Wenn der Balkon zum Nest wird

Weil es immer weniger Baumhöhlen gibt, brüten Enten auch auf Balkonen. Was es zu beachten gilt, wenn gefiederter Nachwuchs zu erwarten ist.
Tierretter Karl Heinz Hanny hat dieser Tage viel zu tun, wie er erzählt. Das ist auch beim Gespräch mit der NEUE zu bemerken: Er muss es unterbrechen, um eine Taube von einem Dach zu bergen. Als das Interview später unter Dach und Fach ist, eilt der Tierfreund gleich zu einer Taube, die am Verhungern ist. Zurzeit beträfen die meisten seiner Einsätze Tauben, erklärt der Tierretter. Manchmal wird seine Hilfe aber auch bei Stockenten benötigt. Es kommt nämlich immer öfter vor, dass die Tiere auf Balkonen oder Flachdächern brüten.
Der Grund dafür ist: Um vor Fressfeinden geschützt zu sein, nisten die Tiere bevorzugt in Baumhöhlen, doch da es immer weniger davon gibt, weichen sie zu den Behausungen der Menschen aus. Auch dort brauchen sie keinen Überfall von Mardern oder sonstigem Raubwild zu befürchten. Auf Balkonen lassen sie sich bevorzugt in Blumenkästen mit höheren Pflanzen nieder, denn diese sind für sie ein Sichtschutz. Wenn ein Flachdach begrünt ist, kann es ebenfalls sein, dass eine künftige Entenmama dort ihr Nest versteckt.
Brutzeit der Stockenten ist von Februar bis August. 28 Tage sitzt das Weibchen auf den Eiern – es können bis zu 15 sein. Während des Brütens verlässt die Ente das Nest so gut wie nie. „Wenn sie das drei Mal macht, ist es viel“, sagt Karl Heinz Hanny. Da sie sich nicht bewegt, braucht sie kaum Futter. Geht sie aber doch auf Futtersuche, verdeckt sie das Nest zum Schutz mit ihren Daunenfedern.

Tierrettung rufen
Brütet eine Ente auf dem Balkon, muss der Mensch nur eines beachten: Er sollte das Tier in Ruhe lassen. Schwieriger kann es werden, wenn der Nachwuchs geschlüpft ist. Die Mutter nimmt ihre Jungen dann nämlich sehr bald mit zum nächstgelegenen Gewässer, sie können aber noch nicht fliegen. Wenn der Balkon zu hoch liegt, sterben die Jungen durch das Hinunterhüpfen. Außerdem kann der Weg zum Wasser, wenn er über Straßen führt, lebensgefährlich für die Tiere sein. Eine Entenmama mit ihren Jungen einzufangen und an einem Gewässer aussetzen, sollte nur jemand, der sich auskennt. Für alle anderen – und das dürfte der Großteil der Menschen sein – gilt: Tierretter Karl Heinz Hanny oder die inatura anrufen (Kontaktdaten am Artikelende) – und zwar bevor der Nachwuchs geschlüpft ist, damit wichtige Infos im Vorhinein abgeklärt werden können.

Durchschnittlich zehn Mal pro Jahr wird der Tierretter zu einem Einsatz gerufen, weil eine Entenmama sich auf einem Balkon oder Flachdach niedergelassen hat. Oft sind die Einsatzorte in Bodenseenähe, Karl Heinz Hanny hat aber auch schon Entenfamilien aus Lustenau geholt. „Unter Umständen brüten Stockenten in Wohnsiedlungen in der Nähe des Alten Rheins“, führt er aus. Ab und zu kommt es zudem vor, dass die Tiere ihr Nest in einem Boot errichten, wenn sie einen Durchlass in der Bootsabdeckung finden. „Die Jungen haben dann keine Chance und sterben, da sie ohne menschliche Hilfe nicht aus dem Boot kommen“, erklärt der Tierfreund. Deshalb sollten Bootsbesitzer darauf achten, dass es keinen Durchschlupf in der Abdeckung gibt.
Die meisten Menschen freuen sich, wenn auf ihrem Balkon gefiederter Nachwuchs erwartet wird. Wer das jedoch nicht möchte, kann Blumenkästen mit Gittern abdecken. Plastikbänder oder Luftballons an dem Ort, wo das Tier sein Nest baut, vertreiben es ebenfalls. Diese beiden Hilfsmittel tun ihren Dienst übrigens auch, wenn eine Ente an einem Zier- oder Schwimmteich brüten will, der Besitzer des Sees damit aber keine Freude hat. Karl Heinz Hanny erklärt aber, dass die Entenfamilie an einem kleinen Teich nicht lange bleiben wird: „Die Mutter wird die Küken dort kurz erstversorgen und nach einem Tag ein größeres Gewässer aufsuchen.“
Kontakt Karl Heinz Hanny: 0664 3331330. Beratungsstelle inatura: 05572 232350.
