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„Jede Diagnose Krebs zieht einem den Boden unter den Füßen weg“

29.10.2023 • 13:27 Uhr / 5 Minuten Lesezeit
Bernd Hartmann beim Gespräch mit der NEUE. <span class="copyright">Hartinger</span>
Bernd Hartmann beim Gespräch mit der NEUE. Hartinger

Bernd Hartmann (57) hat als Oberarzt der Hämatologie im Landeskrankenhaus Rankweil und Präsident der Krebshilfe Vorarlberg täglich mit Krebspatienten zu tun.

Warum ist es wichtig, im Oktober auf Brustkrebs aufmerksam zu machen?
Bernd Hartmann:
Alle drei Sekunden erkrankt ein Mensch weltweit an Krebs und alle 30 Sekunden ist es Brustkrebs. In Österreich erkrankt alle 95 Minuten eine Person an Brustkrebs. In Vorarlberg erkranken jährlich etwa 270 Personen neu, davon ist etwa ein Prozent männlich. Im Pink Ribbon Monat wird mit Veranstaltungen daran erinnert: Geht zur Vorsorge und macht selber Vorsorge. Auch wird das Stigma Brustkrebs durchbrochen und gezeigt, dass erkrankte Frauen Teil der Gesellschaft sind und sich da weiterhin bewegen können und sollen. Das Ziel ist es, den Brustkrebs so früh wie möglich zu erkennen, weil dann ist er gut heilbar.

Beim Gespräch mit der NEUE. <span class="copyright">Hartinger</span>
Beim Gespräch mit der NEUE. Hartinger

Wann und wie oft sollten Frauen zur Vorsorge gehen?
Hartmann:
Vom 45. Bis 74. Lebensjahr sollen Frauen alle zwei Jahre zur Mammografie gehen. Eine Brustuntersuchung sollen sie selbst monatlich machen. Das kann man nach der Dusche machen, wenn man mit einer Hand die Brust fixiert und mit der anderen Hand sie durchtastet. Jede Frau kennt ihre Brust am besten und durch die regemäßige Untersuchung hat sie auch einen Vergleich. Alles, was neu ist und sich verändert auch etwa an der Haut, oder die Brustwarze sich einzieht und es zu Sekret Abgabe kommt muss abgeklärt werden. Am besten sich dann beim Gynäkologen oder Hausarzt vorstellen.

Die pinke Schleife macht auf Brustkrebs aufmerksam. <span class="copyright">Hartinger</span>
Die pinke Schleife macht auf Brustkrebs aufmerksam. Hartinger

Haben wir Einfluss auf das Risiko zu erkranken?
Hartmann:
Prävention ist noch wichtiger als Vorsorge. Wir glauben, dass mehr als 10 Prozent der Krebserkrankungen in Lifestyleproblemen gründen. Das ist schweres Übergewicht, Rauchen und Alkohol. Man soll versuchen, durch einen gesunden Lebensstil Prävention zu betreiben.

Haben Hormone wie etwa die Antibabypille Auswirkungen auf das Risiko, zu erkranken?
Hartmann:
Das ist ein ewig diskutiertes Thema. Ein langfristiger Gebrauch der Antibabypille zeigt statistisch kein erhöhtes Risiko. Manche nehmen sie Jahrzehnte lang. Wenn man die Pille nur kurz nimmt, ist das Risiko kurzfristig erhöht und kommt dann auf ein normales Niveau zurück. Was sehr wohl ein Risikofaktor darstellt, ist die Langzeit-Hormonersatzbehandlung im Alter, wenn Frauen in den Wechsel kommen. Wenn dann Frauen Hitzewallungen und psychische Probleme haben und sich unwohl fühlen, war früher klar, dass man ihnen den Hormonersatz großzügig verschreibt. Die Untersuchungen haben aber gezeigt, dass dies mit einem erhöhten Risiko für Herz-/Kreislauferkrankungen einhergeht und eine zusätzliche Belastung darstellt. Es hat daher bei uns Medizinern zu einem Umdenken geführt und die Hormonersatztherapie wird nur noch gezielt und individuell eingesetzt. Diese Zurückhaltung hat auch einen positiven Einfluss auf die Brustkrebsentstehung. Alternativ Präparate pflanzlicher Natur und die Empfehlung zu körperlicher Aktivität können hilfreich sein.

Kritiker sehen Überdiagnosen als Nachteile der Vorsorge.
Hartmann:
Wenn 1000 Frauen zur Mammografie gehen, dann ist bei 970 nichts, bei 30 gibt es einen Befund. Von den 30 haben 24 nichts, also der Tumor ist gutartig. Aber natürlich werden 30 untersucht, wovon sechs Brustkrebs diagnostiziert bekommen. Kein Vorsorgesystem ist hundertprozentig effektiv. Bei MRT Untersuchungen als Vorsorge der Brust wären noch mehr falsch positive Befunde und daher zu viele verunsicherte Frauen die keinen Tumor haben. Deswegen setzt man das nicht in der Routine ein. Es bedarf immer ein Abwägen von Risiko und Nutzen. Gynäkologen raten zur Selbstuntersuchung und Mammografie.

Bei der Krebshilfe gibt es auch Kopftücher für Betroffene. <span class="copyright">Hartinger</span>
Bei der Krebshilfe gibt es auch Kopftücher für Betroffene. Hartinger

Warum sollte man keine Angst vor einer Diagnose schüren?
Hartmann: Jede Diagnose Krebs zieht einem den Boden unter den Füßen weg. Aber man kann sie nicht wegdiskutieren. Wenn die Diagnose da ist, dann ist sie da. Mir ist lieber früh und der Tumor ist klein mit guten Heilungschancen, als wie wenn ich sagen muss: „Wir haben einen Tumor gefunden, aber wir haben auch gesehen: der sitzt auch schon in Lunge, Leber und Knochen. Wir können Sie zwar behandeln, aber Heilung ist keine mehr möglich.“ Das ist ein riesen Unterschied. Das Ziel ist es, durch die Vorsorge den Tumor in einem frühen Stadium zu finden, wo er gut behandelbar und heilbar ist.