„Unser Trainingsplatz war eine Wiese“

Ex-Torhüter Ralph Pezzey erzählt von seiner Karriere und erinnert an seinen Bruder: Weltstar Bruno Pezzey.
Was sind Ihre Highlights in der über hundertjährigen Geschichte des Vorarlberger Fußballverbands?
Ralph Pezzey: In der jüngeren Vergangenheit ist natürlich die Trainerkarriere von Adi Hütter herausragend. Was die Erfolge der Vereine betrifft, haben mich die Europacup-Teilnahmen der Altacher am meisten beeindruckt. Der Unterschied zu früher ist allerdings, dass ich keinen persönlichen Bezug mehr habe. Als Kind und Jugendlicher habe ich den Fußball als Fan viel intensiver erlebt. Ich erinnere mich an ein Spiel zwischen dem FC Vorwerk Vorarlberg und Rapid Wien im Bodenseestadion, da waren 13.000 Zuschauer im Stadion. Es zieht mir wieder die Gänsehaut auf, wenn ich daran denke. Horst Romes, ein Hamburger, ein echter Bulle von einem Mann, hat Bregenz in Führung gebracht, Rapid ist danach nur mehr der Ausgleich gelungen. Das war eine Sensation.
Ihr Bruder Bruno stand in dieser Partie vom 26. August 1973 in der Startelf.
Pezzey: Ja, ich war, wie man sich vorstellen kann, unfassbar stolz auf ihn. Ich war damals elf Jahre alt, ein Fußballfan durch und durch und habe die Nationalliga-Zeiten in Bregenz hautnah miterlebt, ich bin bei jedem Heimspiel im Stadion gewesen; und plötzlich spielte mein Bruder mit. Es war unfassbar. Bruno ist im Sommer 1973 als 18-Jähriger vom FC Lauterach zum FC Vorarlberg gewechselt. Wir bei uns in der Familie dachten klarerweise, er wird da erst mal auf der Bank sitzen, aber er hat es sofort in die Stammmannschaft geschafft.
Was ist Ihre eindrücklichste Stadionerinnerung aus Ihrer Kindheit?
Pezzey: Ich war beim Mitropacup-Spiel von Bregenz gegen Lanerossi Vicenza Balljunge. Das müsste vor der Zeit von Bruno gewesen.
Das war schon eine Begegnung vom FC Vorarlberg. Das Spiel fand am 23. Oktober 1973 statt, Ihr Bruder wurde in der 63. Minute für Otmar Sommer eingewechselt. Die Partie endete 0:0.
Pezzey: Tatsächlich? Daran kann ich mich nicht mehr erinnern. (lacht) Ich weiß aber noch, was für eine Ehre das damals war, unten ganz nah am Feld zu stehen. Das war wirklich eine große Sache. Damals stand noch die alte Sporthalle auf dem Gelände vom Bodenseestadion. Das Fußballfeld umgab eine Aschenbahn und wurde von einer umlaufenden Radrennbahn aus Beton eingefasst.
Wann haben Sie mit dem Fußballspielen begonnen?
Pezzey: Mit neun Jahren, was sehr früh für damalige Verhältnisse war. Damals bekam man erst mit zehn Jahren einen Spielerpass. Das waren eben die Jahre, in denen Rapid, Austria Wien, Austria Salzburg, Wacker Innsbruck regelmäßig live im Bregenzer Stadion zu sehen waren, das hat dem heimischen Fußball einen enormen Schub gegeben. Die Zeiten von damals sind mit heute wirklich nicht mehr vergleichbar. Alles war noch ganz einfach – und man war trotzdem zufrieden, weil man nichts anderes kannte.
Einfach waren wohl besonders die Platzverhältnisse und Trainingsbedingungen?
Pezzey: In Lochau stand neben dem Platz eine Holzhütte, die hatte vielleicht zehn Mal zehn Meter, das war die Kabine. Wenn man Glück hatte, kam sogar warmes Wasser. In Hard war es nicht viel anders. Oder bei uns in Lauterach, der Trainingsplatz war da, wo jetzt der Hofer ist. Die Verhältnisse dort waren schrecklich, denn es war eigentlich eine Wiese – man musste hinterher jedes Mal froh sein, dass man sich auf dem Acker nicht verletzt hat. Wir mussten in den Stollenschuhen zur Wiese hinunter gehen, es ist mir unvergesslich, wie wir durch die Achsiedlung stapften, ich höre das Klappern der Stollen noch heute. (lacht) Seither hat sich so viel getan. Es sind im ganzen Land so viele schöne Trainingsanlagen entstanden, da geht mir das Herz auf. Der Ursprung dieses Aufschwungs waren die Bregenzer Jahre in der Nationalliga und dann eben zum Schluss dieser Epoche die Saison der Bregenzer und Bludenzer Spielgemeinschaft als FC Vorarlberg.
Welche heimischen Spieler haben Sie verehrt?
Pezzey: Martin Gisigner und Gerhard „Bubu“ Ritter, die haben beide jahrelang in der Schweiz gespielt. Gisinger hat sogar einige Länderspiele absolviert, was ja nicht allzu viele Vorarlberger geschafft haben.
War es für Sie als Spieler eher Fluch oder Segen, so einen großen Namen zu tragen?
Pezzey: Wie alles im Leben hatte auch diese Medaille zwei Seiten. Im Sommer 1982 haben mir Bruno und Friedl Koncilia ein Probetraining bei Austria Wien vermittelt. Eigentlich wollte ich zu Raiba Innsbruck wechseln. Der Vertrag war schon unterschrieben, doch dann hatte der Verein kein Geld mehr und hat sich von einem auf den anderen Tag aufgelöst. Damit stand ich ohne Verein da, das Probetraining bei Austria Wien war nur eine Notlösung für mich. Ich unterschrieb einen Vertrag als dritter Torhüter, fühlte mich aber wie das fünfte Rad am Wagen.

Gab es Vorurteile, weil Ihnen Ihr Bruder geholfen hatte?
Pezzey: Ich kann mir meine Unbeliebtheit bei manchen im Verein nur so erklären, dass niemand bei dem Transfer mitverdient hat. Sportlich habe ich mich nämlich gut entwickelt und hätte eigentlich alle Vorurteile widerlegen können, wenn es denn wirklich welche gab. Ich bin in der Hinrunde zur Nummer zwei hinter Friedl Koncilia aufgestiegen und war vor Franz Wohlfahrt, dann habe ich mich verletzt, das Frühjahr war nicht mehr so gut. Ich bin nach einer Saison zurück ins Ländle, ich hatte die HTL absolviert und sagte mir: Wenn ich jetzt in Wien von Verein zu Verein tingle, war die ganze Plagerei in der Schule sinnlos. Der Sportclub war an mir interessiert, die Vienna, doch das war mir zu riskant, das hätte genauso schiefgehen können. Für eine Profikarriere war ich unabhängig davon, ob es sportlich Sinn gemacht hätte, einfach nicht der Typ, ich habe Wert auf Sicherheit gelegt.
Sie sind dann zur IG Bregenz/Dornbirn in die 2. Liga?
Pezzey: Ich hatte da drei schöne Jahre. Eines verstehe ich aber bis heute nicht: Der Verein hat im Frühjahr 1984 Trainer Hans-Jürgen Trittinger entlassen, obwohl wir klar auf einem Bundesliga-Aufstiegsplatz standen. Das war absurd und schade, am Ende verpassten wir den Aufstieg. Danach habe ich 14 Jahre in Hard gespielt. Was mich zurück zu Ihrer Frage bringt, ob es für mich als Spieler ein Fluch oder Segen war, dass ich der Bruder von Bruno war.

Ja?
Pezzey: Ich wurde teilweise heftig angefeindet – weil ich ein Pezzey war. Für mich war das unerklärlich, denn Bruno war ja keine Reizfigur, sondern sehr beliebt.
Die kurioseste Erinnerung an Ihre Karriere?
Pezzey: Da fällt mir ein VFV-Cupspiel mit Hard in Rankweil ein. Ich wollte den Ball auf die linke Seite zu Peter Jakubec auswerfen. Als ich gesehen habe, dass er zugelaufen wird, wollte ich die Bewegung abbrechen und habe mir dabei den Ball ins eigene Tor geworfen. Keiner wusste, was passiert war. Der Schiedsrichter hatte es nicht gesehen, der Linienrichter zuckte mit den Achseln – wenn ich den Ball sofort rausgeholt hätte, wäre das Tor ziemlich sicher nicht gegeben worden. Als dann aber der Schiedsrichter gesehen hat, dass der Ball im Tor lag, hat er auf Tor entschieden. Natürlich völlig zu recht. (lacht)
In der deutschen Bundesliga gab es 1982 ein exakt gleiches Eigentor. Jürgen Pahl hat sich den Ball ins eigene Tor geworfen – und wir kommen immer wieder auf Ihren Bruder zurück: Pahl war Torhüter von Frankfurt, wo Bruno spielte.
Pezzey: Pahl hatte den selben Bewegungsablauf wie ich Jahre später. Mein Eigentor war das 0:1, am Ende haben wir noch 3:2 gewonnen. Ich hatte eine sehr schöne Zeit im Fußball, die schönste in Hard. Der Verein wurde perfekt geführt, der Zusammenhalt in der Mannschaft war riesig, wir gingen nach jedem Spiel geschlossen auf das ein oder andere Bier und stiegen in die Regionalliga auf, zu einer Zeit, in der keine Vorarlberger Mannschaft in einer höheren Liga spielte. Dementsprechend hitzig waren die Derbys gegen Austria Lustenau oder Bregenz vor 2000 Zuschauern. Wir wurden drei Mal Regionalliga-Vizemeister, zwei Mal verfehlten wir den Aufstieg in die 2. Liga ganz knapp. Es war die richtige Entscheidung von mir, nach meinem Jahr bei Austria Wien in den Amateurfußball zu wechseln.
Macht es Sie stolz, dass in der VFV-Chronik bestimmt auch über Sie zu lesen sein wird?
Pezzey: Ach, ich werde in der Chronik nicht nach meinem Namen suchen. Ich war auf dem Niveau, auf dem ich gespielt habe, sicher kein ganz schlechter Torhüter. Aber Spieler wie mich gab es Hunderte. Ich werde jedoch mit Stolz die Beiträge über Bruno lesen, so, wie ich Ihre ausgezeichnete Serie mit Freude gelesen habe, die sie anlässlich des Jahrestags von Brunos erstem Weltauswahlspiel gebracht haben.
Hätten Sie zum Schluss noch eine Anekdote über Brunos Fußballerzeiten in Vorarlberg?
Pezzey: Bruno war als Libero mit 17, 18 Jahren Torschützenkönig in der Landesliga. Unser Vater war Trainer in Lauterach. Lagen wir hinten, hat er Bruno in der Schlussphase nach vorne beordert. Er hat dann fast immer ein Tor gemacht. Bruno war so kopfballstark, wenn er hochgestiegen ist, konnte keiner mithalten. Seine Kopfbälle waren wie Geschosse. Nach einem seiner Kopfballtreffer hat das Tor 20 Sekunden lang gewackelt. Legendär sind auch Brunos Wortmeldungen. Man wusste bei ihm nie, was Ernst und was ein Witz war.

Bei seinem ersten Weltauswahl-Spiel machte er den Mitspielern ein Geschenk. Für den rothaarigen Boniek hatte er eine rothaarige Puppe.
Pezzey: Herrlich, genau so war der Bruno. (lacht)