Als armer Bub geboren, als Ehrenbürger gestorben

Josef Wichners Geburtstag jährt sich morgen zum 170. Mal. Der gebürtige Bludenzer erlangte als Volksschriftsteller Bekanntheit.
In Bludenz wurde 1852 ein Bub geboren, der dort in armen Verhältnissen aufwuchs und als Neunjähriger zum Vollwaisen wurde. Dennoch konnte er studieren, wurde Professor am Gymnasium, Volksbildner und Schriftsteller. Er schrieb über 1500 Werke, darunter eine wissenschaftliche Arbeit und an die 35 Bücher; eines davon war ein Vorarlberger Heimatbuch, ein anderes handelte von Vorarlberger Natur, Geschichte, Sagen und Legenden. Josef Wichner (1852–1923) ist der Name dieses Mannes. Noch heute erinnern Straßen, die seinen Namen tragen, an ihn – etwa in Bludenz, Altach oder Hohenems, aber auch in Wien und in Krems an der Donau. In Krems lebte er von 1880 bis zu seinem Tod im Jahr 1923. Seiner Heimat Vorarlberg blieb Wichner verbunden, 1922 wurde er zum Ehrenbürger der Stadt Bludenz ernannt.

Wichners Vater, der verschiedene Berufe wie Schneider oder Landwirt ausübte, hatte mit seiner ersten Frau acht Kinder, nach deren Tod heiratete er erneut. „Ich war des neuen Bundes erstes Kind, dem noch drei andere folgten“, schrieb Wichner. Zwölf Kinder hatte Wichner senior also, doch kaum eines von ihnen erreichte das Erwachsenenalter. Als Wichner aufwuchs, lebte nur noch ein Halbbruder aus der ersten Ehe. Er start aber auch mit 20 Jahren. Der Halbbruder sei, so schrieb Wichner, „dem Gespenst der Armut, das in unserem Haus gründlich aufgeräumt hat, der Tuberkulose“ zum Opfer gefallen.
Trotzdem glückliche Kindheit
Nach dem Tod von Vater und Mutter kümmerten sich zwei Tanten um Wichner und die anderen noch lebenden Geschwister. Die Tanten waren ebenfalls arm. Dennoch hatte Wichner eine glückliche Kindheit, wie er in späteren Jahren öfters schrieb.
In der Schule sei er früh als aufgeweckter Bub aufgefallen, erzählt Detlev Gamon, Wichner-Kenner und Gründer der Josef-Wichner-Gesellschaft. Der Schriftsteller schrieb, dass sich unter den Geistlichen und Lehrenden des „Städtchens“ die Meinung gebildet habe, „es sei doch schade, meine Anlagen an einen Fabriksspinnstuhl zu verschwenden.“ Ein Kaplan überzeugte die Tanten, den Buben ans Gymnasium nach Feldkirch zu schicken, und der Geistliche sorgte auch gleich dafür, dass er Kostplätze erhielt. Somit wurde Wichner jeden Tag zum Mittagessen eingeladen.

Die Matura bestand der junge Josef 1872 mit Auszeichnung. Danach studierte er drei Jahre in Brixen Theologie, bis er nach „schweren inneren Kämpfen“ zur Überzeugung kam, dass „ein ersprießliches priesterliches Wirken“ für ihn unmöglich sei. So zog er nach Innsbruck und studierte Germanistik. „Finanziell war das eine harte Zeit“, erzählt Gamon. Aber, so Wichner selbst: „Ich habe auch hie und da über die Stränge geschlagen und mir ein Räuschlein angezecht, wenn sich unverhofft ein größeres Sümmchen einstellte.“
Noch größer wurde die Motivation für das Studium, als Wichner sich verliebte. „Ich (…) hatte in all meiner Armut nun doch einen … Schatz!“, schrieb er. Neben der Not „trieb mich nun auch die Liebe zu ernster Arbeit.“ 1878 schloss Wichner sein Studium ab.
Heirat und Umzug
Danach unterrichtete er zwei Jahre am Gymnasium in Feldkirch, wo er einst selbst die Schulbank gedrückt hatte. Im August 1880 führte er „die geliebte Braut“, Maria Mathiasch, in Wien heim, im Herbst 1880 erhielt er eine Lehrstelle am Gymnasium in Krems in Niederösterreich, auf die er sich beworben hatte. Dort sollte er bis zu seiner Pensionierung 1908 unterrichten.
Aus Rücksicht auf seine Frau bemühte sich Wichner nicht mehr um eine Professorenstelle in Vorarlberg. Einerseits hätte sie, die Ostösterreicherin, Probleme mit der Sprache gehabt, erklärt Wichner-Experte Gamon. Andererseits wollte der gebürtige Bludenzer ihr den Trennungsschmerz von ihren vielen Verwandten ersparen, an denen sie umso mehr hing, als das Ehepaar keine Kinder hatte. Bis 1902 war der Professor oft in Vorarlberg auf Besuch, danach kam er 20 Jahre lang nicht mehr über den Arlberg. Dafür gab es mehrere Gründe, etwa dass seine Vorarlberger Verwandten gestorben waren. Als Wichner 1922 dann wieder seine alte Heimat besuchte, „wurde er mit einem Triumphzug sondergleichen“ empfangen, so Gamon. Nicht nur in Bludenz, sondern auch in Krems erhielt er in diesem Jahr die Ehrenbürgerschaft.

Kurz nachdem Wichner nach Krems gezogen war, begann er, sich für die Volksbildung einzusetzen. „Er hatte erkannt, dass die Menschen durch die Schule allein nicht auf das Leben vorbereitet werden, auch die Gymnasiasten nicht“, erklärt Gamon. Volksbildungsaktivitäten sollten hier Abhilfe schaffen. Der 1885 von Wichner mitgegründete Niederösterreichische Volksbildungsverein richtete Bibliotheken in ganz Niederösterreich ein, veranstaltete Vorträge und gab die Niederösterreichischen Volksbildungsblätter heraus. Wichner, der mit dem Schriftsteller Peter Rossegger befreundet war, führte sie von 1891 bis zu seinem Tod im Jahr 1923 als Schriftleiter. In diesen Zeitschriften publizierte Wichner auch seine Geschichten. Wenn einige zusammengekommen waren, veröffentlichte er sie dann in einem Buch.
Sechs Auflagen
Das erste so entstandene Buch trug den Titel „Alraunwurzeln“ und erschien 1889. Gamon: „In den Geschichten dieses Buches erkennen wir deutlich die pädagogische Absicht Wichners, Wege in eine bessere Welt aufzuzeigen.“ Das Buch erschien in sechs Auflagen.
Auf die Frage, wie viele Werke Wichner geschrieben hat, sagt Gamon: „Was ist ein Werk? Über diese Frage streiten die Götter.“ Für ihn zählt ein Gedicht ebenso als Werk wie ein Roman. Auch die kunstvoll geschriebenen Briefe Wichners seien Werke, sagt Gamon. Er hat auf dieser Auffassung beruhend eine Werkliste erstellt, die mehr als 1500 Schriften enthält. Darunter sind Romane, Schwänke, Artikel oder Gedichte. In andere Sprachen wurden Wichners Bücher noch nicht übersetzt, so Gamon. Im Moment sind alle Bücher vergriffen, sie können nur antiquarisch gekauft werden.

Auch wenn Wichners Bücher nicht im Handel zu kaufen sind: In Vergessenheit sei er trotzdem nicht geraten, meint Gamon. Er werde beispielsweise in der Literatur noch oft zitiert. Dennoch, so räumt Gamon ein, sei Wichner heute nicht mehr so bekannt. Dafür gebe es mehrere Gründe: Da er aus Vorarlberg stammte, aber einen großen Teil seines Lebens in Niederösterreich wohnte, sei er als Schriftsteller quasi heimatlos gewesen. Zudem sind die Bücher, die es von ihm noch gibt, in der alten Frakturschrift geschrieben, was das Lesevergnügen einschränken kann.
„Die Begeisterung für Wichner hält ungebrochen an“
Im Jahr 2011 entdeckte der heute 76-jährige Detlev Gamon Josef Wichner für sich. Die beiden eint unter anderem, dass sie aus Vorarlberg stammen, aber längere Zeit in Niederösterreich lebten; Gamon wohnt seit 2002 in Mistelbach. Er hat zwar in der Schule, die er in Bludenz besuchte, Wichner-Geschichten gelesen, doch „dann ist es in meinem Leben still um ihn geworden.“ Jahrzehnte später entdeckte er den Namen in einem Vorwort, und er begann, sich mit ihm zu beschäftigen. „Die Ermittlungen haben mich nicht mehr losgelassen, die Begeisterung hält ungebrochen an!“ Es sei Wichners Humor, der ihn bei der Stange halte, so der Absolvent eines Philosophie-Studiums und ehemalige Mitarbeiter bei den ÖBB und im Verkehrsministerium. Wie intensiv er über den Schriftsteller forscht, zeigt sich daran, dass die meisten Beiträge über Wichner im Katalog der Vorarlberger Landesbibliothek von ihm stammen.
Andenken pflegen
Im August 2021 gründete Gamon die Josef-Wichner-Gesellschaft. Der Verein möchte das Andenken an Wichner pflegen, doch auch an andere Personen – vor allem an regionale Schriftsteller – erinnern, die in früheren Zeiten Bedeutsames geleistet haben. Die nächste Aufgabe des Vereines ist, die Werke Wichners leicht zugänglich zu machen. Er ist unter www.josef-wichner-gesellschaft.at zu finden.
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