„Die Mutter möchte ihr Kind lieben, aber es geht nicht“

Wenn eine Mutter nach der Geburt über längere Zeit traurig, freudlos und voller Ängste ist, kann sie an einer Kindbettdepression leiden.
Kindbettdepressionen treten häufiger auf als allgemein angenommen: Zwischen 10 und 20 Prozent der Frauen, die ein Baby zur Welt gebracht haben, sind davon betroffen. Auch wenn heutzutage das Tabu psychischer Krankheiten teilweise gebrochen ist, ist diese Depression mit einer besonderen Scham und damit einem Schweigen behaftet. Denn eigentlich – so der gesellschaftliche Usus und meist auch die Erwartung der Betroffenen – soll die Zeit nach der Geburt eine der glücklichsten sein. Deshalb denken betroffene Frauen: „Es darf nicht sein, dass ich mich schlecht fühle. Wir haben uns dieses Kind doch gewünscht. Andere Mütter sehen glücklich aus, und ich dachte, mir wird es genauso gehen“, beschreibt Hebamme und Psychotherapeutin Rebecca Köb-König.
Die Mütter schämen sich häufig für diese Gedanken, sprechen nicht darüber und tun nichts dagegen. Dabei, so plädiert die Hebamme, wäre es wichtig, die Depression rasch zu behandeln. „Sie ist sehr gut behandelbar“, erklärt Köb-König. Und: „Diese wertvolle erste Zeit wird, wenn die Kindbettdepression andauert, unter einem Schatten stehen. Ich weiß von Frauen, die sagen: ‚Die Depression hat mir die erste Zeit mit dem Kind genommen.‘“

Eine Kindbettdepression ist nicht zu verwechseln mit dem Babyblues. Der Blues entsteht kurz nach der Geburt, wird von der Hormonumstellung ausgelöst, dauert nur kurz und ist harmlos (mehr Infos siehe Factbox unten). Eine Kindbettdepression tritt zwischen der dritten Lebenswoche und dem ersten Jahr nach der Geburt auf. Sehr selten, aber doch, kann sie wie andere Depressionen im Suizid enden. Wenn Betroffene Suizidgedanken äußern, muss ihnen sofort Hilfe angeboten werden, sagt Köb-König.
Mehrere Symptome
Die Symptome der Kindbettdepression sind neben der eingangs erwähnten Scham eine tiefe Traurigkeit, eine Freud-, Interessen- und Antriebslosigkeit sowie die Schwierigkeit, zur Ruhe zu kommen. Zudem plagen die Betroffenen Schuldgefühle, Sorgen und Versagensängste wie „Bin ich eine gute Mutter, kann ich das Kind versorgen?“.
Kennzeichnend ist außerdem: „Die Frau hat zwiespältige Gefühle ihrem Kind gegenüber. Sie möchte es lieben, weiß auch um die Liebe, kann sie aber nur schwer fühlen. Der Mutterfunke, von dem alle meinen, er kommt automatisch, fehlt“, verdeutlicht Köb-König. Aber, so fährt sie fort: „Es ist wichtig zu differenzieren, dass Muttersein viele Facetten hat. Es gibt viele schöne Momente, aber auch belastende und überfordernde. Manchmal negative Gefühle zu haben oder traurig und freudlos zu sein, deutet nicht sofort auf eine Krankheit hin.“ Wenn die belastenden Gedanken und Gefühle aber länger als zwei Wochen andauern, sollten die Mutter und ihr Umfeld achtsam sein und es abklären lassen.
Risikofaktoren
„Eine Kindbettdepression kann im Prinzip bei jeder Frau entstehen“, sagt die Hebamme und Psychotherapeutin. Eine traumatische Geburt kann die Entstehung begünstigen, so Köb-König. Weitere Ursachen der Erkrankung beschreibt Michael Rohde, Primar der Gynäkologie am LKH Bregenz und am KH Dornbirn: „Ein Risikofaktor ist, wenn eine Frau vorher schon psychisch erkrankt war oder wenn es in ihrer Familie eine Belastung für psychische Krankheiten gibt. Die Kindbettdepression kann aber auch durch Überforderung und mangelnde Unterstützung verursacht werden. Diese Lebensphase ist – zumindest für Erstgebärende – ein extremer Umbruch. Aus einer Zweier- wird eine Dreierbeziehung. Es tauchen viele neue Fragen auf. Wenn dann noch etwas dazukommt, Partnerschaftskonflikte etwa, kann die Situation kippen.“

Der erste therapeutische Ansatz ist laut dem Arzt deshalb, für die erkrankte Frau Entlastung zu organisieren, etwa durch Familienhilfe oder durch eine Umschichtung der Aufgaben innerhalb der Familie. Generell sei es so: „In der Phase vor der Geburt wird die Frau durch die Mutterschutzbestimmungen geschützt und kann sich ausruhen. Eine Familie ist jedoch das ganze erste Lebensjahr über schutzbedürftig und braucht Unterstützung von außen, wenn sie nicht auf ein privates Netzwerk zurückgreifen kann.“ In diesem Punkt seien die Gesellschaft und die Politik gefordert, so der Primar. Hebamme Köb-König sagt zum Thema Überforderung und Kindbettdepression: „Schön ist es, wenn eine frischgebackene Mutter Fürsorge und Unterstützung in dieser großen Umstellungszeit erfährt.“
„Schön ist es, wenn eine frischgebackene Mutter Unterstützung in dieser großen Umstellungszeit erfährt.“
Rebecca Köb-König, Hebamme und Psychotherapeutin
Wird die Mutter durch die Entlastung nicht gesund, ist der nächste Schritt zur Genesung die Psychotherapie, gefolgt von Medikamenten. Sehr wichtig in diesem Zusammenhang: „Viele Medikamente sind mit dem Stillen vereinbar, sofern es nicht eine sehr starke Medikation ist“, informiert der Arzt. Bei schweren Depressionen werden die Mütter ins LKH Rankweil eingewiesen. Dort gibt es auch die Möglichkeit, dass sie mit dem Kind aufgenommen werden.
Doch noch einmal zurück zu der Zeit, bevor eine Kindbettdepression diagnostiziert wurde: Sollte die Frau anderen Familienmitgliedern oder Freundinnen und Freunden erzählen, wie sie sich fühlt, ist es laut Köb-König sehr wichtig, die Gefühle der Frau ernst zu nehmen und nicht abzuschwächen mit Sätzen wie: „Aber du hast doch eine schöne Geburt gehabt.“ Werden die Gefühle der Mutter relativiert, traut sie sich meist nicht mehr, darüber zu sprechen, so die Hebamme.
Wer die Krankheit bemerkt
Oft sind es die nachbetreuenden Hebammen oder die Mitarbeiterinnen von Stillcafés und Stillberatungen, die als Erstes außerhalb der Familie bemerken, dass es einer frischgebackenen Mutter nicht gutgeht. Fällt Hebamme Köb-König, die in der Hebammenpraxis Dornbirn arbeitet, bei ihren Hausbesuchen etwas auf, spricht sie das Thema behutsam an und geht mit der Frau einen Fragebogen durch. Ist die Depression noch nicht sehr schwer, kommt die Hebamme und Psychotherapeutin öfter auf Hausbesuch und erarbeitet mit der Familie, wie die Frau entlastet werden kann.

Von der medizinischen Seite her ist der Hausarzt die erste Ansprechperson. Wird rasche Hilfe benötigt und ist kein Hausarzt oder Psychiater verfügbar, steht die Ambulanz am LKH Rankweil zur Verfügung. Köb-König: „Es ist mir ein Anliegen, den Frauen die Scheu vor psychiatrischer Unterstützung zu nehmen. Uns Menschen fällt es viel leichter, bei körperlichen Problemen medizinische Hilfe zu suchen. Dabei gehört die Psyche zur Gesamtgesundheit.“
Auch Väter sind betroffen
Abschließend betonen der Gynäkologe und die Hebamme, dass bei Kindbettdepressionen auch auf den Vater geachtet werden soll: „Er kommt unter Umständen sehr unter Druck und selbst in krisenhafte Zustände“, sagt Rohde. Köb-König berichtet: „Man geht davon aus, dass circa zehn Prozent der Väter von einer postpartalen Depression betroffen sind, wenn es ihren Frauen wieder besser geht.“ Der Gynäkologe erklärt, dass viele Männer bei Erstgeburten ein unrealistisches Bild vom Familienleben haben. Um sie zu stärken und aufzuklären, bietet die Stadt Dornbirn den Kurs „Mann wird Papa“ an.
Das Netzwerk Familie hilft weiter, wenn eine Familie Unterstützung benötigt: www.netzwerk-familie.at. Die nächsten Väterabende „Mann wird Papa“ finden am 7. August und am 4. September, jeweils um 18.30 Uhr, im kleinen Saal im ehemaligen Pflegeheim beim KH Dornbirn statt.
Babyblues
Den Baby- oder Wochenbettblues haben zwischen 70 und 80 Prozent aller Frauen nach der Geburt. Er ist harmlos, aber nicht angenehm, und äußert sich folgendermaßen: „Die Wöchnerin wird von Gefühlen überwältigt, die nichts mit der Realität zu tun haben. Obwohl alles gut ist, ist sie traurig und weint“, beschreibt Michael Rohde, Primar der Gynäkologie am LKH Bregenz und am KH Dornbirn. Bei manchen Frauen ist der Babyblues stärker ausgeprägt, bei anderen weniger. Er tritt am zweiten oder dritten Tag nach der Geburt auf, weil zu dieser Zeit eine starke Hormonumstellung stattfindet. Nach einigen Stunden bis zu wenigen Tagen ist er vorbei. „Wichtig ist, dass die Frauen von Ärzten, den Hebammen oder der Pflege aufgeklärt werden und sie wissen, dass er ein normales Phänomen ist“, sagt Rohde. Ansonsten benötigen die Betroffenen keine weitere Hilfe.