Glück oder was ein Leben lebenswert macht

Die Ausstellung „Ästhetik der Existenz … das Leben ein Kunstwerk“ im Palais Liechtenstein in Feldkirch ist eine sehr persönliche Schau von Hans Gruber.
Hans Gruber steht in der großen Tradition der Humanisten, die in Feldkirch eine wichtige Geschichte hatten. Nichts weniger als eine Vision vom „guten Leben“ ist Inhalt der von ihm kuratierten Ausstellung „Ästhetik der Existenz … das Leben, ein Kunstwerk“ im Palais Liechtenstein in Feldkirch. Gruber arbeitet mit dem Hegel zugeschriebenen Satz: Philosophieren heißt Begriffe definieren. So unterscheidet er etwa drei Formen des Glücks: fortuna als das schicksalhafte Glück, felicitas als das Glück des selbst Geschafften und beatitudo als das Glück eines geglückten Lebens.
Im Ausstellungskatalog steht dazu: „Die Menschen sind auf der Suche nach dem Glück. Allzu oft handelt es sich dabei um das schnelllebige, fliehende Glück, den besonderen Moment einer aufbrausenden Gefühlsregung. Die Philosophie drängte hingegen immer zu einem dauernden, wenn möglich das ganze Leben umfassenden Zustand.“
Wie kam es zum Titel „Ästhetik der Existenz“?
Hans Gruber: Wir thematisieren in unserer Ausstellung das „gute Leben“ und wollen der Frage nachgehen, was ein Leben lebenswert macht. Dabei lassen die Begriffe „Ästhetik“ wie auch „Existenz“ wichtige Aspekte anklingen. Ästhetik verweist im Griechischen unter anderem auch auf das Bewusstsein. Das Rad der Zeit dreht sich ohne unser Zutun, das Leben vergeht, ohne dass wir etwas dafür tun müssen. Wenn wir aber ein gutes und gelingendes Leben anstreben, dann müssen wir uns des Lebens bewusst sein, darüber nachdenken und manchmal wohl auch korrigierend eingreifen. Darüber hinaus steht Ästhetik natürlich auch für die Bedeutung des Schönen. Und „Existenz“ im Sinne der Existenzphilosophie weist uns darauf hin, dass wir heute gegen Bezahlung fast alles delegieren können, aber nicht unser eigenes Dasein. Das müssen wir selbst leben.
Was sind für Sie die schönsten Zitate der Ausstellung?
Gruber: Wir arbeiten mit vielen Zitaten, wollen sie für sich sprechen lassen und damit zum Nachdenken anregen. Eines meiner liebsten Zitate stammt aus Nietzsches „Fröhliche Wissenschaft“: „Was ist dir das Menschlichste? – Jemandem Scham ersparen. / Was ist das Siegel der erreichten Freiheit? – Sich nicht mehr vor sich selber schämen.“ Für mich ist das der Inbegriff einer humanistischen Orientierung.

Warum ist die Sinnfrage die entscheidende Frage unseres Zeitalters des Indvidualkonstruktivismus?
Gruber: Letztendlich dreht sich alles um den Sinn, egal, ob man ihn objektiv „vorfindet“ oder subjektiv „erfindet“. Alle weiteren Themen unserer Ausstellung, Gesundheit und Krankheit, Alter und Tod, Altruismus, Glück, Schönheit, Lust oder Gemütsruhe lassen sich letztlich auf die Sinnfrage zurückführen. Und Sie haben recht, wir leben in einer Zeit des Individualkonstruktivismus, jeder gestaltet sich seine eigene individuelle Welt. Die Sinnfrage holt uns hier immer wieder zurück und erinnert uns daran, dass es Wichtigeres gibt als das eigene „Ich“.
Warum ist die heute maßgebliche philosophische Strömung des Transhumanismus eine Gefahr?
Gruber: Der Transhumanismus will den Menschen optimieren und diesen in gewisser Weise zum Schöpfer seiner selbst machen. Da habe ich meine Zweifel. Leibniz sprach einmal von „der besten aller möglichen Welten“, in der wir leben. Dafür hat er viel Spott geerntet. Aber hat er nicht schlussendlich recht? Diese unglaublich komplexe Welt funktioniert seit Millionen von Jahren. Seit der Mensch das Ruder übernommen hat, gerät allerdings vieles aus dem Gleichgewicht. Wenn sich der Mensch nun zur letzten Instanz aufwirft, fürchte ich, ist er der enormen Komplexität unseres Daseins nicht gewachsen.
Warum hat der Tod in unserer Zeit der biochemisch begründeten Unsterblichkeitsphantasien nicht ausgedient?
Gruber: Wenn wir das Leben nicht aus biologischer Perspektive betrachten, wird es schlussendlich durch den Tod definiert. Die zeitliche Beschränkung unseres Daseins zwingt uns nämlich dazu, uns dem Relevanten zu stellen und zuzuwenden. Und der Tod ist kein Zeitpunkt. Vom Moment unserer Geburt an sind wir einem „Zukunftsschwund“ ausgesetzt, leben ein „Sein zum Tode“, wie Martin Heidegger das ausdrückt. Wenn wir den Tod verdrängen, meint eben jener Heidegger, laufen wir Gefahr, das Leben zu verpassen, zu vergeuden. So bleibt der Tod das mächtigste Regulativ des Lebens.
Schildern Sie Ihr Glück beim Lesen und Ihrem wöchentlichen Gang in die Buchhandlung.
Gruber: Die Stoiker wussten bereits, dass uns unser Hirn für erfüllte Wünsche belohnt. Jeder erfüllte Wunsch führt zu einem Glücksgefühl. Ich führe immer aus, dass ich seit vierzig Jahren fast wöchentlich in der Buchhandlung ein oder zwei Bücher abhole. Meist habe ich sie ein paar Tage vorher bestellt. Und jedes Mal inspiziere ich sie dann bei einer Tasse Kaffee und erlebe ein richtiges Glücksgefühl. Wäre mein Lebenswunsch hingegen eine traumhafte Villa am Mittelmeer mit drei Ferraris in der Garage, bestünde die große Gefahr, dass ich das nie erreiche. Und selbst wenn sich dieser Wunsch erfüllen sollte, würde das Glücksgefühl paradoxerweise nicht viel länger andauern als bei einem einzigen meiner vielen Buchhandlungsbesuche. Daher bleibe ich lieber beim Lesen.
Wolgang Ölz
Bis 20. Oktober 2024. Nächste Führung mit Hans Gruber durch die Ausstellung: Freitag, 3. November, 16 Uhr, Palais Liechtenstein, Schlossergasse 8, Feldkirch.