Sport

Triste Aussichten, die nicht neu sind

05.02.2023 • 19:39 Uhr / 8 Minuten Lesezeit
Cornelia Hütter ist eine der wenigen echten ÖSV-Medaillenhoffnungen. <span class="copyright">GEPA</span>
Cornelia Hütter ist eine der wenigen echten ÖSV-Medaillenhoffnungen. GEPA

Morgen beginnt die 43. alpine Ski-Weltmeisterschaft. Das ÖSV-Team reist mit erstaunlich wenig Medaillenhoffnungen zu dem Groß­ereignis.


Selten ist Österreich mit so wenig realistischen Medaillenkandidaten zu einer WM angereist wie dieses Mal. Viele ÖSV-Athleten sind außer Form und verunsichert, wie just die beiden Vorarlberger Johannes Strolz und Katharina Liensberger, andere sind Platzfahrer und grundsätzlich keine großen Medaillenhoffnungen. Hinter Nina Ortlieb wiederum steht ob ihrer vor zwei Wochen erlittenen leichten Gehirnerschütterung ein Fragezeichen.

Überraschungen möglich
Freilich, eine Franziska Gritsch oder ein Stefan Babinsky haben das Potenzial, an einem sehr guten Tag zu überraschen. Aber eben, eine Medaille wäre eine Überraschung. Und ja, natürlich haben Strolz und Liensberger die Klasse, allen Rückschlägen in dieser Saison zum Trotz bei der WM groß aufzuzeigen. Aber ganz emotionslos betrachtet beschränken sich die begründeten Medaillenhoffnungen auf drei Athleten: Vinzenz Kriechmayr, Cornelia Hütter und Manuel Feller. Was für einer Skination wie Österreich eine Bankrotterklärung gleichkommt.
Klar ist: Im Hochleistungssport gibt es Wellentäler. Es gibt Hochphasen und Tiefpunkte, in Zeiten der Euphorie und der Erfolge dreht sich die Spirale nach oben. Björn Borg zum Beispiel löste in Schweden in den 1970er-Jahren eine unvorstellbare Tennis-Euphorie aus, zehn Jahre später hatten die Schweden fünf Spieler gleichzeitig in den Top 10. Zwischen 1974 und 1992 kamen im Herren-Tennis 24 der 76 Grand-Slam-Turnier-Sieger aus dem Land im hohen Norden. Inzwischen haben die Schweden nur mehr einen einzigen Spieler in den Top 100. Oder – ein anderes Beispiel, ebenfalls aus dem Tennis: Jahrzehntelang stellten die Amerikaner das Gros an den Top-Ten-Spielern, im Mai 2021 hatte die USA erstmals seit Einführung der Weltrangliste keinen einzigen Spieler unter den Top 30.

Franziska Gritsch ist eine der wenigen Läuferinnen, die eine gewisse Form für die WM mitbringen. <span class="copyright">GEPA</span>
Franziska Gritsch ist eine der wenigen Läuferinnen, die eine gewisse Form für die WM mitbringen. GEPA

Gab es alles schon
Solch kollektive Ausschläge nach oben und nach unten gehören also durchaus zum Spitzensport, was unter anderem am Zeitgeist, der Konkurrenz und nicht zuletzt auch den Vorbildern im eigenen Land liegt. Man muss auch gar nicht nach Beispielen im Tennis suchen, um das aktuelle ÖSV-Wellental einordnen zu können. Sondern kann beim Skirennsport und bei Österreichs Skirennläufern bleiben. Denn Österreich hat im Skirennsport sehr wohl schon sehr düstere Zeiten erlebt. Zwischen 1984 und 1987 blieben Österreichs Athleten bei drei Großereignissen in Folge ohne Goldmedaille: 1984 bei den Winterspielen in Sarajevo verhinderte Jimmy Steiner mit einer Bronzemedaille in der Abfahrt, dass der ÖSV völlig medaillenlos blieb. Bei den Weltmeisterschaften 1985 in Bormio und 1987 in Crans Montana blieb Gold ebenfalls unerreichbar. Der seinerzeit beste Österreicher fuhr für Luxemburg; aber das ist eine andere Geschichte.
Geht man noch weiter zurück, wird auch klar, dass selbst in den 70er-Jahren Österreichs Bilanzen ohne die Seriensieger Franz Klammer und Annemarie-Moser Pröll überaus bescheiden waren. Bei den legendären Winterspielen von Innsbruck 1976 gab es neben Klammers sagenumwobenem Abfahrtssieg, der sich heute übrigens zum 47. Mal jährt, nur mehr eine weitere alpine Medaille für den ÖSV: durch Brigitte Totschnig mit Silber in der Abfahrt.
NEUE-Kolumnistin Nicola Werdenigg, damals noch Spieß, wurde in der Abfahrt Vierte und verpasste Bronze um 21 Hundertstel.

Heute vor 47 Jahren gewann Franz Klammer Abfahrtsgold in Innsbruck - Siegertypen wie kaschierten oftmals die ansonsten biederen ÖSV-Leistungen. <span class="copyright">APA</span>
Heute vor 47 Jahren gewann Franz Klammer Abfahrtsgold in Innsbruck - Siegertypen wie kaschierten oftmals die ansonsten biederen ÖSV-Leistungen. APA

Wellentäler
Diese Rückblicke zeigen auf, dass die ÖSV-Hochzeiten in den 90er- und 00-er-Jahren sowie während der Ära Hirscher letztendlich doch nicht so repräsentativ sind, wie wir das in Österreich alle gerne hätten. Der österreichische Neunfachsieg am Patscherkofel vom 21. Dezember 1998 wurde von Österreichs goldener Generation errungen, das gab es nie davor, und das wird es auch nie mehr geben. Das gilt auch für die Epoche der Golden Girls um Renate Götschl, Alexandra Meissnitzer und Michaela Dorfmeister. Es gehört sehr wohl zur ÖSV-Geschichte, dass es immer wieder Jahre, um nicht zu sagen Epochen gab, in denen einzelne Siegläufer das Gesamtbild stark aufhübschten – und genauso gab es Zeiten, in denen die mannschaftliche Geschlossenheit darüber hinweg täuschte, dass man eigentlich keine echten Champions in den eigenen Reihen hatte.

28 Jahre kein Gesamtweltcupsieger
Es wird heute sehr schnell vergessen, dass der ÖSV bei den Männern wischen 1970 und 1998 keinen Gesamtweltcupsieger stellte; bevor Hermann Maier 1998 die große Kugel holte, war Karl Schranz mit seinen Siegen 1968/69 und 1969/70 der einzige männliche Gesamtweltcup-Sieger des ÖSV. In den 1970er-, 80er- und 90er-Jahren hatte sich auch längst der Gewöhnungseffekt darüber eingesetzt, dass bei den ÖSV-Männern auch keine kleine Kugel nach Österreich ging.
Der große Hoffnungsträger für den Gewinn des Gesamtweltcups war zum Beispiel in den 1990er-Jahren lange Günther Mader – ein Allrounder, der heute trotz seiner durchaus beachtlichen Erfolge eher nur mehr eine Fußnote in der ÖSV-Geschichte ist. Weil ihm die ganz großen Siege verwehrt ­blieben und er letztlich kein ganz großer Champion war. Doch in seiner besten Zeit war der kernig-sympathische Tiroler sehr wohl der konstanteste ÖSV-Läufer. Was einiges über den damaligen Zustand des ÖSV-Teams aussagt.
Und auch bei den Damen war eine gänzlich kugellose Saison speziell in den 80er-Jahren nichts Außergewöhnliches. Im Gegenteil, als die heutige ÖSV-Präsidentin Roswitha Stadlober, damals noch Steiner, 1986 die Slalomkugel holte, war das eine kleine Sensation.

1986 gewann Roswitha Stadlober, damals noch Steiner, den Slalom-Weltcup. <span class="copyright">GEPA</span>
1986 gewann Roswitha Stadlober, damals noch Steiner, den Slalom-Weltcup. GEPA

Verklärend
Diese Rückblicke zeigen auch auf, dass manche Erinnerung an früher verklärend wirkt. Gleichzeitig offenbart dieser geschichtliche Aufriss, dass die Ausbildungsqualität beim ÖSV längst nicht durchgängig hoch war – und dass sich gewisse Fehlentwicklungen immer wieder wiederholen. Dass zu sehr auf Breite gesetzt wird, dass einzelne Siegläufer die eigentlichen Kaderschwächen kaschieren; und dass einem die verfehlte Nachwuchsausbildung nach dem Rücktritt Einzelner mit voller Wucht um die Ohren schlägt.

Auftakt
Ein erfolgreicher WM-Auftakt morgen und übermorgen bei den Kombinationswerben der Damen (Montag) und Herren (Dienstag) würde die Stimmung beträchtlich aufhellen im rot-weiß-roten Team. Damit rechnen sollten wir Skifans aber eher nicht. Die Byrds sangen, etwas was frei übersetzt, einst davon, dass es Zeiten des Aufbruchs und Zeiten des Niedergangs gibt, dass es Tage der Freude und Tage der Tränen gibt, dass man erntet, was man sät. Und mit dem aktuellen Tief fährt man beim ÖSV sehr wohl die Missernte für die eigenen Versäumnisse ein. Nicht zum ersten Mal, und wenn man aus den Entwicklungen nicht endlich lernt, ganz bestimmt auch nicht zum letzten Mal.