Über Fliegen und die Logik der Natur

Die Kolumne von Heidi Salmhofer in der NEUE am Sonntag.
Auch wenn man es kaum glauben mag, der Sommer naht. Und mit den wärmeren Temperaturen kommen auch Gäste ins Haus, die man bestimmt nicht eingeladen hat. Fliegen. Jetzt in diesem Moment knallt alle 30 Sekunden eine von diesen – man möge mir den Ausdruck verzeihen – Mistviechern gegen meinen Computerbildschirm. Boing. Zsssss. Boing. Zsssss. Boing. Die Merkfähigkeit dieses Insektes lässt wirklich zu wünschen übrig. Etwas, das es zwingend in diesem Zusammenhang zu erforschen gilt, ist: Warum es für diese fliegenden, schwarzen Flecken so ein Leichtes ist, beim Fenster herein zu finden (noch nie ist mir eine Fliege verzweifelt von außen 100 Mal gegen das Fenster geknallt. Noch nie!), aber so ein Schweres, den umgekehrten Weg zu finden. Ich kann alle Fenster in der Wohnung sperrangelweit offen haben, das Viech knallt mit Sicherheit genau gegen die einzige Glasscheibe im gesamten Wohnbereich, die sich nicht öffnen lässt. Selbst mein bereitwilliger Versuch, dieses nach menschlichen Maßstäben mit bescheidener Intelligenz gesegnete Lebewesen behutsam mittels Zeitungspapier hinauszuwedeln, scheitert. Die Fliege zummt einen Bogen durchs Zimmer und Boing! – wieder nichts. Wer bei der Vergabe von Sehkraft und Gehirnmasse gerade auf der Toilette war, hat halt Pech. Diesbezüglich haben sie eher Mitleid verdient.
Was aber gar nicht geht, ist, dieses unfassbare Lästigsein, wenn Frau Salmhofer entweder einen Powernap braucht oder endlich einmal ausschlafen könnte. Weil genau dann findet die Fliege den exakten Weg zum Zielort – die Nase, das Auge oder im schlimmsten Fall sogar die Lippen. Das heißt dann, um fünf Uhr früh entweder den eigenen, aufkeimenden Mordgelüsten nachzugehen oder sich die Decke über alles, was Haut freilegt, zu ziehen und mit Luftmangel kämpfen. Während man also unter der Decke liegt, brummt das Tier einstweilen wieder gegen das Fenster. Boing. Bsssss. Boing. Es gibt keinen besseren Wecker, wenn man ihn nicht braucht. Ich bin inzwischen zu der Überzeugung gelangt, dass der Mangel an Gehirn ein Fliegenselbstschutz ist. Sie darf über sich selbst nicht zu viel nachdenken. Denn, wenn man in der Natur dazu dient, schon im Kindesalter tote Tiere zu zersetzen und im Anschluss Dreck wegzufressen, würde das eine ganze Menge Therapiestunden brauchen, wenn man sich dessen bewusst wäre. So sind sie happy, wie es ist. Ihr Leben als denkende Fliegen würde bedeuten, weniger Verwesung und mehr Mist. Somit hat alles irgendwie seine Logik. Aber bitte bitte bitte, den Mist vor meiner Haustüre säubern. Meine Nase ist blitzeblank. Danke.
Heidi Salmhofer ist freiberufliche Theatermacherin und Journalistin. Sie lebt mit ihren Töchtern in Hohenems.