Gäste-Spieler reanimiert in Dornbirn

ICE-Spiel DEC gegen Bratislava musste nach Notfall abgebrochen werden.
Es gibt eigentlich keine Worte für das, was gestern im Messestadion in den Schlusssekunden des ersten Drittels passiert ist. In dem einen Moment skatete der Slowake Boris Sádecký noch übers Eis, im nächsten Moment sackte der 24-Jährige plötzlich aufs Eis. Sádecký lag regungslos auf dem Rücken, und es dauerte eine Ewigkeit, bis die Sanitäter bei dem Spieler waren. Vier Minuten. Sádecký soll vor den Augen seiner Mannschaftskameraden reanimiert worden sein, war aber danach transportfähig und wurde ins Krankenhaus überstellt, wo er intensivmedizinisch behandelt wird. Gott sei Dank ist er stabil. Und damit hoffentlich außer Lebensgefahr.
In den Hintergrund
In solchen Augenblicken rückt der Sport ganz weit in den Hintergrund. Plötzlich wird einem bewusst, dass der Sport zwar unsere Herzen erreicht, viele Emotionen weckt, aber am Ende eben doch nur ein Spiel ist, ausgetragen in einer Parallelwelt, in der Sekundenbruchteile, Millimeter und Wimpernschläge über vermeintliches Glück und Unglück entscheiden.
Da werden vergebene Torchancen zum Drama, Verteidigungsfehler zur echten Krise, verpasste Torhüter-Paraden zum Ernstfall. Das soll nicht heißen, dass eine Bewertung der Leistungen nicht zum Leistungssport dazugehört; es wäre im Gegenteil sogar geheuchelt, nach den gestrigen Augenblicken die seriöse Berichterstattung über sportliche Wettkämpfe infrage zu stellen. Die gehört dazu. Aber es geht um die Relation. Darum, dass sich eben im Sport keine Dramen oder Tragödien ereignen, die finden tagtäglich dort statt, wo Menschen nicht wissen, wie sie überleben sollen, weil das Schicksal es nicht gut mit ihnen meinte und sie darüber hinaus von denen im Stich gelassen werden, die helfen könnten, aber andere Prioritäten setzen.
Werte
Nein, jede noch so unglückliche Niederlage, jeder noch so schmerzlich verpasste Sieg bedeutet keinen Weltuntergang. Verpasste sportliche Chancen dürfen wehtun, und ja, können auch Leid auslösen. Das soll so sein – weil der Sport das Feld der starken Emotionen ist. Mit Glück, Freude, Euphorie, Ekstase auf der Seite der Sieger – und mit Enttäuschung, Verzweiflung, Wut und Trauer auf der Seite der Verlierer. Dieses Spannungsfeld ist es, das die Sportler antreibt und uns Beobachter in den Bann zieht. Wichtig ist nur, dass klar bleibt, was der Sport ist und was er nicht ist: Sport ist Wettkampf, Freude an der Bewegung, Lust am Duell, Bühne für körperliche und mentale Bestleistungen. Oft genug ist der Sport auch die Chance für Menschen, es im Leben zu schaffen oder im Kleinen, eine neue Richtung einzuschlagen, ein Ziel, ein Antrieb.
Was Sport ist und nicht ist
Sport ist so vieles, aber er ist nicht alles. Die Augenblicke gestern verdeutlichten wieder mal, dass es sich bei den Sportlern da unten auf dem Eis oder was auch immer sie für eine Disziplin auf welchem Untergrund auch immer ausüben, dass also alle Menschen und keiner von ihnen anders als wir alle sind. Am Ende ist selbst der höchstbezahlteste Spitzensport nur ein Spiel, ausgeübt von Menschen, die eine mehr oder weniger ausgeprägte Inselbegabung haben, diese mit viel Fleiß und Ehrgeiz im Training bestmöglichst ausreizen, zumeist seit dem Kindesalter.
Und auch, wenn das Scheinwerferlicht, die vielen Schlagzeilen und das öffentliche Interesse aus diesen Sportlern bisweilen eine unnahbare Kunstfigur machen. Sportler, die zu Leistungsmaschinen degradiert werden, denen Fan-Schmähungen oder unsachliche mediale Kritik egal zu sein haben; die weggegrätscht gehören und zum Hassobjekt werden, wenn sie das Trikot des Gegners anhaben: Alle sind verletzbar und verletzlich.
Weniger ist viel mehr
Gestern Abend wurde das allen im Messestadion auf erbarmungslose Weise wieder in Erinnerung gerufen. Es stand 1:0 für die Bulldogs, als abgebrochen werden musste, aber wen bitte interessiert das, wenn ein Mensch zusammenbricht und nicht klar ist, was mit diesem Menschenleben gerade passiert? Es gäbe Großaufnahmen vom Spieler auf der Liege, Bilder, die sein Gesicht zeigen. Doch diese Aufnahmen gehen die Öffentlichkeit nichts an. Es sind private Momente. Natürlich ist der Reiz groß, in solchen Momenten zum Voyeur zu werden, sowohl als Berichterstatter als auch als Leser. Mehr Details. Größere Nahaufnahmen. Mehr Sensation. Mehr von allem, außer von Menschlichkeit und Mitgefühl.
Show geht weiter
Zum Leben gehört auch, dass sich die Welt immer weiterdreht und schon bald wieder all das, was der Zusammenbruch von Sádecký aufzeigte, wieder in Vergessenheit gerät. Wenn die Bulldogs am Abend auf Fehervar treffen, geht das Spiel buchstäblich wieder von Neuem los. Das ist hart, fast schon brutal. Aber das Leben ist oft genug auch ein Verdrängungswettkampf, bei dem man sich zwar der Gefahren bewusst sein muss, aber nicht ständig in Angst verharren darf.
Wichtig ist das Bewusstsein, dass Sieg und Niederlage nicht über den Wert eines Menschen entscheiden und wiederum nicht alles, was einen Wert hat, auch einen Preis hat – und haben darf. Von Herzen alles Gute, Boris Sádecký!