Kultur

Seelische Finsternis und unstillbare Sehnsucht: “Gier” von Sarah Kane feiert Premiere am Donnerstag

03.11.2023 • 23:00 Uhr / 6 Minuten Lesezeit
Ines Schiller, Nico Raschner, Luzian Hirzel und Vivienne Causemann im Video von Sarah Mis­tura. sarah <span class="copyright">mistura</span>
Ines Schiller, Nico Raschner, Luzian Hirzel und Vivienne Causemann im Video von Sarah Mis­tura. sarah mistura

Die Künstlerin Bella Angora hat für Sarah Kanes Stück „Gier“ eine performative Inszenierung entwickelt. Am Donnerstag ist Premiere im Vorarlberger Landestheater.

Es sei ein schwieriger Text, einer, der „in so einer unglaublichen Dynamik“ daherkomme. „Man kann sich dem nicht entziehen“, sagt Bella Angora über die berührenden und gleichzeitig manchmal grausamen Sätze, in denen eine junge radikale Dramatikerin mit großer literarischer Kraft eine unstillbare Sehnsucht mit Worten begreifbar macht.

Kanes Weltsicht

In vier Stimmen hat die britische Dramatikerin Sarah Kane düstere Poesie verpackt, die sich fragmentiert zwischen Verzweiflung, Abhängigkeit und Verlust bewegt, aber immer wieder von der Liebe erzählt. „Gier“ war ihr viertes und vorletztes Theaterstück und wurde erstmals im August 1998 aufgeführt, nur ein paar Monate bevor die an schweren Depressionen erkrankte Autorin mit 28 Jahren verstarb. In einer performativen Inszenierung mit Video und Musik wird Kanes Weltsicht nun am Donnerstag im Vorarlberger Landestheater zu erleben sein.

„Sarah Kane ist ein Material, dass grundsätzlich schon spannend ist“, sagt die Regisseurin Bella Angora und verweist auf die bewegenden, aber auch radikalen und konfrontierenden Stücke der jungen Autorin, die vor allem auch in der damaligen Zeit außergewöhnlich waren und kontrovers diskutiert wurden. „Mich persönlich haben vor allem die Subtexte interessiert, die sich zwischen den Zeilen von Gier finden lassen, wie den Wunsch nach Hoffnung und was dieser für einen psychisch kranken Menschen bedeuten kann, wenn er einmal ausformuliert ist“, beschreibt Bella Angora. „Es geht einfach um etwas ganz Wesentliches, nämlich um zugrunde liegende zwischenmenschliche Verletzungen.“

Personen im Traum

Bella Angora werde das Stück in einer sehr performativen Art und Weise in Szene setzen, in der die vier Figuren einen Prozess durchleben, der „von Anfang bis zum Ende mit dem Ziel einer inneren Veränderung oder zumindest einer Erkenntnis“ begleitet sei. „Der Text hat für mich eine gewisse Form von einer Realität, in der auch eine Traumlandschaft mitschwingt“, beschreibt Bella Angora. „Ich hab mir vorgestellt, als würden die Träume der vier Figuren dargestellt – auch wenn es genauso der Traum von einer Person sein könnte. Wir haben ja alle immer verschiedene Persönlichkeiten in uns, und ob jetzt diese Stimme dann wirklich außerhalb von uns ist oder innerhalb, sie ist da und will gehört werden“, beschreibt die Regisseurin ihren Zugang zu Sarah Kanes Sprachkunstwerk, bei dem die Stimmen teils ineinander verschwimmen und das kaum Rückschlüsse auf die Figuren zulasse.

Lediglich als A, B, C und M hat die Autorin die Personen bezeichnet, die im Einakter dialogisch, wie auch nebeneinander Teile von Gedanken zum Ausdruck bringen und intertextuell aufeinander verweisen – des­orientiert und ohne Handlung. Diese Unklarheit in der Erzählsprache und den Figuren sei im Endeffekt aber „irrelevant“, erklärt Bella Angora, „weil im Grunde genommen geht’s um eine Thematik – um die Darstellung von menschlichen Zuständen, von psychischen Zuständen, Befindlichkeiten und auch von seelischer Krankheit.“ Sarah Cane habe „so unglaublich feinfühlig niedergeschrieben, wie sich Traumatisierung auswirke und wie es Menschen in derartigen Zuständen geht.“

Bella Angora. <span class="copyright">Bella Angora</span>
Bella Angora. Bella Angora

Wunsch nach Heilung

Trotz dieser düsteren und depressiven Bilder habe Bella Angora die Lichtblicke im Stück aufgegriffen: „Es gibt immer wieder Textsequenzen, die in eine Art Wunschvorstellung kippen, also das, was sich dann diese Personen in ihrer Verzweiflung wünschen würden, an Liebe, an Zuwendung, an Heilung auf einer geistigen Ebene.“ Und obwohl Sarah Kanes Texte mehrheitlich keine Auflösung zulassen würden, könne man sich in der Inszenierung dennoch überlegen, zumindest eine Form von Auflösung für die Zuschauerinnen und Zuschauer anzubieten, argumentiert Bella Angora. Auch wenn sie „kein Happy-End-Stück“ daraus gemacht habe, „könnte es so sein“, dass die Figuren in ihrer Inszenierung doch noch irgendwo eine Kurve kratzen und aus der düsteren Haltung rausfinden.

In der performativen Darstellung agieren die Schauspielerinnen und Schauspieler Vivienne Causemann, Luzian Hirzel, Nico Raschner und Ines Schiller in einer Medieninstallation, die sich aus Video-, Text- und Soundmaterial zusammensetzt. „Wir haben sie Teile des Textes im Vorfeld einsprechen lassen und daraus mit einem Musiker in Wien – mit dem Oliver Stotz – Textcollagen erstellt, die kombiniert sind mit sehr avantgardistischen Sounds“, beschreibt die Regisseurin.

Verdoppelte Figuren

„Dazu gibt’s dann Live-Musik von Daniel Pabst, der auf der Bühne spielt und Videos von Sarah Mistura, die eine sehr tragende Rolle haben in dem Ganzen.“ Dadurch würden die Schauspieler auf der Bühne verdoppelt und mit ihren eigenen Projektionen interagieren, aber auch immer wieder aus den Projektionen „heraustreten“, beschreibt Bella Angora, die auch selbst in einer „Randfunktion“ auf der Bühne zu sehen sein wird. „Ich hab so ein bisschen eine Bühnenarbeiterinnenfunktion, damit das Ganze reibungslos ablaufen kann und die Schauspielerinnen sich auf das Wesentliche konzentrieren – nämlich auf das Durchlaufen von den verschiedenen Prozessen.“

„Gier“: Premiere am 9. November.