Kultur

Erinnern an das Leben von Max Riccabona

09.02.2023 • 19:53 Uhr / 6 Minuten Lesezeit
Der Schrifsteller und KZ-Überlebende Max Riccabona.<span class="copyright">Sepp Dreissingerd</span>
Der Schrifsteller und KZ-Überlebende Max Riccabona.Sepp Dreissingerd

Morgen wird „Wunsch und Widerstand“ im Landestheater uraufgeführt. Stefan Otteni spricht über Wahrheit und Fiktion in der Inszenierung.

Im neuen Stück „Wunsch und Widerstand – Eine Überlebensgeschichte“, das morgen im Vorarlberger Landestheater uraufgeführt wird, werden einzelne Aspekte aus dem Leben des Schriftstellers, Collagisten und Holocaust-Überlebenden Max Riccabona (1915–1997) thematisiert.

Wie der Regisseur Stefan Otteni im Interview beschreibt, haben er und der Autor Thomas Arzt schon sehr früh intensiv zusammengearbeitet, um ganz bestimmte Teile aus dem Leben von Max Riccabona herauszufiltern

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Reale und fiktive Begegnungen

Arzt, der auch schon im Jahr 2020 die Textvorlage für das Stück „Hollenstein, ein Heimatbild“ lieferte, hat diesmal kein biografisches Stück verfasst, sondern vielmehr werden angelehnt an die Ausstellung „Der Fall Riccabona“, die 2016/2017 im Vorarlberg Museum gezeigt wurde, auch die damaligen sozialen und politischen Situationen über die Figuren vermittelt. Zusammen mit der Figur des Riccabona und seiner Familie werden auch die ganzen historischen Verhältnisse thematisiert, in die der Künstler im 20. Jahrhundert hineingeboren wurde. So würden beispielsweise auch der Bürgermeister von Feldkirch und Bürgerinnen das Geschehen kommentieren, beschreibt Otteni das Stück.

Die Szenen fokussieren sich auf Riccabonas Familie, das Verhältnis zu seinen Eltern, aber auch zu seiner Schwester Dora, die sehr wichtig für ihn gewesen sei, so Otteni. Geschildert werde auch seine Zeit als Soldat bei der Wehrmacht und Begegnungen, die Riccabona in Briefen beschreibt, von denen man aber wisse, dass sie so nicht passiert sein können. Aber auch der schlimme Naziarzt Dr. Rascher, dem Riccabona im Konzentrationslager assistieren musste, erscheine als „schwarze Silhouette“ in Riccabonas Innenleben.

„Wie es gewesen sein könnte“

Wie der Regisseur beschreibt, habe Thomas Arzt „wahnsinnig viel recherchiert und ganz viele Originaltexte und Notizen des Zeitzeugen eingebaut“, wie beispielsweise über seine Erlebnisse im Konzentrationslager, und dennoch sei es ein Entwurf, eine Fantasie und ein Stück, das ein Leben nachzeichnet, aber nicht dokumentarisch, sondern in fiktiver Form beleuchtet, „wie es gewesen sein könnte“.

Arzt und Otteni erfinden eine Figur des Riccabona, „wie er war, er hat ja immer in Bars gesessen und sein Leben erzählt“, beschreibt der Regisseur. „Es geht gar nicht um Wahrheit“, und bei manchen Sachen wisse man auch nicht, wie es genau war, aber es „gehe auch nicht um Lüge, sondern nur darum, wer sich wie erinnert – da hat keiner Recht und Unrecht“, beschreibt Otteni die Inszenierung.

Riccabona erinnert sich an sein Leben so, wie er sich erinnern will. Über manches möchte die Figur auch lieber nicht sprechen, und daher verweigert Riccabona dem Barkeeper seine Erfahrungen im Konzentrationslager. Denn wie auch der „originale Riccabona“ immer gesagt habe, „entziehe es sich der Sprache. Das können eigentlich nur die Toten erzählen, die dort im KZ umgekommen sind, weil ich als Überlebender kann das Grauen gar nicht schildern. Die Sprache hat keine Worte für das was da passiert ist“.

Regisseur Stefan Otteni im Interview. <span class="copyright">Felix Grünschloß</span>
Regisseur Stefan Otteni im Interview. Felix Grünschloß

Sprunghaft und assoziativ

Als unfreiwillige Erzählung breche die Geschichte dann doch durch, denn „Thomas Arzt hat sogenannte Stimmen mit ins Stück geschrieben“, die als Erinnerungen einer „inneren Welt“ Riccabonas hervortreten. Ähnlich sprunghaft und assoziativ wie diese Erinnerungen sei auch die Inszenierung selbst: „Es gibt halbe Szenen, die abbrechen, weil jemand widerspricht“ und Situationen ganz anders wahrgenommen hätte, sodass die Schauspieler manche Szenen dann nochmal in einer anderen Version spielen. Die Figur selber werde von zwei Darstellern realisiert: „Der alte Max Riccabona sitzt an der Bar und erzählt, und der junge Max Riccabona erlebt das wie in einer filmischen Rückblende“, erklärt Otteni.

Neben Teilen von Riccabonas Leben als Überlebender, aber auch als Schriftsteller wird durch die Mittel des Theaters das Erinnern an sich thematisiert. Zudem rückt der Regisseur auch die Identitätsfrage in den Vordergrund. So habe sich Riccabona immer als Künstler definiert, aber nie frei entscheiden können und immer andere Identitäten zugewiesen bekommen. Für die Familie sollte er ein Jurist (wie sein Vater) sein, und in der Politik wurde er zum Juden, obwohl seine Familie schon seit 1870 konvertiert habe. Auch Bemühungen seines Vaters zu beweisen, dass seine Mutter ein christliches Findelkind gewesen sei, scheiterten. Im Stück sage der Vater: „Die Fantasie wächst über die Grausamkeit hinaus“, „das heißt, die Fantasie schafft es, die grausamen Fakten, Zuordnungen und Zwänge, die man mit dem Ich hat, zu überwinden“, beschreibt Otteni.

Zur Person

Max Riccabona, geboren 1915 in Feldkirch, gestorben 1997 in Lochau. Jusstudium, Konsularakademie in Wien. Im monarchistischen Widerstand, 1941 verhaftet, politischer Häftling in Dachau. Nach dem Krieg Rechtsanwalt in Feldkirch, experimenteller Schriftsteller und bildender Künstler.

Werke: Bauelemente zur Tragikomödie des x-fachen Dr. von Halbgreyffer oder Protokolle einer progressivsten Halbbildungsinfektion (1980), Poetatastrophen (1993), Auf dem Nebengeleise. Erinnerungen und Ausflüchte (1995).

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