Sport

Vom Statisten zum Seriensieger

23.05.2020 • 19:40 Uhr / 8 Minuten Lesezeit
Pascal Ackermann am Lochauer Kaiserstrand.<span style="color: rgb(111, 111, 111); font-size: 0.75rem; text-transform: uppercase;"><span class="copyright">Hartinger</span></span>
Pascal Ackermann am Lochauer Kaiserstrand.Hartinger

Pascal Ackermann ist einer der besten Sprinter der Welt und wohnt in Lochau.

Wir treffen uns am Kaiserstrand in Lochau, Sie posten auf den Sozialen Netzwerken häufiger Bilder von hier. Ist dies ein besonderer Ort für Sie?
Pascal Ackermann: Ich bin vor 15 Monaten nach Lochau gezogen. Hier am See fühlt es sich ein bisschen wie Urlaub an. Nach einem harten und langen Trainingstag fahre ich zum Abschluss gerne an der Pipeline entlang und esse am Kaiserstrand ein Eis (lacht).

Sie stammen aus der Pfalz. Was waren die Gründe für Ihren Umzug nach Vorarlberg?
Ackermann: In der Pfalz habe ich mich immer wohlgefühlt. Aber zunehmend wurden meine Rennen länger und die Berge steiler und höher. Die höchste Erhebung bei mir zu Hause hat 600 Höhenmeter, das ist hier gar nichts. Ich hatte einen Freund aus Meckenbeuren, mit dem waren wir in Vorarlberg trainieren. Da wusste ich, Bregenz oder Lochau wäre eine Region für mich. In einer Hau-Ruck-Aktion habe ich beschlossen, hierherzuziehen. Kurz danach haben es zwei meiner besten Freunde und Teamkollegen mir gleich getan.

Ackermann im Gespräch mit NEUE-Sportchef Johannes Emerich. <span class="copyright">Hartinger</span>
Ackermann im Gespräch mit NEUE-Sportchef Johannes Emerich. Hartinger

Sie sind in einem kleinen Dorf aufgewachsen. Ist die Mentalität in der Pfalz und in Vorarlberg ähnlich?
Ackermann: Ich war überrascht, wie freundlich und offen die Menschen sind. Das ist wie in meinem Heimatdorf, wo ich alle kenne. Dort grüßt man sich sowieso, auch hier auf der Straße grüßt jeder. Das finde ich sehr sympathisch. Ansonsten ist es bei uns deutlich ländlicher, am Bodensee ist die Bevölkerungsdichte deutlich höher.

In Lochau leben Sie nur wenige Kilometer von der deutschen Grenze entfernt. Dennoch konnte sie aufgrund der Corona-Maßnahmen in den vergangenen Wochen nicht in die Heimat fahren. Haben Sie sich eingesperrt gefühlt?
Ackermann: Nein, aber dass ich meine Familie nicht besuchen konnte, war schwierig. Auch unsere Trainingsstrecken sind sehr eingeschränkt, was den Alltag eintönig macht. Denn Trainingsrouten von rund 180 Kilometern gibt es nur etwa fünf oder sechs innerhalb der Grenze.

Wie sind Sie mit der Situation umgegangen, dass kein Rennen stattgefunden hat? Normalerweise nähert sich die Saison zu diesem Zeitpunkt dem Höhepunkt.
Ackermann: So viel Zeit hatte ich noch nie (lacht). Am Anfang erinnerte mich alles an einen schlechten Film, ich war sowohl bei der UAE-Tour, bei der wir zwischenzeitlich in einem Hotel in Quarantäne eingesperrt waren, als auch bei Paris – Nizza (eine der letzten Sportveranstaltung Europas vor der Pause; Anm.). Eine völlige Ausgangssperre wäre für mich der absolute Horror gewesen, doch in Österreich durften wir zum Glück immer hinaus. Wir haben viel trainiert und hatten endlich Zeit, unsere Wohnungen einzurichten. Aber langsam reicht es, ich will wieder Rennen fahren und ans Limit gehen.

Welches ist Ihre Lieblingsstrecke in Vorarlberg?
Ackermann: Das Furkajoch finde ich sehr cool. Doch auch die Runde über den Hochtannberg- und den Flexenpass mag ich gerne, ab Zürs geht es nur noch bergab.

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2018 gelang Ihnen mit Etappensiegen bei der Tour de Romandie und dem deutschen Meistertitel der Durchbruch. Hatten Sie zuvor einen Karriereplan, der diesen Schritt vorsah?
Ackermann: Eigentlich gar nicht. 2017 bin ich bei Bora-hansgrohe Profi geworden, da war ich am Anfang ein reiner Statist und habe zunächst wenige Chancen bekommen. Ich habe nicht gewusst, was in mir steckt und habe gar nicht angestrebt, Topfahrer zu werden. Am Anfang hatte ich Probleme bei den Rennen bis zum Ende dabei zu sein. Mit meinem Trainer habe ich dann einiges – auch in meinem Leben – umstrukturiert. Der Sieg bei der Romandie hat das Team zusammengeschweißt und ab dann wurde voll für mich gefahren.

Im Vorjahr waren Sie mit 13 Saisonsiegen der zweiterfolgreichste World-Tour-Profi überhaupt. War klar, dass Sie sich auf Massensprints fokussieren?
Ackermann: Ja, was anderes wäre nicht möglich gewesen. Als Sprinter muss der Körper nicht immer am hundertprozentigen Limit sein und man kann auch mit ein, zwei Kilos zu viel ein Rennen gewinnen. Technik und Taktik sind häufig entscheidend.

Dabei haben Sie in einem Interview mit dem „Tour“-Magazin gesagt, Sie würden „flache Sprints hassen“ und bevorzugen, wenn zuvor „Hartes, zum Aussortieren kommt“. Das klingt, als hätte der Klassiker Mailand – San Remo das perfekte Profil für Sie?
Ackermann: Ich bin dort noch nie gestartet, aber es wäre definitiv ein Traum. Es sind knapp 300 Kilometer, das bin ich nicht gwohnt. Dieses Jahr wäre ich gefahren, der neue Termin passt aber nicht in den Zeitplan.

Ihr Teamkollege Peter Sagan ist einer der besten Sprinter und Klassikerfahrer der Welt. Ist es ein Vor- oder Nachteil gemeinsam mit ihm bei Bora zu fahren?
Ackermann: Bis jetzt habe ich immer davon profitiert. Er hat viel Know-How mitgebracht, als er 2017 zu uns gestoßen ist. Bora war ein kleines Team und ist erst durch Peter so groß geworden. Bei den Rennen nimmt er mir viel Druck, weil er immer im Mittelpunkt des Interesses steht – davon profitiere ich. Bei manchen Rennen muss ich Abstriche machen, aber ich kann ja nicht bei allen großen Rennen starten. Das Einzige, was ich irgendwann will, ist die Tour (lacht).

Im Vorjahr haben Sie beim Giro das Sprinttrikot gewonnen, es ist naheliegend, dass sie auch bei der Tour de France das Grüne Trikot anstreben.
Ackermann: Das ist definitiv mein Ziel. Ich habe vom Team die Zusage, dass ich 2021 am Start der Tour stehen werde.

Ackermann im Giro-Sprinttrikot. <span class="copyright">APA</span>
Ackermann im Giro-Sprinttrikot. APA


Fehlt Ihnen derzeit der Wettbewerb, das miteinander messen?
Ackermann: Wir sind ja Radfahrer, um Rennen zu fahren und nicht nur durch die Gegend zu rollen. Lange Trainingsphasen sind für uns fast wie eine Bestrafung.

Haben Sie in den vergangenen Wochen virtuelle Rennen bestritten?
Ackermann: Nein. Das Prinzip behagt mir nicht. Es geht nur um Watt pro Kilo und alles Technische auf dem Rad fehlt völlig.

Im August soll die Saison wieder starten. Wie gut sind Sie derzeit in Form?
Ackermann:
Ich bin gar nicht so weit entfernt. Zwei Kilo sollte ich noch abnehmen, derzeit mit ich etwa bei 85 Prozent.

Der neue UCI-Kalender sieht von August bis November fast tägliche Rennen vor. Welche Rennen wollen Sie bestreiten?
Ackermann:
Mein Plan war, so viele Siege wie möglich zu feiern. Den werden wir auch beibehalten. Die Tour wird es aber definitiv nicht sein, weil es dort nur drei Chancen für Sprinter gibt. Das würde für mich keinen Sinn machen.

Im Massensprint zählt Ackermann zu den Besten der Welt. <span class="copyright">APA</span>
Im Massensprint zählt Ackermann zu den Besten der Welt. APA

Die olympischen Spiele wurden verschoben. Wollen Sie in Japan 2021 starten?
Ackermann:
Tokio brauche ich nicht, die Strecke ist zu schwer. In Paris 2024 wäre ich gerne dabei, um ein Mal Teil von Olympischen Spielen zu sein.