Realität holt England einmal mehr ein

Die Erwartungshaltung in England ist wieder einmal riesengroß gewesen.
Das Mutterland des Fußballs befindet sich im Tal der Tränen. Wieder einmal wurde den Engländern ein Elfmeter zum Verhängnis. Kapitän Harry Kane setzte den Strafstoß in die Wolken. Somit gelang nicht der 2:2-Ausgleich im WM-Viertelfinale gegen Frankreich. “Ich übernehme die Verantwortung. Das wird uns eine Weile verfolgen, aber wir werden auch das hinter uns lassen”, sagte Kane. Auch Teamchef Gareth Southgate verteidigte den Tottenham-Angreifer, der zuvor noch einen Elfmeter zum 1:1 getroffen hatte: “Harry ist unser bester Schütze. Aber selbst die Besten verschießen einmal. Das ist Fußball. Für mich ist er ein fantastischer Anführer.”
Ob der 52-jährige Trainer der Nationalmannschaft bleibt, ist noch nicht gewiss. Der Vertrag von Southgate läuft noch bis 2024. “Ich möchte die richtige Entscheidung für das Team treffen, wie immer die ausschaut”, sagte der Engländer, der von der besten Leistung seiner Mannschaft im Turnier sprach.
Diese reichte aber nicht für den Aufstieg in das Semifinale aus. Wieder einmal. Warum die Erwartungshaltung auf der Insel bei jeder Endrunde derart hoch ist, bleibt die große Frage. Seit dem “Ausrutscher” 1966, bei dem im eigenen Land der WM-Titel gelang, scheiterte England bei 14 Weltmeisterschaften in Folge vorzeitig. Auch in 16 EM-Endrunden blieb eine Endspielteilnahme das Höchste der Gefühle. Dazu kommen die Länderspiel-Ergebnisse des Kalenderjahres 2022. In der Nations League stiegen die Briten in die Liga B ab. Gegen Ungarn, Deutschland und Italien gab es in sechs Partien keinen einzigen Sieg zu feiern. Volle Erfolge gegen die Schweiz, die Elfenbeinküste, den Iran, Wales und Senegal – allesamt keine Granden des Weltfußballs – wurden anscheinend völlig falsch eingeschätzt.
Qualität im Kader
Ein Blick auf den Kader offenbart durchaus Klasse. Jude Bellingham (19 Jahre) vollbrachte auf der großen Bühne den Sprung in die Weltklasse. Sein Abgang von Dortmund zu einem Topklub steht unmittelbar bevor und wird den Deutschen einen Millionenregen einbringen. Mit Declan Rice (23, West Ham) und Bukayo Saka (21, Arsenal) verfügt die Stammelf über weitere herausragende Fußballer, auf Klubebene fehlt aber im Gegensatz zu Frankreich das permanente Messen auf Weltklasseniveau, da das Duo noch keinen einzigen Champions-League-Einsatz vorweisen kann.
Selbiges gilt für Jordan Pickford. Der Torhüter liegt mit Everton in der aktuellen Spielzeit der Premier League nur auf Rang 17 und wird seine Europacup-Einsatzstatistik von lediglich sechs Partien (in der Europa League) auch in der kommenden Saison nicht ausbauen können, sollte er nicht zu einem Spitzenklub wechseln. Ob dafür seine Klasse ausreicht, darf wohl mehr als bezweifelt werden.
Auch vor Pickford gibt es Sorgenfalten – nämlich in der Abwehr. Teamchef Gareth Southgate sprach Harry Maguire das Vertrauen aus. Der 29-Jährige stand bei Manchester United in der aktuellen Saison gerade einmal in vier Pflichtspielen in der Startelf. Für eine Nation, die für sich beansprucht, immer um den Titel mitspielen zu wollen, ist das zu wenig. Noch dazu, wenn die Elfmeterschwäche derart stark und das Siegergen derart schwach ausgeprägt sind wie beim Mutterland des Fußballs.
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