Handwerk in der digitalen Zeit

Heute startet im Werkraum Bregenzerwald das Projekt „Handverlesen“ mit der Musiktheater Performance von Andreas Jähnerts Theater Mutante.
Mit dem neuen Projekt „Handverlesen“ haben Andreas Jähnert und das Theater Mutante das Handwerk und den Werkraum Bregenzerwald in Andelsbuch unter die Lupe genommen. Mit der Frage: „Was ist der Werkraum und was soll er überhaupt sein?“ will Jähnert Bewusstsein für handwerkliche Fertigkeiten in einer mehr und mehr digitalen Welt schaffen. Diese Recherchen werden ab heute im Werkraum in der musikalischen Theaterperformance, im Film, in der Ausstellung sowie in Workshops und einem Podiumsgespräch präsentiert.
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Persönliche Eindrücke
Grundlage für das interdisziplinäre Konzept waren Interviews. Jähnert hat sich mit Vereinsmitgliedern aus dem Werkraum und Menschen getroffen, die in Handwerksbetrieben oder auch in der Industrie tätig sind. In persönlichen Gesprächen geben 26 Menschen persönliche Einblicke in ihre Berufe, sprechen über Erfahrungen, Ansichten und Problemstellungen genauso wie über ihre Vorstellungen und Berufswünsche aus der Kindheit. „Haben die sich realisiert?“ Mit dabei sind beispielsweise Dachdecker, Spengler, Schuhmacherinnen und Schneiderinnen. Sie sprechen über Handwerksberufe und ihre Krisen.
Einige Aspekte, etwa, dass man im Schneiderhandwerk schon in der heutigen Generation merke, wie sich Rückenlängen vom vielen Sitzen schon verändert hätten, seien spannend für den theatralen Aufbau, beschreibt Jähnert. In einer performativen musikalischen Setzung, die mit einer leichten Abstraktheit arbeitet, soll nicht nur die romantische Seite des Handwerks gezeigt werden, sondern es bekommt auch etwas leicht Übertriebenes und wird in der symbolhaften und abstrakten Form des Theaters auf die Bühne gebracht.
Treffen auf digitale Welt
Aus dem Interviewmaterial der Handwerker hat Bernadette Heidegger eine Textfläche für eine Theaterperformance geformt. Handwerk und die digitale Welt treffen aufeinander und symbolisieren zwei Seiten, die wenig Bezüge und Verständnis füreinander aufweisen, beschreibt Jähnert im Gespräch. Dafür haben Sascha und Andreas Jähnert zwei Prototypen gestaltet: Zwei Jugendliche, die in ihrer digitalen Spielwelt auf Ressourcen wie Kupfer, Milch oder Käse stoßen, mit denen sie sonst nicht viel zu tun haben. Die Handwerker werden vertreten vom Handwerkschor, Menschen aus der Musikmittelschule Lingenau, die teilweise zu Hause mit einer Werkstatt oder einem Bauernhof aufgewachsen sind und handwerkliche Tätigkeiten unter anderem auch aus der Schule kennen.
Zwei Welten gehen aneinander vorbei, weil die eine die Realität der anderen nicht versteht. Die Jugend einer technisch fortgeschrittenen schnelllebigen Welt prallt auf Handfertigkeiten und Arbeitsvorgänge, die in Gefahr sind, wegzubrechen, weil „alles viel zu schnell funktioniert“. „Man kann den Lieferdienst anrufen und bekommt sofort Essen, man geht in den Supermarkt und kann belegte Brötchen kaufen. Also man braucht – wenn man Geld hat – eigentlich keine große Mühe und keinen Aufwand mehr betreiben, weil alles schon fertig ist“, erklärt Jähnert.
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Leben im Kapitalismus
Auf die Idee für „Handverlesen“ sei Jähnert durch persönliche Erlebnisse gekommen. „Meine Eltern sind auch Handwerker, mein Vater war Maurer, meine Mutter hat in einer Molkerei gearbeitet. Mit dem Bruch der Mauer sind sie dann plötzlich Unternehmer geworden, also der Kapitalismus hat sie sozusagen aufgefressen.“ Er erinnert sich an Arbeitszeit und Arbeitsdruck, die den Eltern kaum Zeit ließen, Dinge überlegter und bewusster anzugehen. „Es geht bestimmt vielen Familien so, die so in eine Welt hineingeboren werden, wo Geld verdienen und Erfolg an erster Stelle stehen, aber die Ziele völlig unklar sind…“ Mit dem Projekt möchte Jähnert auch den Gedankengang vermitteln, wie man in der schnelllebigen Welt mit Ressourcen umgeht, aber auch, wie man mit der Digitalität zurechtkommt, die sehr in unser Leben eingreift. In der Performance mit offener Dramaturgie ohne Ende könnten sich Zuschauer selbst die Frage stellen: „Was könnte noch passieren?“
Im Film
Neben den filmischen Aufnahmen in der Performance zeigt ein Dokumentationsfilm die Produktionsaufnahmen, wo die Handwerker nochmals anders bespiegelt werden. Alle 26 Charaktere präsentieren sich und ihr Handwerk vor den Zuschauern. Der Film soll auch Impulse geben, sich einen Guide für die audiovisuelle Ausstellungen auszuleihen. Damit könne man beim Herumspazieren im Werkraum und in Andelsbuch zwischen 15 Minuten und eineinhalb Stunden den Gedanken der einzelnen Handwerkerinnen und Handwerker in vertiefenden Gesprächen lauschen.
Aktiv dem Handwerk widmen können sich Besucher in zwei Workshops. Im Keramikworkshop von Margit Denz werden Küchenutensilien angefertigt, die im Brot-Back-Workshop von Roland Huber zum Einsatz kommen. Zudem gibt es am 11. Februar eine Podiumsdiskussion mit Angelika Atzinger vom Verein Amazone, Wolfgang Maschek, der das schnellste Flugzeug der Welt baute, Kurt Bereuter vom Vorholz-Institut und Bernadette Rüscher und Walter Lingg vom Barockbaumeister Museum.
Handverlesen im Werkraum Bregenzerwald: Heute bis 11. Februar. Premiere der musikalischen Theaterperformance: Heute, 19.30 Uhr.
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