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“Vorarlberg schneidet gut ab“

15.09.2023 • 19:58 Uhr / 10 Minuten Lesezeit
Der 71-jährige Winfried Hermann ist seit 2011 Verkehrsminister von Baden-Württemberg. Der 71-jährige Winfried Hermann ist seit 2011 Verkehrsminister von Baden-Württemberg. <span class="copyright">Paulitsch</span>
Der 71-jährige Winfried Hermann ist seit 2011 Verkehrsminister von Baden-Württemberg. Der 71-jährige Winfried Hermann ist seit 2011 Verkehrsminister von Baden-Württemberg. Paulitsch

Interview. Der Verkehrsminister von Baden-Würt­temberg spricht im NEUE-Interview über die Ziele, die sein Land mit Vorarlberg verbinden.

Baden-Württemberg hat 28 Mal so viele Einwohner wie Vorarlberg und mehr als ganz Österreich: Was führt den Verkehrsminister dieses Landes zu uns?
Winfried Hermann: Wir haben mit Vorarlberg eine institutionelle Partnerschaft. Unsere beiden Länder berühren sich zwar nur über den Bodensee, aber seit Winfried Kretschmann Ministerpräsident ist und ich Landesverkehrsminister bin, gibt es regelmäßige Kontakte mit der Vorarlberger Landesregierung. Als wir unsere Strategie für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs entwickelt haben, wurde auch untersucht, wie unsere Nachbarländer aufgestellt sind. Dabei hat man sich neben einigen deutschen Bundesländern und der Region Zürich auch Vorarlberg angesehen. Wir haben festgestellt, dass die Region mit Blick auf den öffentlichen Verkehr und den Radverkehr ziemlich gut abschneidet. Bei einem Besuch im April haben wir uns über das Vorarlberger Modell der Steuerung der Busverkehrsausschreibung ausgetauscht und die Vernetzung der verschiedenen Verkehrsmittel angeschaut, etwa am neuen Bahnhof in Feldkirch. Landessrat Daniel Zadra hat mich damals gefragt, ob ich zum Radgipfel kommen würde, da habe ich gerne zugesagt. In Baden-Württemberg versuchen wir mit der Initiative Radkultur, die Menschen für das Fahrrad zu begeistern. In Vorarlberg gibt es außerdem eine ähnliche politische Konstellation wie in Baden-Württemberg.

Gibt es auch etwas, das Vorarl­berg von Baden-Württemberg lernen kann?
Hermann: Wir haben natürlich eine andere Ausdehnung als Vorarlberg, was uns dazu zwingt, einen besonders strategischen Ansatz zu wählen. Das ist auch unsere Stärke innerhalb Deutschlands. Als die Grünen in Baden-Württemberg an die Regierung kamen, waren wir beim Radverkehr im Bundesvergleich praktisch das Schlusslicht und auch im öffentlichen Verkehr waren wir nicht so wahnsinnig gut aufgestellt. Heute schaut man in Deutschland: Was machen die Verantwortlichen in Baden-Württemberg? Früher galt bei uns die Annahme: Bei uns kann man nicht so gut Radfahren, weil wir so viele Berge haben. Mit der Einführung von Pedelecs ist das vorbei. In der Politik ist oft so, dass niemand zuständig sein will, wenn es Probleme gibt. Deshalb haben wir mit den Kommunen und Kreisen konkrete Vereinbarungen der Zuständigkeiten getroffen. Mit dieser Strategie sind wir weit gekommen. Wichtig war es, ein Landeswegenetz für den Radverkehr aufzubauen. Früher endeten die Radstrecken bisweilen im Nirgendwo. Jetzt haben wir die Lücken geschlossen und ein Radwegenetz mit etwa 8000 Kilometern, das kontinuierlich in Umfang und Qualität ausgebaut wird.

Wie funktioniert bei ihnen der Umstieg mit dem Rad in die öffentlichen Verkehrsmittel? In Baden-Württemberg fahren nun ja interimistisch jene Talent-3-Züge, die bei uns nie angekommen sind.
Hermann: Nicht nur, wir haben eine Nahverkehrsgesellschaft, die Züge bestellt und das Angebot gestaltet. Wir haben uns entschieden, die Fahrzeugbeschaffung als Land in die Hand zu nehmen, nachdem wir langjährig von der Deutschen Bahn abhängig waren. Der Vertrag lief bis 2016. Der Vorteil daran war, dass wir uns in der Zeit überlegen konnten, wie wir es besser machen können. Wir haben jetzt eine Flotte von über 300 Nahverkehrszügen, unter anderem von Siemens und Alstrom. Die Züge verpachten wir dann an das Verkehrsunternehmen, welches in unserem Auftrag eine bestimmte Strecke bedient. Die Fahrradmitnahme ist bei uns in allen Nahverkehrszügen möglich und kostenlos – mit Ausnahme der Hauptverkehrszeit morgens.

Verkehrsminister Winfried Hermann beim Radgipfel in Hohenems. <span class="copyright">Paulitsch</span>
Verkehrsminister Winfried Hermann beim Radgipfel in Hohenems. Paulitsch

Vorarlberg hat aus deutscher Sicht eine gewisse Nadelöhrfunktion beim Zugverkehr in die Schweiz. Gibt es Ihrerseits Interesse an einem zweigleisigen Ausbau bei Bregenz?
Hermann: Wir legen großen Wert auf eine gute Bahn. Das Bahnsystem muss vor allem in Deutschland ausgebaut und saniert werden. Ich werde jetzt aber keine Empfehlungen machen, wo man das in Österreich tun sollte. Ich kann nur von unserer Seite auf einige Verbesserungen verweisen, die aber noch nicht vollständig sind: Die Strecke von Ulm nach Friedrichshafen und von dort nach Lindau wurde elektrifiziert. Das Land Baden-Württemberg hat lange dafür gekämpft und auch viel Geld dafür ausgegeben, nachdem der Bund und die Bahn das ursprünglich nicht machen wollten. Wir haben dann die Hälfte der Kosten selbst übernommen. Wir planen außerdem, die Bodenseegürtelbahn, die am Nordufer auf deutscher Seite verläuft, auszubauen und zu elektrifizieren. Hier wird zum Teil noch auf eingleisigen Strecken herumgedieselt. In Stuttgart wird nach aktuellem Stand der neue Hauptbahnhof und „Stuttgart 21“ Ende 2025 eröffnet werden. Dadurch verkürzen sich die Fahrzeiten dann deutlich. Die Fernstrecken nach Vorarlberg gehören in den Aufgabenbereich der Deutschen Bahn.

Die Schweiz hat einen Teil des Bahnausbaus nach München übernommen. Man hat das Gefühl, die Deutsche Bahn braucht immer einen gewissen Impetus.
Hermann:
Die Schweizer haben nicht den Ausbau selbst, aber dankbarerweise die Planungs­kosten bezahlt – damit es endlich vorangeht. Die Strecken in Süddeutschland liegen für Berlin und die Deutsche Bahn – wie ich gerne und leicht übertreibend sage – in Oberitalien. Wir sind am Rande der Republik und nicht im Fokus der Bahn.

Das sieht man auch an der Zubringerstrecke zum Brenner-Basis-Tunnel, bei dem die Deutsche Bahn säumig ist.
Hermann: Wie man etwas so lange hinauszögern kann, obwohl es eine derart zentrale Güterverkehrsstrecke ist, verstehe ich nicht. Dasselbe Problem gibt es beim Ausbau der Rheintalbahn in Baden-Württemberg.

Vielleicht hat man sich gedacht, dass es länger dauern wird, wenn die Österreicher und die Italiener zusammen etwas bauen wollen.
Hermann: Das kann durchaus sein. Aber ich glaube, zwischenzeitlich ist in Deutschland niemand mehr arrogant, was das Eisenbahnnetz betrifft, weil die Defizite so offenkundig sind, dass man sich eher schämt.

Stuttgart 21

Das umstrittene Bahnhofsprojekt soll der baden-württembergischen Landeshauptstadt Stuttgart einen unterirdischen Durchgangsbahnhof bescheren. Kosten, Baumfällungen und Ausschreitungen beim Bau sorgten für Schlagzeilen. Derzeit prozessieren das Land Baden-Württemberg und die Deutsche Bahn um die explodierenden Kosten.

Wie geht es ihnen mit „Stutt­gart 21“, ein Projekt, gegen das Sie ursprünglich waren und das nun Ihre bisherige Amtszeit begleitet.
Hermann: Die ersten Eröffnungstermine waren 2008, dann wurde 2021 angepeilt, nun sind wir bei 2025. Wir hatten nach der Regierungsübernahme 2011 ein dreiviertel Jahr lang einen Konflikt in der Regierung, da alle Parteien im Landtag außer den Grünen für das Projekt waren. Wir haben dann mit der SPD, mit der wir damals koaliert haben, eine Volksabstimmung vereinbart, die für die Umsetzung ausgegangen ist. Damit war mir als Minister die Legitimation entzogen, weiter gegen das Projekt zu kämpfen. Als Demokrat fühle ich mich da auch nicht als Verräter, sondern respektiere das. Leider sind alle Prognosen der Kritiker eingetroffen. Ursprünglich ist man bei „Stuttgart 21“ mit Kosten von rund drei Milliarden Euro ausgegangen, jetzt sind wir bei zehn Milliarden. Ich wurde im Landtag als Lügner beschimpft, weil ich gesagt habe, das Projekt kostet mindestens sechs Milliarden.

Was sagen die Leute heute dazu?
Hermann: Nichts. Von den Leuten, die so begeistert von diesem Projekt waren, ist bisher noch keiner gekommen und hat gesagt: „Ich bin immer noch dafür, aber du hast Recht gehabt, dass es teurer geworden ist.“ Wenn man sie drauf anspricht, heißt es nur: „Es ist nur deswegen so teuer geworden, weil ihr es verhindern wolltet!“

Die Internationale Bodenseekonferenz, an der Sie beteiligt sind, hat das Ziel ausgegeben, die Bodenseeschifffahrt klimaneutral zu machen. Die größte Flotte am See gehört den Stadtwerken Konstanz. Gibt es auch Einflussmöglichkeiten des Landes?
Hermann: Das war einer der wichtigsten Erfolge, den wir vor zwei Jahren bei der Internationalen Bodenseekonferenz beschließen konnten. Wenn man die Klimaneutralität nicht in einer derart wohlhabenden Region realisieren kann, wo denn sonst? Das größte Problem ist übrigens Deutschland mit dem Autoverkehr am Ufer und der noch nicht elektrifizierten Bahnstrecke. Es sind aber auch etwa 40.000 Schiffe und Boote auf dem See unterwegs. Auch die Segelboote haben zumindest einen kleinen Verbrennungsmotor. Die großen Schiffe müssen elektrifiziert oder mit Brennstoffzellen ausgestattet werden. Mit der „Mainau“ gibt es ein ers­tes Versuchsschiff. Die Bodenseeschifffahrt ist die Cash-Cow der Stadt Konstanz, aber auch hier muss man umdenken. Gleiches gilt natürlich für die Sport- und Freizeitschifffahrt. Insofern freut es mich, dass das Angebot an emissionsfreien Booten beständig wächst. Wir werben für einen klimaneutralen Bodensee, auch bei der Stadt Konstanz. Wir streben an, mit allen Anrainern ein Transformationskonzept zu entwickeln.