Österreich

“Alle Trends weisen auf eine Verschlechterung der Sicherheit hin”

27.01.2023 • 16:28 Uhr / 5 Minuten Lesezeit
Soldaten des Bundesheeres bei einer Übung. In den nächsten Jahren soll viel nachgerüstet werden
Soldaten des Bundesheeres bei einer Übung. In den nächsten Jahren soll viel nachgerüstet werden Markus Traussnig

In Wien wurde der Risikobericht des Verteidigungsministeriums präsentiert. Realistisch: Ein Angriff auf ein EU-Land mit weitreichenden Folgen für Österreich.

“Die Welt ist ohne Zweifel noch instabiler geworden.” Das sagte Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) am Freitag bei der Präsentation der Sicherheitspolitischen Jahresvorschau 2023 in Wien. Vor fünf Jahren seien 25 Bedrohungen für Österreich erkannt worden, mittlerweile seien es 73. Brigadier Peter Vorhofer, der das Risikobild konkret vorstellte, hob die Gefahr eines Angriffs auf ein EU-Mitgliedsland und die Gefahr aus der Luft durch Flugzeuge, Drohnen oder Raketen hervor. Generell seien die Aussichten düster: “Alle Megatrends weisen auf eine Verschlechterung der Sicherheitslage hin”, so Vorhofer.

“Alle Megatrends weisen auf eine Verschlechterung der Sicherheitslage hin”

Peter Vorhofer, Brigadier

Angriff auf EU-Mitgliedsland

Die Gefahr eines Angriffs auf ein EU-Mitgliedsland sei durch den Ukraine-Krieg “massiv verstärkt” worden – ob konventionell oder unterhalb der militärischen Schwelle, betonte Vorhofer. “Bei einer weiteren Eskalierung wird Österreich blitzartig in eine weitere sicherheitspolitische Herausforderung kommen.” Dies wäre der Fall, wenn nämlich der angegriffene Staat die Beistandspflicht gemäß EU-Vertrag aktivieren würde. “Österreich muss sich sehr, sehr rasch bezüglich Solidarität und Beistandspflicht Gedanken machen.”

Das Risikobild 2023

“Krieg um Europa” ist der bezeichnende Titel des Risikobild 2023 mit Beiträgen von nationalen und internationalen Experten.

Hier kann man das gesamte Dokument als PDF downloaden.

Auch die deutsche Verteidigungsexpertin Ulrike Franke vom European Council on Foreign Relations (ECFR) sieht mehr Druck auf Österreich zukommen. “Die Neutralitätsfrage wird in den nächsten Jahren viel mehr aufs Parkett kommen”, betonte sie per Videoschaltung aus London. “Österreich ist stärker unter Druck als die Schweiz, das hat mit der EU-Mitgliedschaft zu tun.” Der Ukraine-Krieg habe gezeigt, dass Europa nicht in der Lage scheine, selbstbestimmt und souverän zu agieren, “sondern immer noch den großen Bruder USA braucht”. Europa müsse souveräner werden, unabhängig davon, wer im Weißen Haus in Washington sitze. Die Idee der europäischen Verteidigungsunion werde gepusht, Österreich müsse sich positionieren.

Präsentation
Ministerin Klaudia Tanner und eine Expertenrunde bei der Präsentation des Risikoberichts 2023Sonstiges

Große Flächen, wenige Streitkräfte

Brigadier Bruno Günter Hofbauer sagte im Hinblick auf die europäische Rüstungssituation ganz klar: “Wir sind nicht vorbereitet.” Es gebe “keine europäischen Verteidigungsplanungen”. Die Pläne, die bestünden, bezögen sich “out of area”, auf Gebiet außerhalb der EU. Aber auch in Österreich: “55.000 österreichische Soldaten sind auf gar keinem Fall in der Lage, das gesamte Bundesgebiet zu schützen”, erklärte Hofbauer. Es gelte, mithilfe von Technologie zur richtigen Zeit am richtigen Ort im Einsatz zu sein.

“Wir sind nicht vorbereitet.”

Bruno Günther Hofbauer, Brigadier

Tanner sagte, dass “nichts daran vorbeiführt, dass wir nachrüsten müssen”, damit das Bundesheer seine Aufgaben zum Schutz der Bevölkerung leisten könne. Neben hybriden Bedrohungen hätten nun auch jene der konventionellen Kriegsführung an Bedeutung gewonnen. Mit dem erhöhten Budget von 16 Milliarden Euro für vier Jahre könne Österreich “viele Investitionen tätigen”.

Reserven aufbauen

Der steirische Militärexperte Franz-Stefan Gady vom International Institute for Strategic Studies (IISS) betonte, dass man vom Ukraine-Krieg zwei Ansätze ableiten könnte. Wichtig sei, dass das Bundesheer den “Kampf der verbundenen Waffen”, also das Zusammenspiel aller Waffengattungen beherrsche. Und die Streitkräfte müssten sich im Ernstfall auch regenerieren können. Gady schlug die Anwerbung “guter Leute” als Reservisten sowie verpflichtende Milizübungen vor. “Die konventionelle Abschreckung zu steigern, ist wie eine Versicherungspolizze.” Dies verringere das Risiko eines Kriegs, so Gady. Außerdem appellierte der Experte, “die nukleare Dimension” des Ukraine-Kriegs nicht zu vernachlässigen.

Der 262 Seiten umfassende Bericht “Risikobild 2023” befasst sich nicht nur mit verteidigungspolitischen Aspekten. Auch die Gefahren der Globalisierung durch wechselseitige Abhängigkeiten des Klimawandels, der Pandemie oder der Krieg gegen die europäische Wirtschaft werden ausgeführt.

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Plan für Energiewende fehlt

Gerhard Christiner, der Vorstand von Austrian Power Grid AG, sprach etwa die Gefahr eines Blackouts an. Er forderte einen konkreten Plan für die Energiewende in Österreich. So würden Windparks gebaut, bevor es Stromnetze gebe, und Genehmigungsverfahren dauerten viel zu lang. “Wenn wir so fahrlässig weiterfahren, ist das Risiko da, dass es irgendwann ein Blackout gibt”, warnte er.

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