Österreich

Höchststrafe für “hinterhältige Angriffe auf Demokratie” gefordert

31.01.2023 • 16:16 Uhr / 12 Minuten Lesezeit
Einer der Tatorte wurde nach dem Anschlag zum Kerzenmeer
Einer der Tatorte wurde nach dem Anschlag zum Kerzenmeer APA/HELMUT FOHRINGER

Heute halten im Prozess gegen mutmaßliche Helfer des Attentäters von Wien Staatsanwältin und Verteidiger ihre Schlussvorträge. Die Urteile sollen am Mittwoch fallen.

Am Wiener Landesgericht für Strafsachen geht der Prozess gegen sechs mutmaßliche Unterstützer des Attentäters von Wien in die Zielgerade. Am Mittwoch sind die Schlussvorträge der Staatsanwältin und der Verteidiger gehalten worden. “Ich glaube den sechs Angeklagten kein Wort”, sagte die Anklägerin. Während die Verteidiger für Freisprüche von den zentralen inkriminierten Vorwürfen eintraten, verlangte die Staatsanwältin sinngemäß die Höchststrafen.

Staatsanwaltschaft fordert sinngemäß Höchststrafen

Die Vertreterin der Ankage zeigte sich überzeugt, dass in 14 Verhandlungstagen die Beweise zu sämtlichen Anklagepunkten erbracht wurden. Alle insgesamt 28 Hauptfragen, die die Geschworenen am Ende ihrer Beratungen zu beantworten haben, seien zu bejahen. Was die Straffrage betrifft, führte sie aus, dass für die erwachsenen Angeklagten ein Strafrahmen von zehn bis 20 Jahren oder lebenslang, für den Zweit- und den Sechstangeklagten als junge Erwachsene zehn bis 20 Jahren vorgesehen ist. Alle sechs Angeklagten hätten den von der Polizei erschossenen Attentäter unterstützt. “Auf derart hinterhältige Angriffe auf unsere Werte und die Demokratie steht zurecht die Höchststrafe”, hielt sie fest. Sie appellierte an die Geschworenen, mit den Urteilen “klar zum Ausdruck zu bringen”, dass für “derart hinterhältige terroristische Angriffe in einem friedlichen Land” kein Platz sei. Für die Angeklagten könne es daher “nur eine Strafe geben”.

“Auf derart hinterhältige Angriffe auf unsere Werte und die Demokratie steht zurecht die Höchststrafe”

Vertreterin der Anklage

Danach kamen der Reihe nach die Rechtsvertreter der Angeklagten zu Wort. David Jodlbauer, der Verteidiger des Erstangeklagten, dem vor allem vorgeworfen wird, mit dem Attentäter zwecks Munitionskauf in die Slowakei gefahren zu sein, betonte, sein Mandant sei “kein Extremist”. Dieser habe nicht gewusst, dass es einen Anschlag geben wird und er habe den Attentäter auch nicht unterstützt. Die Beweislage sei “dünn”. Die Reaktion des Rechtsstaats könne nicht sein, auf dieser Basis Schuldsprüche zu fällen, weil der unmittelbare Täter nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden kann. “Mein Mandant ist freizusprechen. Das sage ich Ihnen, weil ich wirklich davon überzeugt bin”, meinte Jodlbauer zu den Geschworenen.

Beihilfe zu einem Attentat

“Die Beihilfe zu einem Attentat ist nicht haltbar”, meinte Verteidiger Manfred Arbacher-Stöger für den Zweitangeklagten. Es gebe “keinen einzigen Beweis” für die Behauptung der Staatsanwaltschaft, dass der Zweit- und der Drittangeklagte kurz vor dem Anschlag in der Wohnung des Attentäters waren. Weiters habe die Staatsanwältin “uns bis heute nicht gesagt, wo der psychische Tatbeitrag gewesen ist”, der seinem Mandanten zur Bestärkung des Täters in dessen mörderischen Plänen unterstellt werde. “Recht muss Recht bleiben. Auch wenn ein derart arger Anschlag passiert”, gab Arbacher-Stöger zu bedenken. Die Beweislage reiche nicht, “um einen jungen Menschen so lange ins Gefängnis zu bringen. Es sei “unmöglich, meinen Mandanten in irgendeiner Form schuldig zu sprechen”.

Verteidiger Rudolf Mayer, der den Drittangeklagten vertritt, räumte ein, dass dieser mit dem Attentäter gut bekannt und befreundet gewesen sei: “Aber so weit ist die Freundschaft nicht gegangen, dass er ihm geholfen hat.” Mayer räumte ein, sein Mandant habe Propagandamaterial der radikal-islamistischen Terror-Miliz “Islamischer Staat” (IS) besessen und verbreitet. Mit dem Anschlag habe er jedoch nichts zu tun gehabt. Diesbezüglich fehle jeglicher Schuldbeweis. “Wenn Sie Zweifel haben, müssen sie ‘Nein’ sagen (die Hauptfrage nach Beteiligung an Vorbereitungshandlungen verneinen, Anm.), unabhängig von der Fürchterlichkeit dieser Tat”, meinte Mayer in Richtung der Geschworenen.

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28 Hauptfragen

Die Staatsanwältin hatte in ihrem Plädoyer den Geschworenen ihren Dank für ihr “beherztes und interessiertes Auftreten” ausgesprochen. Tatsächlich fielen die Geschworenen im Laufe des Verfahrens immer wieder mit peniblen Fragen an die Angeklagten, aber auch die Zeugen auf. Die Staatsanwältin erinnerte die Laienrichter aber auch daran, dass es bei diesem Prozess nicht um die Verfehlungen des Verfassungsschutzes im Vorfeld des Anschlags oder bereits verurteilte Familienmitglieder einzelner Angeklagter gehe. Die Geschworenen hätten lediglich die ihnen vorgelegten 28 Hauptfragen zu beantworten. “Klar ist, dass jeder einzelne der hier sitzenden Angeklagten den Attentäter in irgendeiner Form unterstützt hat”, betonte die Staatsanwältin.

An Waffenbesorgung beteiligt

Der Sechstangeklagte habe die Waffenbeschaffung mitorganisiert und zum Teil abgewickelt, indem er den Kontakt zum Fünftangeklagten hergestellt habe, führte sie im Detail aus. Letzterer wiederum habe sich durch die Vermittlung und schließlich Übergabe der beim Anschlag verwendeten Waffe an den Attentäter schuldig gemacht. Beide Angeklagten hätten zugegeben, an der Waffenbesorgung beteiligt gewesen zu sein, von den Anschlagsplänen wollen sie aber nichts gewusst haben. “Eine AK-47 hat nur einen Anwendungsbereich, und das ist das Töten von Menschen”, richtete sich die Staatsanwältin an die Geschworenen.

“Eine AK-47 hat nur einen Anwendungsbereich, und das ist das Töten von Menschen”

Staatsanwältin

Dass der Sechstangeklagte nichts von den Plänen gewusst haben will, widerspreche “jeder Logik”, wie die öffentliche Anklägerin formulierte. Der langjährige Freund des späteren Attentäters sei bereits in der Vergangenheit rechtskräftig verurteilt worden, habe aber auch nach seiner Verurteilung noch radikalislamistische Nasheeds verbreitet. Dass er dem Attentäter “so etwas niemals zugetraut” hätte, glaubte ihm die Staatsanwältin nicht. Auch deshalb, weil der Angeklagte gegenüber seinem Vater von der Angst sprach, dass sein Freund einen Anschlag verüben könnte.

Geständig war der Fünftangeklagte, was die Beschaffung des Sturmgewehres betrifft. Ihm wird jedoch auch vorgeworfen, die Waffe am Tag vor dem Anschlag in der Wohnung des Attentäters aufmunitioniert zu haben. Dafür spricht laut Staatsanwältin seine DNA auf der Munition und die Telefondaten, die ihr zufolge beweisen, dass er sich zumindest im Umkreis der Wohnung aufgehalten hatte. “Aber selbst wenn sie dieses Treffen mit dem Attentäter verneinen und zu dem Schluss kommen, dass er selbst nicht radikalisiert ist, hat er durch die Beschaffung noch immer zu vier Morden beigetragen”, richtete sich die Staatsanwältin erneut an die Geschworenen.

Aussage immer wieder geändert

Als einziger der sechs Angeklagten nicht in U-Haft sitzt der Erstangeklagte – jener Mann, der den Attentäter im Sommer 2020 nach Bratislava chauffierte, wo letzterer versuchte, an Munition für eine AK-47 zu kommen. Immer wieder habe er während den Ermittlungen und der Hauptverhandlung seine Aussage geändert, kritisierte die Staatsanwältin seine Glaubwürdigkeit. “Einmal war er ein Freund, dann wieder nur ein flüchtiger Bekannter des Attentäters”. Seine Aussagen zu jenem Tag im slowakischen Waffengeschäft, wonach er nicht im Geschäft gewesen sei, während der Attentäter sich nach Munition erkundigte, wurden laut Staatsanwältin durch die Mitarbeiter eben jenes Geschäfts widerlegt. Er sei dabei gewesen, und habe “genauso enttäuscht reagiert wie der Attentäter, als sie keine Munition bekamen”.

Aber auch sein Verhalten im Anschluss an den Terroranschlag befand die Staatsanwältin für konspirativ. Unmittelbar nach der Tat habe er den Drittangeklagten vor einer etwaigen Razzia gewarnt und sein Handy auf Werkseinstellungen zurückgesetzt. Außerdem zeige die Auswertung seiner Datenträger “ein klares Bild seiner Gesinnung”.

“Beweis” für radikal-islamistische Gesinnung

Nur “eins und eins zusammenzählen” müssten die Geschworenen bei der Beratung über die Schuld des 28-jährigen Viertangeklagten. Dieser hätte in den Wochen vor dem Anschlag beim Attentäter gewohnt, DNA-Spuren fand man auf den Waffen, der Munition und – so die Staatsanwältin – “nahezu allen Gegenständen”, die der Attentäter beim Anschlag in einer Tasche mit sich führte. “Sekundärübertragung” war immer wieder das Argument seiner Verteidigung. Man habe aber auch “Schmauchanhaftungen, wie beim oberflächlichen Putzen einer Waffe” auf einem Putzfetzen gefunden. Chatprotokolle mit seiner Frau, in denen er sie um Übersetzung mehrerer IS-Publikationen bittet, seien einer von mehreren Beweisen für seine radikal-islamistische Gesinnung. Dass mehrere Mitglieder seiner Familie sich dem IS angeschlossen hatten, müssten die Geschworenen bei ihrer Beurteilung jedoch außen vor lassen, bekräftigte die Staatsanwältin.

Nicht voneinander trennen könne man die Schuld des Zweit- und des Drittangeklagten – zwei langjährige Freunde des Attentäters, denen die psychische Bekräftigung der Anschlagspläne sowie Hilfe bei der Wahl des Anschlagsziels vorgeworfen wird. Dass nach einem Lokal und dessen Adresse gesucht wurde, zeigen Handyauswertungen des Drittangeklagten. Dass die beiden am Tag des Anschlags bei dem Attentäter waren, um diesem wie geschildert ein Buch zurückzubringen, glaubte die Staatsanwältin nicht. Viel eher hätten sie ihm Mut zugesprochen und seien in der Wohnung gewesen, als er ein Bekennervideo aufnahm.

Direkt nachdem der Attentäter am Abend die Wohnung verlassen hatte und sich am Weg in Richtung Schwedenplatz gemacht hatte, habe er eine Bekennerbotschaft gesendet, die vom Drittangeklagten positiv kommentiert wurde. “Eine Botschaft, die jeder Anhänger des IS versteht, egal ob er Arabisch spricht oder nicht”.

Bereits verurteilt

Vor knapp vier Jahren waren der Drittangeklagte und der spätere Attentäter verurteilt, weil sie versucht hatten, sich auf den Weg nach Syrien zu machen und dort dem IS anzuschließen. Staatsanwältin im damaligen Prozess war dieselbe wie im jetzt gegenständlichen. “Damals haben uns die beiden versichert, dass sie keine Anhänger des IS sind. Heute wissen wir, dass ihre Beteuerungen falsch waren”, erinnerte sie sich.

Die Geschworenen nehmen am Mittwochvormittag ihre Beratungen über die Schuldfrage auf. Zuvor kommen noch die sechs Angeklagten kurz zu Wort. Wie lange die Beratungen der Laienrichter dauern werden, ist offen, mit mehreren Stunden ist jedenfalls zu rechnen. Im Anschluss müssen die Geschworenen im Fall von Schuldsprüchen gemeinsam mit den drei Berufsrichtern das Strafausmaß für jeden einzelnen Angeklagten festlegen. Mit der Urteilsverkündung ist demnach frühestens am Nachmittag zu rechnen.

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