Letzte Bastion Menschlichkeit

Am Samstag hielt die „Philosophin in Residence“ der Montforter Zwischentöne Ariadne von Schirach die Trauerrede für den Anstand.
Anstatt der Musikerinnen und Musiker gibt es heuer eine „Philosophin in Residence“ bei den Montforter Zwischentönen. Die deutsche Autorin Ariadne von Schirach wurde bekannt für ihre Sachbuch-Bestseller, unterrichtet an Hochschulen und arbeitet als Rednerin, Journalistin und Kritikerin. Am Samstag war sie zu Gast beim „Begräbnis des Anstands“ und hielt zur Musik von einem der profiliertesten europäischen Sitarspieler Klaus Falschlunger, Akkordeonist Luciano Biondini und Klarinettist Christoph Pepe Auer eine feierliche und eindringliche Totenrede, welche Raum für Hoffnung lässt, dass der Anstand doch noch in den Gemütern der Lebendigen wiederaufersteht.

Menschlichkeit
Sie freue sich, zu so einem traurigen Anlass hier zu sein, begrüßt Schirach das Publikum im Alten Hallenbad, wo die „Nona Architektinnen“ den Raum mit einem düsteren Nacht- und Fledermausflair versehen haben. Die Tiere kommen in Schirachs Totenrede aber noch recht gut weg, denn es sei nicht das Animalische, das in den Menschen hervorkomme, wenn der Anstand und damit die Menschlichkeit sich verabschiede, sondern das Bestialische.
Sie habe mit vielen Menschen gesprochen, was Anstand bedeute, erzählt die Philosophin und verweist auf den großen Interpretationsspielraum, was das Wort betrifft. Auf jeden Fall finde Schirach es „anständig“, wenn jeder über seine eigene Definition nachdenke. „In Wahrheit reden wir nicht von den Dingen, wie sie sind, sondern davon, was sie für uns bedeuten.“
Schirach spannt den Bogen über Klimakrisen, Kriege und hinterfragt alles Schlechte in unserer Welt, zu der auch das Internet gehöre, das uns „aussaugt, ausspioniert und süchtig macht“. Sie erinnert in ihrer Rede an den Begründer der Logotherapie Viktor Frankl, der in seinem Buch „Trotzdem Ja zum Leben sagen“ die Menschen in zwei Kategorien einteilt: Die Anständigen und die Unanständigen. Ein besonders drastisches Beispiel dafür habe sie in der dystopischen Welt von Cormac McCarthys Roman „Der Straße“ gefunden, wo die übriggebliebenen „guten“ Menschen von den „schlechten“ sich dadurch unterscheiden, ob sie Menschenfleisch essen oder nicht.
Schutz
Der Anstand sei „die letzte Bastion, das letzte bisschen Menschlichkeit, das uns aufrechthält, bevor es hässlich wird, bevor die Angst beginnt, der Horror, die Nacht.“, sagt Schirach und beschreibt den Anstand auch als „Schutz der uns nicht nur voreinander behütet, sondern auch von dem Dunklen in uns“.
Im Grunde genommen gehe es beim Anstand darum, wie man andere Menschen behandle, beschreibt Schirach und bezieht sich mit Verweis auf ihre eigene Familiengeschichte auf den Nationalsozialismus, aber auch auf die politischen Machenschaften in der jüngeren Geschichte, welche neben den Menschen auch die Erde betreffen. „Obwohl wir jetzt nicht Äpfel mit Birnen vergleichen wollen, haben wir in den mehr als 70 Jahren seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs noch einen Zahn zugelegt mit der flächendeckenden Verdinglichung, Nutzbarmachung und Verwertung des Lebendigen, also der Menschen, Tiere und der Landschaften.“
Das Requiem für den Anstand sei auch der Selbstoptimierung, dem Egoismus und der „Entsolidarisierung“ geschuldet, die eine instabile und bedrohliche Gesellschaft hervorbringen würden. Schirach appelliert an das Gemeinsame, das die Menschen verbinde und begreife den Anstand als Voraussetzung, die „uns Rückgrat und Orientierung im Wandel der Welt“ gibt.
Weiteres Programm unter: www.montforterzwischentoene.at