Zur Gesundheit selbst beitragen

Die Verantwortung für unsere Gesundheit zu übernehmen, ist wichtig.
Die Suche nach Impfstoffen und Medikamenten, die gegen Covid-19 helfen sollen, läuft weltweit auf Hochtouren. Die Menschen müssen und sollen aber nicht ohnmächtig ausharren, bis andere Lösungen für das Problem finden. Jeder kann laut Udo Ingrisch, Arzt für Allgemeinmedizin in Thüringerberg, selbst dazu beitragen, dass er gesund bleibt – nicht nur durch Maskentragen und Abstandhalten. Jeder Einzelne hat großen Einfluss auf sein Immunsystem. Ein gesunder Organismus kann mit dem Virus besser umgehen. Die Lebensweise und die Einstellung zu dem, was passiert, bestimmen laut Ingrisch entscheidend mit. Und was wir daraus machen.
Ein Zitat von Ihnen lautet: „Wer keine Verantwortung für seine Gesundheit übernimmt, macht sich ohnmächtig.“ Wie meinen Sie das genau?
Udo Ingrisch: Das Wort „Verantwortung“ bedeutet einerseits: Ich trage Verantwortung für mein Handeln. Andererseits bezeichnet „Ver-Antwort-ung“ aber auch die Fähigkeit, zu antworten. Wie ich über ein Geschehnis denke, was für ein Gefühl ich mitnehme und weitertrage, liegt an mir. Wenn ich diese Verantwortung nicht übernehme, dann mache ich mich machtlos.
Und das hat auch einen Einfluss auf unser Immunsystem?
Ingrisch: Unser inneres Milieu ist auch abhängig von unserem Denken, Fühlen und Handeln. Je besser wir Sorgen loslassen können, desto besser ist es für unser Immunsystem, unsere Verdauung, für unseren Schlaf und alles, was in dieser Zeit der Corona-Krise besonders wichtig ist. Ich bin auch davon überzeugt, dass in jedem eine „innere Heilerin“ steckt. Die Weisheit der Seele. Es ist wesentlich, zu ihr wieder Zugang zu bekommen.

Wie gelingt das?
Ingrisch: Wir finden sie vor allem in der Stille. Der Shutdown, den wir alle erlebt haben, war ein Stopp. In gewissem Sinne auch eine Chance, innezuhalten. Der Benediktinermönch Bruder David Steindl-Rast, vielen noch bekannt von seinen Vorträgen in St. Gerold vor ein paar Jahren, empfiehlt als spirituelle Übung, was jedes Kind vor dem Überqueren einer Straße zu tun lernt: „Stop, look, go“ – also „Bleib stehen, schau, geh“. Das passt sehr gut zu unserer jetzigen Situation. Der Shutdown war das „Stop“. Unsere Chance, inne-
zuhalten. Zum „look“ füge ich „up“ hinzu. Hebe den Blick, schau auf das Mögliche. Viele Menschen sind derzeit wie gefangen und wollen ausbrechen. Andere sind auf das fokussiert, was nicht geht und das, was ihnen Kraft raubt.
Was sollten sie stattdessen tun?
Ingrisch: Das „look up“ kann sein, dass ich mich auf das besinne, was meine Vision, mein wirklicher Lebensinhalt ist.
Warum ist es so wichtig, sich damit auseinanderzusetzen, wofür wir eigentlich leben?
Ingrisch: Der österreichische Psychiater Professor Viktor Frankl hat ein Buch mit dem Titel geschrieben „Wer ein Warum zum Leben hat, erträgt fast jedes Wie“. Das „Warum“ ist ein Lebensinhalt, ein Sinn, den wir unserem Leben geben. Und das „Wie“ sind jene Lebensumstände, die zu manchen Zeiten unser Leben so schwierig machen, dass es eben nur im Hinblick auf ein Warum tragbar wird.
Und was bedeutet das „go“?
Ingrisch: Das Wieder-in-Aktion-treten. Das war ganz schön zu beobachten, speziell am Anfang der Corona-Zeit. Jeder, der irgendetwas aus der Frustration machen wollte und konnte, hat angefangen, zusammenzuräumen oder im Garten zu werkeln. Vielleicht hat er auch noch versucht, anderen trotz und mit Abstand zu helfen. Das tut gut. Für unser Selbstbewusssein zählen kleine Erfolge ebenso wie große. Freude, die wir schenken, macht uns selbst von Herzen glücklich. Viele haben auch begonnen, sich über kleine Kontakte zu freuen. Nur haben wir mit der Zeit immer mehr Shutdown erfahren. Da ist viel eingefroren. Und bei vielen Menschen ist Angst hängen geblieben.
Angst?
Ingrisch: Das kann man bei Begegnungen gut beobachten. Manche gehen einfach über die Gefahr einer Ansteckung hinweg und tun so, also, sei nichts. Es sei dahingestellt, ob das sinnvoll ist. Andere aber haben so viel Respekt, dass sie den gesunden Umgang mit dem Alltag, mit sich selbst und dem Nächsten wie verloren haben. Wir können uns aus den Einschränkungen, die wir jetzt erlebt haben, befreien, indem wir uns drei Fragen stellen: Was will ich wirklich? Wie kann ich das umweltverträglich machen? Wie wenig brauche ich eigentlich?

Was kann jeder Einzelne konkret weiter tun, um sein Immunsystem zu stärken?
Ingrisch: Das Erste habe ich schon angesprochen. Das ist, die innere Stille zu finden. Ob ich in mir Frieden habe oder nicht, liegt an mir. Aber das darf ich jeden Tag neu bestimmen. Morgens beim Aufstehen und abends beim Einschlafen. Wir haben uns abgewöhnt, zu beten. Manche lernen es gerade wieder. Aber sich einzustimmen auf das, was kommt, und das, was ist, ist etwas, das wir im Leben brauchen. Bei meinen Vorträgen empfehle ich, abends vor dem Einschlafen zu lächeln. Wer eine Stunde nicht einschlafen kann, macht intensivstes Lachmuskel-Training. Und in der Früh fällt es dann leicht, zu lächeln. Negative Nachrichten vor dem Einschlafen bewirken das Gegenteil.
Was kann man noch tun?
Ingrisch: Wieder in Bewegung kommen. Körperliche Bewegung gehört zum gesunden Leben. Unser Körper ist so aufgebaut, dass wir Bewegung brauchen, um gesund zu sein und uns wohl zu fühlen. Erfreulich viele Menschen haben während des Shutdowns die Begeisterung für die Schönheit Vorarlbergs entdeckt und sind Wege gegangen, die sie noch nie gegangen sind. Und haben gehend die Natur erlebt. Ein ganz wichtiger weiterer Punkt ist die Atmung.
Inwiefern?
Ingrisch: Das größte Problem ist, dass die Menschen nicht mehr ausatmen. Das erlebt man bei vielen Erkrankungen, aber auch im Alltag. Nicht mehr ausatmen bedeutet, nicht mehr in die Stille gehen. Es sammelt sich immer mehr an. Man atmet oberflächlich. Das Zwerchfell steht hoch, Herz und Lunge arbeiten unter erschwerten Bedingungen. Und die Gedanken sind in alle Richtungen verstreut. Mit einer tiefen Bauchatmung, wie sie im Yoga oder beim Singen praktiziert wird, kann ich dem gegensteuen. Und das bewirkt, dass ich wieder zu mir finde und ruhig werde.

Was gilt es noch zu beachten?
Ingrisch: Der nächste Punkt ist das Trinken. Viele trinken zu wenig. Wenn man den ganzen Tag eine Maske trägt, ist es natürlich schwierig. Umso wichtiger ist es, Pausen zu machen. Und Wasser zu trinken. Auf keinen Fall in irgendeiner Form Zucker.
Warum kein Zucker?
Ingrisch: Zucker ist so ziemlich das Schlechteste, was ich für mein Immunsystem tun kann. Wir sind überfüttert mit Kohlenhydraten. Ich sage nicht, wir sollen Low-Carb essen. Aber beim Getränk sollen wir sie auf jeden Fall weglassen. Beim Trinken so vorgehen, wie es einem am besten bekommt. Wenn man gern kalt trinkt, ist es wichtig, einzuspeicheln und nicht hinunterzuschütten, denn der Körper braucht recht lang, die Flüssigkeit aufzuwärmen. Sonst schwäche ich mein Immunsystem.
Und wie soll ich mich ernähren?
Ingrisch: Es wird viel darüber gesprochen, was wir essen sollen, wenig über das Wie. Damit ich meinem Immunsystem etwas Gutes tue, ist es wichtig, dass ich mich vor dem Essen entspanne. Optimal wäre eine kleine Ruhepause. Was immer möglich ist, ist dreimal tief durchzuatmen. Durch die Nase einatmen – halten – und dann langsam durch Mund und Nase ausatmen. Das Nervensystem schaltet runter, und die Verdauung kommt in Gang. Und wenn ich langsam esse – wofür die Voraussetzung die ist, dass ich nicht nebenher die Nachrichten oder WhatsApp lese – kann die Nahrung zu Medizin werden. Wenn ich einen Apfel mit Genuss esse, kommen uns seine Enzyme voll zugute.
Es ist aber schon auch wichtig, was wir essen?
Ingrisch: Natürlich. Ich empfehle, dass wir die Rohkost wie Salat oder Kräuter, die jetzt schon im Ländle wachsen, nützen. Die Natur beliefert uns. Wenn wir gut kauen und genießen, brauchen wir nicht so viel. Wenn wir nicht so viel essen, brauchen wir weniger Süßes. Durch das Zuviel ist der Magen voll. Das führt dazu, dass das Insulin ansteigt, obwohl die Nährstoffe noch großteils im Magen und nicht im Blut sind. Dann haben wir Unterzucker, und das bewirkt Heißhunger auf Süßes.
Welche Erfahrungen nehmen Sie persönlich aus der Krise mit?
Ingrisch: Zuerst sah ich mich mit einer neuen Situation konfrontiert, die von außen bestimmt wurde. Die verordneten Maßnahmen veränderten meinen Alltag grundlegend. Ich entdeckte die Stille, freute mich über den sauberen Himmel, die schönen Naturerlebnisse in nächster Umgebung und durfte trotz der äußeren Einschränkungen viel Heilsames und Kreatives erfahren. Ich erlebe die Krise als Chance.

zur Person
Dr. Udo Ingrisch geboren 1963 in Wien; Medizinstudium in Wien und Innsbruck; Lebensmittelpunkt in Vorarlberg seit 1989; Ausbildung zum Arzt für Allgemeinmedizin; 1993-1994 hauptamtlich Notarzt Seit Oktober 1994 Wahlarzt-Ordination in Thüringerberg 2005-2007 Dozent am Deutschen Institut für Pferdeosteopathie Zusatz-Diplome: Manuelle Medizin; Regeneration nach Dr. F.X. Mayr Osteopathie; Pferdeosteopathie; Ernährungsmedizin, Diplom für Akupunktur; Hypnose; NLP (Neurolinguistisches Programmieren); www.dr-ingrisch.at