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„Tatsächlich hatte ich keine Sexualkunde“

03.09.2022 • 17:45 Uhr / 9 Minuten Lesezeit
Lisa-Marie Berkmann schreibt gemeinsam mit einer Freundin Lieder. Darunter sind auch Lovesongs. Sie haben diese schon auf Hochzeiten performt. <span class="copyright">Rhomberg</span>
Lisa-Marie Berkmann schreibt gemeinsam mit einer Freundin Lieder. Darunter sind auch Lovesongs. Sie haben diese schon auf Hochzeiten performt. Rhomberg

Dass Homosexualität existiert, lernte Lisa-Marie Berkmann nicht in der Schule. Heute ist sie mit einer Frau verpartnert. Als Kind dachte sie noch, dass sie dafür ein Mann sein müsste.

Vielleicht wollte ich als Kind immer ein Bub sein, weil mir schon immer Frauen gefielen“, überlegt Lisa-Marie Berkmann laut. Sie wollte damals nicht in die Schule gehen, weil ihr Name den anderen Schülern ihr Geschlecht verraten hätte. Sie wünschte sich eine Namensänderung.

Mittlerweile ist sie kein Mädchen mehr und heißt immer noch Lisa-Marie. Denn heute weiß die selbstständige Eventmanagerin beim Verein Caravan, dass sie kein Mann sein muss, um eine Beziehung mit einer Frau führen zu können. Sie lebt schon seit fünf Jahren in einer eingetragenen Partnerschaft mit Claudia. Die Krankenschwester hat sie bei einem Konzert im Club Conrad Sohm kennengelernt.

Doch die Klarheit beim Thema Sexualität und Geschlecht war nicht immer wie jetzt. Nicht nur Lisa-Marie Berkmann hatte in der Vergangenheit diese Unsicherheit bezüglich ihres Geschlechts im Kopf. „Meine Mutter war sich während der Schwangerschaft mit mir zu 100 Prozent sicher, dass ich ein Junge bin“, erzählt die 31-Jährige. Deswegen sei ihre Mama dann überrascht gewesen, als sie ihr später sagte, dass sie lesbisch ist. Sie habe eher mit der Botschaft gerechnet, dass sie sich als Mann fühle, erklärt Lisa-Marie Berkmann. Das, obwohl sie sich heute als die Prinzessin in der Beziehung fühlt. Ihr Kurzhaarschnitt leite etwas in die Irre, denn sie sieht sich als den sensibleren Part. Den Antrag hat sie etwa beim Adele-Konzert zum Lied „Make you feel my love“ gemacht.

Eine Erinnerung an die Hochzeit am 3. Mai 2017 mit ihrer Frau Claudia in Lustenau
Eine Erinnerung an die Hochzeit am 3. Mai 2017 mit ihrer Frau Claudia in Lustenau

„Wenn ich ein Junge wäre…“

Der Grund für den früheren Wunsch, ein Junge sein zu wollen, war womöglich einer Wissenslücke geschuldet. Während der Schulzeit hat sich die Dornbirnerin oft überlegt, auf was für ein Mädchen sie stehen würde, wenn sie ein Junge wäre. „Ich dachte mir damals, dass nur eine Beziehung zwischen Frau und Mann oder unter Männern möglich ist“, erklärt die Eventmanagerin. Warum für sie damals zwar gleichgeschlechtliche Beziehungen zwischen Männern in ihrer Vorstellungskraft existierten, zwischen lesbischen Frauen jedoch nicht, kann sie heute nicht erklären. „Vielleicht habe ich etwas zu homosexuellen Männern durch das Fernsehen mitbekommen“, versucht sie es herzuleiten. In der Erziehung war es nicht präsent. Sexuelle Ausrichtungen waren kein Teil der Unterrichtsinhalte und ihre Familie sprach nicht darüber. Da sie nie eine Partnerin mit nach Hause gebracht hat, gab es keinen konkreten Anlass für ein Aufklärungsgespräch. „Tatsächlich hatte ich keine Sexualkunde an der Schule. Unser Sexualunterricht bestand nur aus einer Einheit über Geschlechtsorgane.“, erinnert sich Lisa-Marie Berkmann. Wenn ihre Aufklärung anders gewesen wäre, hätte sie womöglich schon früher über ihre sexuelle Ausrichtung nachgedacht, vermutet sie. „Dann wäre ich vielleicht nicht so lange in meiner Blase geblieben. Dafür weiß ich jetzt viel über Dinosaurier und Schmetterlinge“.

Lisa-Marie Berkmann, LGBTQIA+
Lisa-Marie Berkmann, LGBTQIA+

Wendepunkt

Der Ausbruch aus dieser Blase gelang ihr durch ein Erlebnis, das ihr die Augen öffnete. Sie schwärmte in der Schulzeit meist für die feminineren Jungs. Als sie ihren „Crush“ küsste, merkte sie, dass keine Schmetterlinge entfacht wurden. Hingegen Küsse, die sie beim Feiern zum Spaß mit einer Freundin austauschte, bewirkten mehr: „Ich konnte mich danach nicht mehr daran erinnern, weil es mich so überwältigt hat.“

Geoutet hat sie sich mit 17 Jahren. Es war nicht die beste Erfahrung, denn es passierte im Eifer des Gefechts im Streit mit ihrer Mutter. Generell steht sie zwiegespalten zum Thema Outing. „Es outet sich ja auch niemand, dass er heterosexuell ist“, wendet sie ein. „Ich selbst laufe nicht mit einem Schild herum, dass ich homosexuell bin. Aber wenn mich jemand fragt, ob ich einen Freund habe, weise ich darauf hin, dass ich wenn dann eine Freundin hätte“, beschreibt sie ihren Umgang damit. Für sie ist ihre Sexualität im Alltag kein großes Thema mehr. „Homosexualität ist normal. Darum sollte das Outing nicht zu sehr aufgebauscht werden. Wir sollten alle Menschen sein und uns in Menschen verlieben“, sagt sie dazu. Das Verschweigen eines gleichgeschlechtlichen Partners sieht sie als kritisch. Sie steht offen zu ihrer Partnerin und erlebte bisher wenig negative Konfrontationen. Manche nicht betroffene Menschen würden sich mehr den Kopf über den Alltag als LGBTIQ-Person zerbrechen. „Viele stellen sich Fragen zu Themen, über die ich mir keine Gedanken mache“, erklärt sie. Sie denkt nicht darüber nach, ob sie die Hand ihrer Partnerin beim Spaziergang durch die Stadt hält oder sie in der Öffentlichkeit küsst.

Zu ihren Hobbies gehört Eishockey.<span class="copyright">Rhomberg</span>
Zu ihren Hobbies gehört Eishockey.Rhomberg

Gaydrinking

Nur vor einer Reise nach Jamaika habe sie sich den Kopf zerbrochen. Reisen ist eines ihrer vielen Leidenschaften neben Eishockey, dem Erweitern ihrer Festivalbandsammlung, dem Schreiben von Songs oder der Organisation von Hochzeiten. Allein im Jahr 2022 war sie schon in London, Amsterdam, Antwerpen, Chicago, Paris und Jamaika. Bevor sie die Reise nach Jamaika angetreten sind, hatte das Paar mitbekommen, dass Homosexualität dort illegal sei. Deswegen hätten sie sich angepasst und nicht wie üblich die Hand voneinander gehalten. „Eine Strandverkäuferin ist dann auf uns zugekommen und hat gemeint, sie merkt, dass wir ein Paar sind. Wir sollen das offen zeigen, weil es nicht stimme, dass Jamaikaner homophob sind“, erzählt sie. Das war nicht das einzige positive Erlebnis. Am Arbeitsplatz als einzige Frau als Kunststofftechnik-Lehrling bemerkte sie positive Auswirkungen, weil sie offen von ihrer sexuellen Ausrichtung erzählt hatte. Die Aussagen der Kollegen zum Thema Homosexualität seien überlegter geworden.

Auch Reisen und der Besuch von Festivals gehört zu ihren Hobbies. <span class="copyright">Rhomberg</span>
Auch Reisen und der Besuch von Festivals gehört zu ihren Hobbies. Rhomberg

Auch beim von ihr organisierten „Gaydrinking“ wurde sie positiv überrascht. Das leitet sich vom Begriff „Daydrinking“ ab. Die Veranstaltung findet alle zwei Monate im Engel in Dornbirn statt und es sind sowohl LGBTIQ-Personen und alle anderen toleranten offenen Personen willkommen. Anfangs hatte sie Bedenken wegen den möglichen Reaktionen der Stammgäste, wurde dann aber durch das positive Feedback bestärkt. Die Veranstaltung soll Vernetzung und neue Bekanntschaften ermöglichen, erklärt sie. Sie selbst hat früher diesen persönlichen Austausch in Clubs in Lindau und Zürich oder auch im Mädchenzentrum Amazone gesucht. Für sie ist persönlicher Kontakt wichtig, vor allem wenn man neu in der „Szene“ ist. „Am Schluss sitzt immer eine große Runde um einen Tisch und alle reden mit allen“, erzählt sie. So wird ein Austausch ermöglicht.

Älska heißt Liebe auf Schwedisch. Das gemalte Bild ist eine Erinnerung an die Hochzeit. <span class="copyright">Rhomberg</span>
Älska heißt Liebe auf Schwedisch. Das gemalte Bild ist eine Erinnerung an die Hochzeit. Rhomberg

Begriffsverwirrung

Auch sonst sieht sie Fragen von Bekannten nicht als Eingriff ins Privatleben, sondern als Chance, Aufklärungsarbeit zu leisten. Doch nicht einmal sie selbst kennt sich mit allen Geschlechterbezeichnungen aus.
„Bin ich ein schlechter homosexueller Mensch, weil ich nicht alles weiß?“, fragte sie sich schon einmal. Sie habe eine Freundin verloren, weil die Kommunikation zu kompliziert wurde. „Ich konnte keinen Satz sagen, ohne korrigiert zu werden, weil ich angeblich jemanden diskriminiert habe“, erzählt sie. Davon lässt sie sich jedoch nicht unterkriegen und geht ihren Weg.

CSD-Pride-Vorarlberg

Nach einer Corona geschuldeten Unterbrechung findet wieder der Christopher-Street-Day (CSD) in Bregenz statt. Auch die Regenbogen-Parade und die große Feier werden abgehalten. Das Team der „Pride“ organisiert den CSD-Pride-Vorarlberg und lädt alle dazu ein.

Freitag, 9. September, ab 21 Uhr: Warm Up Party, Low Bar & So

Samstag, 10. September, ab 13 Uhr: Village mit Kundgebung am Kornmarktplatz, Regenbogenparade, Show & Musik; ab 21 Uhr: CSD-Party im Gösser

Sonntag, 11. September, ab 12 Uhr: LGBTIQ Picknick im Schwarzbad Lochau