulysses bietet eine säkularisierte Form dieser Welterklärung des menschlichen Seins. Das wirkt noch bis in zeitgenössische Krimis oder die Erzählungen antiker Mythen durch Michael Köhlmeier nach.
Wortkünstler
Jochen Höller ist ein Buchmensch, der die kleinen gelben Büchlein des Reclamverlages, denen etwas Kanonisches anhaftet, zu den Protagonisten seiner ersten Ausstellung namens „amRelc“ in Vorarlberg macht.
Der gebürtige Niederösterreicher (Jahrgang 1977) hat eine bildhauerische Ausbildung (1991 bis 1995 in Hallstadt) absolviert. Beim Wotruba Schüler Erwin Reiter setzte er sein Studium in den Jahren 1996 bis 2001 an der Linzer Kunstuniversität fort. Eine seiner 40 nationalen und internationalen Ausstellungen und Teilnahmen an Kunstmessen trägt den Titel „Im Anfang war die Frage“. Damit paraphrasiert er den Prolog des Johannesevangeliums, der lautet „Im Anfang war das Wort“. Als Wortkünstler scheint ihn auch die Gleichsetzung Jesu Christi mit dem göttlichen Wort umzutreiben. Natürlich hat Jochen Höller da einen sehr zeitgenössischen Zugang, indem er die Frage, also den verstandesmäßigen Diskurs, anstelle des gesprochenen Worts, das den Namen Gottes trägt, stellt.
Textmaschinen
Klassische Texte wie philosophische Abhandlungen von Giordano Bruno oder literarische Erzählungen wie Alice in Wonderland von Lewis Carroll zerlegt Höller in ihre Einzelteile, seien es nun Buchstaben oder Wörter, und schafft daraus großformatige Collagen oder Textmaschinen.
Sein monumentaler Wittgenstein-Generator schafft aus dem Wortschatz des berühmten Tractatus logico-philosophicus von Ludwig Wittgenstein ganz neue Texte. Der frühe Wittgenstein glaubte mit seiner mathematischen Sprache im Tractatus sämtliche philosophischen Probleme gelöst zu haben. Der späte Wittgenstein, ganz Sprachphilosoph des 20. Jahrhunderts, erkannte, dass in den Sprachspielen sich ein Raum öffnet, der mathematisch nicht zu fassen ist und sich mitunter in die Unendlichkeit öffnet. Höller bearbeitet die klassischen Texte mit einem Tiefsinn und meditativer Ernsthaftigkeit, die beeindruckt.
Textmaschinen wie der Wittgensteingenerator sind auch im Bildraum Bregenz ausgestellt. Einerseits die „Textmaschine II (Alice’s Adventures in Wonderland)“, andererseits „Textmaschine III (Die Bibliothek von Babel)“. Im Falle von Textmaschine II hat er jeweils die ersten, zweiten, dritten usw. Wörter der Sätze in Alice’ Wonderland extrahiert und sie in einem Reifen angebracht. Entstanden ist so ein seltsames Gebilde, das mit seinem Schwanz an ein animalisches Wesen erinnern könnte. Für 39.000 beziehungsweise 26.000 Euro sind die Textmaschinen zu haben.

Reclam-Kunstwerke
Das Spiel mit den gelben Reclamheftchen bringt verschiedene weitere Kunstwerke hervor: Eine Reclamstele durchmisst den exakt 3,78 Meter hohen Bildraum. Ein Objekt mit Titel „Wiener Kreis“ umfasst lauter Reclamheftchen zum Wiener Kreis in einem Rundobjekt wie ein Autoreifen. Das Werk „Philosophischer Durchblick“ besteht aus einer mehrbändigen Reclam-Einführung in die Philosophie, die an der Wand klebt und die durch ein Guckloch den Blick auf ein kleines Geheimnis freigibt. Und schließlich sogenannte „Wandernde Bücher“: Sie sind kleine Textmaschinen ähnlich, die das Phänomen humoristisch beschreiben, dass in der Wohnung eines Büchermenschen die Bücher überall herumwandern und beizeiten wieder eingefangen und an ihren angestammten Platz im Regal gestellt werden müssen.
Jochen Höller „amRelc“: bis 8. November, Bildraum Bodensee, Bregenz.
Wolfgang Ölz