Kultur

Mehrstimmige Überforderung des Lebens in „Gier“

11.11.2023 • 00:55 Uhr / 4 Minuten Lesezeit
Bella Angoras multimediale Inszenierung von „Gier“ <span class="copyright">ANJA KÖHLER</span>
Bella Angoras multimediale Inszenierung von „Gier“ ANJA KÖHLER

In der Regie von Performancekünstlerin Bella Angora präsentierte das Vorarlberger Landestheater das Wechselspiel von Liebe und Gewalt in Sarah Kanes Drama „Gier“.

Mit großer künstlerischer Sensibilität hat sich die Künstlerin Bella Angora an Sarah Kanes düstere Abhandlung „Gier“ herangewagt und den schweren vom Tod und Sterben durchzogenen Text in ein abstrakt-futuristisches Setting gelegt.

Würfel und Kreise

Die Schauspieler gibt es doppelt, dreifach und anfangs nur digital, die Stimmen sind überall, wiederholen sich, antworten oder reden aufeinander los und hinein in eine vom Leben losgelöste unbekannte Leere. Es gibt keinen Ort. Es gibt keine Handlung. Die projizierten Schauspieler flackern auf der weißen Wand des großen Würfels auf der Hinterbühne des Landestheaters. Das Publikum sitzt darum herum im dunklen Kreis und beobachtet den beleuchteten Kreis am Boden, in dessen Mitte sich Bella Angora bewegt, als würde sie den Lichteinfall kontrollieren.
Im Hintergrund hört man sie Flüstern, die Stimmen von Kanes Text, die hier von ihren Buchstaben befreit in den Gestalten von Vivienne Causemann, Luzian Hirzel, Nico Raschner und Ines Schiller aus geöffneten Wänden heraustreten und deren Sprechtalente ohne Ablenkungen deutlich machen. Fast sachlich erzählen sie die Gedanken der gebrochenen Figuren, die sich verzweifelt an die Reste der Liebe klammern, wenn das Leben bereits verwirkt scheint.
Beunruhigende Worte ziehen tief hinein in schwere Gedanken, die von den emotionalen Verirrungen berichten und doch auf bemerkenswert kluge Weise gewaltige Gefühle schildern. Liebe wird zur Obsession und Sehnsucht zu körperlichem Schmerz. In Gier verpackt Sarah Kane die innere menschliche Zerrissenheit in Worte.

Nico Raschner und Luzian Hirzel<span class="copyright"> ANJA KÖHLER</span>
Nico Raschner und Luzian Hirzel ANJA KÖHLER

Symbolhaft

Während Bella Angora den Text komplett im Original belässt und ihn lediglich teils digital, teils von den Schauspielern gesprochen auf das Publikum wirken lässt, entfalten sich auf der Bühne ihre reichlichen Ideen. Die Regisseurin wählt starre und emotionslose Bilder, um das szenische Geschehen performativ zu gestalten. Wie alte Menschen sind die Schauspieler in einem von der Zeit befreiten Raum eingepackt in dicke versteinerte Schutzanzüge, nur um sich bedächtig und wirkungsvoll vom Ballast zu befreien und später halbnackt und mit sensiblen Gesten eine Verwundbarkeit des menschlichen Ichs zu symbolisieren, die auch in Kanes Text liegt.
Ohne mühsam zu werden passiert die Inszenierung etappenweise und langsam und schafft es meistens, die Hauptaufmerksamkeit nicht von den Stimmen wegzulenken. Die Musik (Daniel Pabst und Oliver Stotz) unterstützt als Sound die Endzeitstimmung und mildert den Text etwas ab, ähnlich wie Teile der Inszenierung auf die positiven Tendenzen des Stücks gerichtet sind. Dennoch bleibt am Ende nach einer Stunde voll abgründiger Gedanken ein bedrückendes Gefühl.