Brennertunnel-Durchschlag und ein Fünkchen-Transit-Hoffnung

HEUTE • 17:24 Uhr

Ein Tag des Bau-“Meilensteins” und des kleinen Transit-Lichtblicks: Mit dem Durchschlag des Erkundungsstollens des Brennerbasistunnel (BBT) ist am Donnerstag erstmals eine unterirdische Tunnelverbindung zwischen Italien und Österreich geschaffen worden. Bei einem Festakt sahen Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und Kanzler Christian Stocker (ÖVP) einen “historischen Moment”. Beim Transit sorgte EU-Verkehrskommissar Apostolos Tzitzikostas für ein Fünkchen Hoffnung.

Kurz vor 15.00 Uhr war es so weit: Über eine Liveschaltung in den Erkundungsstollen beobachteten die rund 1.000 Festgäste in einem Zelt in der Gemeinde Brenner auf Südtiroler Seite in Italien den unter Tage stattfindenden Durchschlag. Den Startschuss dafür gaben Meloni, Stocker, die Verkehrsminister Matteo Salvini, dessen Austro-Pendant Peter Hanke (SPÖ) sowie EU-Verkehrskommissar Tzitzikostas gemeinsam. Sie drückten gleichzeitig den “roten Knopf”. Tunnelarbeiter marschierten anschließend gemeinsam über die unterirdische Grenze. Die Festgäste – darunter die ehemaligen Südtiroler und Tiroler Landeshauptleute und “Tunnelpioniere” Luis Durnwalder (SVP), Herwig Van Staa, Alois Partl und Wendelin Weingartner (alle ÖVP) – quittierten den Moment mit reichlich Applaus.

Meloni für Partnerschaft – Stocker: Einigung möglich

Die Freude über das Ereignis wurde jedoch bereits zuvor von den beiden BBT-Vorständen Martin Gradnitzer und Gilberto Cardola sowie den politischen Vertretern zum Ausdruck gebracht. Meloni – die rund eine Stunde nach dem geplanten Veranstaltungsbeginn unter enormem Medieninteresse empfangen wurde – bezeichnete den Durchschlag als “wichtigen Schritt”. Sie betonte, dass die beiden Länder jedoch bereits vorher “Partner in Europa” und – allein aufgrund der gemeinsamen Geschichte – vereint waren. Nach der für 2032 geplanten Inbetriebnahme des BBT würden jedenfalls Wirtschaft, Wettbewerb und Umwelt “profitieren”. “Das hat natürlich die Folge, dass eine wichtige Straßenverbindung – die Brennerautobahn – entlastet wird”, meinte sie zu der stark frequentierten Verkehrsroute. Der Brenner stelle derzeit einen “Flaschenhals” dar.

“Der Tunnel alleine wird die Transitprobleme nicht lösen”, hielt Kanzler Stocker in seinen Grußworten wiederum fest. Die Autobahn habe ihre “Kapazitätsgrenze seit langem” erreicht, die Belastungen für Mensch und Umwelt seien enorm, nahm er konkreter auf die seit Jahrzehnten bestehende Transitbelastung Bezug, die aufgrund der Tiroler Anti-Transitmaßnahmen immer wieder für gehörige Spannungen zwischen Österreich und Italien sorgt – und sogar in einer Klage Italiens vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) mündete. Der freie Warenverkehr sei Österreich wichtig, “wir wollen aber auf die Menschen nicht vergessen”. Gleichzeitig wisse er, Stocker, “wie wichtig der Transit für unsere europäischen Nachbarn ist” und plädierte für “nachbarschaftliche Lösungen” sowohl auf der Autobahn als auch im Bahnverkehr.

Stocker will von “Slot-System” überzeugen

Gegenüber der APA sagte der Bundeskanzler am Rande des Festakts, er glaube an “eine Einigung” in der Transit-Causa. Das Verfahren über die Klage Italiens vor dem EuGH werde eine solche Lösung nicht bringen. Stocker ortet sowohl bei Meloni (Fratelli D’Italia) als auch bei Deutschlands Kanzler Friedrich Merz (CDU) “die Bereitschaft, über die Situation zu reden und Lösungen zu finden”, erklärte der Kanzler und brachte etwa erneut das sogenannte Lkw-“Slot-System”mit buchbaren Fahrten ins Spiel.

Salvini: BBT “wahrer Green Deal ohne Verbote”

“Heute triumphiert Europa”, sagte der stets scharf gegen Tirol auftretende Salvini in seiner Rede. Mit dem Drücken des roten Knopfes zeige man den “Willen, dass wir aneinanderrücken”. Wo die Bevölkerung schneller zueinanderkomme, entstehe auch der “Frieden”. Kritisch äußerte sich der Rechtsaußen-Politiker dagegen zur EU-Umweltpolitik. Mit dem BBT werde der “Green Deal der Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit” gelebt – “es geht nicht um Verbote, Steuern und Beschränkungen”. “Der einzig wahre Green Deal ist der Abbau von Grenzen”, resümierte “Transit-Hardliner” Salvini.

Mattle und Kompatscher: “Überwinden von Grenzen”

Auch die Landeshauptleute von Tirol und Südtirol kamen zu Beginn der Veranstaltung zu Wort. Südtirols Landeschef Arno Kompatscher (SVP) mahnte, dass es wohl “bestimmte Verordnungen” geben müsse, damit der Korridor bestmöglich genützt werden könne. Zudem betonte er die historische Dimension. Durch den BBT würden die einst geeinten Länder Südtirol und Tirol einander wieder näher. “Die Grenze, die uns getrennt hat, wird überwunden”, hielt er fest. Tirols Landeshauptmann Anton Mattle (ÖVP) versprach sich vom BBT, der “Teil eines europäischen Friedensprojektes” sei, eine “Entlastung für die Menschen – nördlich und südlich des Brenners”.

Keine Ergebnisse bei Landhaus-Gespräch, Kommissar vermittelt

Am Vormittag waren bei einer Transit-Unterredung im Innsbrucker Landhaus weniger feierliche Töne angeschlagen worden. Tzitzikostas, Hanke und Mattle kamen zu einem Gespräch zusammen, konkrete Ergebnisse gab es jedoch keine. Der EU-Kommissar sprach sich de facto gegen eine von Tirol gewünschte “Verlagerungspflicht” von bestimmten Gütern auf die Schiene sowie Lkw-Obergrenzen aus. “Ich will keine verpflichtenden Maßnahmen, ich will lieber Anreize geben”, hielt der Grieche grundsätzlich fest. Diese Maxime gab er auch für das von Tirol, Bayern und Südtirol politisch paktierte Lkw-Slotsystem mit buchbaren Fahrten auf der Brennerstrecke aus, für das es aber einen Staatsvertrag zwischen Österreich, Deutschland und Italien bräuchte.

“Ich will eine Lösung finden”, versprach Tzistzikostas, vor Journalisten nach dem Gespräch. Er wolle nicht, dass die Menschen in Tirol länger unter der Belastung “leiden”. Er wolle und werde auch mit Österreich und dem vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) klagenden Italien diskutieren bzw. zwischen den Staaten vermitteln, “um die richtigen Maßnahmen zu finden.”

Landeshauptmann Mattle machte die Dringlichkeit des Tiroler Transit- und Verkehrsanliegens klar – angesichts von mehr als elf Millionen Pkw-Fahrten und rund 2,5 Millionen Lkw-Fahrten pro Jahr. Nach dem “tiefgehenden Gespräch” am Donnerstag sei klar, dass Tzitzikostas eine “vermittelnde Rolle” im Transitstreit, vor allem mit Italien, einnehmen werde: “Es wird darum gehen, die Gespräche zu verfestigen und zu beschleunigen.”

Auch Verkehrsminister Hanke redete wie Tzitzikostas “Anreizen” für die Wirtschaft das Wort, damit diese verstärkt auf die Schiene setze. Ziel sei es, mit Inbetriebnahme des BBT “möglichst viele Lkw auf die Schiene zu bringen”. Der Kommissar fördere diese Gespräche, um auch die besten Rahmenbedingungen für das “Jahrhundertprojekt” Brennertunnel zu schaffen.

Durchschlagsstelle 1.420 Meter unter Tage

Der Erkundungsstollen des BBT verläuft auf einer Länge von 57 Kilometern parallel zu den Hauptröhren auf tieferer Lage. Mit fünf bis sechs Metern Durchmesser ist er deutlich kleiner als diese. Über Querschläge sind beide Hauptröhren alle 333 Meter miteinander verbunden. Die Durchschlagstelle liegt unter rund 1.420 Metern Gebirgsgestein und befindet sich fast unter der Geigenspitze und rund zwei Kilometer Luftlinie vom Brenner nach Südosten. Nach Fertigstellung des BBT fungiert der Erkundungsstollen als Entwässerungsstollen sowie als Flucht- und Rettungsroute im Brand- oder Notfall.

Technische Details

Der seit 2007 im Bau befindliche Brennerbasistunnel (BBT) ist ein reiner Zugtunnel mit einer Gesamtlänge von 64 Kilometern, der zwischen der Tiroler Landeshauptstadt Innsbruck und dem Südtiroler Franzensfeste in Italien – hier auf 55 Kilometern – verläuft. Er gilt als Kernelement der neuen Bahnverbindung von München nach Verona. Nach der im Jahr 2031 geplanten Fertigstellung und im Jahr darauf stattfindenden Inbetriebnahme wird der für Güter- und Personenzüge vorgesehene Tunnel die “längste unterirdische Eisenbahnverbindung der Welt” sein. Güterzüge sollen mit bis zu 160 km/h und Personenzüge mit bis zu 250 km/h durch den Tunnel fahren können. Die Strecke soll somit in 25 statt 80 Minuten bewältigt werden können. Als Gesamtprojektkosten wurden 10,5 Mrd. Euro veranschlagt. 204 der insgesamt 230 Tunnelkilometer des Brennerbasistunnels und damit 90 Prozent der Gesamtstrecke waren zuletzt bereits herausgebrochen. Im Laufe des kommenden Jahres sollte voraussichtlich bereits der gesamte BBT-Vortrieb beendet sein.