Österreich

Bringen gesenkte Lohnnebenkosten höhere Gehälter?

11.08.2022 • 12:22 Uhr / 5 Minuten Lesezeit
Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger will zur Entlastung auch Lohnnebenkosten senken
Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger will zur Entlastung auch Lohnnebenkosten senken (c) APA/GEORG HOCHMUTH (GEORG HOCHMUTH)

Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger fordert als Maßnahme gegen die Teuerung eine Senkung der Lohnnebenkosten für Arbeitgeber.

Die Preise steigen, das Leben wird teurer – und das rapide. Im Kampf gegen die Inflation präsentieren die Parteien vor Herbst ihre Modelle. Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger erklärte im ORF-Sommergespräch die Vorschläge ihrer Partei: Neben Direktunterstützungen für ärmere Haushalte und einer rückwirkenden, vollständigen Abschaffung der Kalten Progression, hofft die kleinste Parlamentspartei “dass Löhne ordentlich steigen” – und zwar durch eine Senkung der Lohnnebenkosten.

Immerhin stünden viele Arbeitgeber “eh schon finanziell mit dem Rücken zur Wand” und seien nun zusätzlich mit steigenden Energiepreisen konfrontiert, so Meinl-Reisinger. Durch inflationsbedingte höhere Löhne könnte daher eine Lohn-Preis-Spirale entstehen: Die Unternehmen müssten ihre Preise erhöhen, um für die teurere Arbeitskraft aufzukommen.

Meinl-Reisinger fordert daher, die Lohnnebenkosten “deutlich” zu senken: Fallen sie von 30 auf 20 Prozent, würde das etwa 12,5 Milliarden Euro an Entlastung bringen, rechnete Meinl-Reisinger im Sommergespräch vor. Das würde die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe stärken und die “starke Arbeitnehmerschaft” werde im Herbst entsprechende Gehaltserhöhungen fordern, zeigte sich die pinke Parteichefin überzeugt.

Ein Faktencheck bei den Chefökonomen des großteils von der Arbeiterkammer finanzierten Momentum-Instituts und des wirtschaftsliberalen Thinktanks Agenda Austria zeigt: Zur Entlastung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern empfehlen sie andere Maßnahmen.

Vertraut in die ´starke Arbeitnehmerschaft´: Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger
Vertraut in die ´starke Arbeitnehmerschaft´: Neos-Chefin Beate Meinl-ReisingerAPA

Personalintensive Unternehmen profitieren

“Unmittelbar entlastet das klarerweise die Unternehmen”, sagt Oliver Picek, Chefökonom des Momentum-Instituts. Denn die Lohnnebenkosten zahlt nur der Arbeitgeber. Die Idee sei eindeutig, Klein- und Mittelbetriebe zu entlasten, sagt auch der stellvertretende Direktor der wirtschaftsliberalen Agenda Austria, Hanno Lorenz. Als arbeitspolitische Maßnahme sei eine Senkung der Lohnnebenkosten sinnvoll, “als Vehikel gegen die Teuerung wären zielgerichtete Entlastungspakete aber sinnvoller”, so Lorenz.

Besonders stark würden dabei Firmen in personalintensiven Bereichen profitieren, sind sich die beiden Ökonomen einig. Das sei sinnvoll, würden sie doch auch durch im Herbst nahende, höhere Gehaltsforderungen besonders stark getroffen werden, sagt Lorenz. Damit in weiterer Folge auch Arbeitnehmer von der Entlastung profitieren, setzt Neos-Chefin Meinl-Reisinger auf das Verhandlungsgeschick der Gewerkschaften und Arbeitnehmervertreter.

“Ich kann mir nicht vorstellen, dass auf wundersame Weise hundert Prozent der Entlastung an die Arbeitnehmer weitergegeben werden”, sorgt der Momentum-Chefökonom Picek für Ernüchterung. Grundsätzlich würde dies wohl als Maßnahme für die Betriebe verstanden werden und daher von Unternehmen – wenn möglich – aus Gehaltsverhandlungen herausgehalten werden, so Picek.

Während starke Gewerkschaften wie in der Industrie auch ohne Senkung der Lohnnebenkosten hohe Abschlüsse im Herbst erwarten können, könnten Sektoren mit schwächeren Arbeitnehmervertretungen wie im Handel durch die Finger schauen, befürchtet der Momentum-Chefökonom.

“Es könnte schon sein, dass ein Teil der Entlastung auch bei den Arbeitnehmern ankommen wird”, fasst Lorenz zusammen. Für den stellvertretenden Direktor der Agenda Austria stellt sich aber die Frage, ob es nicht einfacher wäre, sowohl auf Arbeitgeber- als auch Arbeitnehmerseite zu entlasten.

“Im Durchschnitt werden alle anderen mehr belastet”

Der Chefökonom des Momentum Instituts fragt sich hingegen, wer die 12,5 Milliarden an Entlastungen zahlen soll: Neben Leistungen, von denen der Arbeitnehmer direkt profitiert wie Kranken-, Urlaubs-, Weihnachtsgeld oder Pensionsversicherung beinhalten die Lohnnebenkosten auch Leistungen für die Allgemeinheit wie Kommunalabgaben, Arbeitslosenversicherung oder der Familienlastenausgleichsfonds (FLAF), mit dem etwa das Kindergeld ausgezahlt wird. Will man diese Leistungen nicht kürzen oder gar nicht auf sie verzichten, müsste der Staat einspringen. Meinl-Reisinger brachte hierfür eine Finanzierung aus dem Bundesbudget ins Spiel.

“Eine Umverteilung auf das Bundesbudget verbessert die Steuerstruktur nicht”, immerhin sei auch dieses “wieder recht Arbeitnehmer-lastig finanziert”, sagt Picek mit Verweis auf Lohnsteuer und die Mehrwertsteuer. Durch eine Senkung der Lohnnebenkosten würden arbeitsintensive Betriebe entlastet und “im Durchschnitt alle anderen mehr belastet, wenn die Leistungen gleichbleiben”, so Picek.