„Die Polizei ist überfordert und grob“

Die Juli-Protestwelle der österreichischen Klimaaktivisten geht zu Ende, die Probleme jedoch nicht.
Zu den wohl kontroversesten Erscheinungen unserer Zeit gehören die Klimaaktivisten von Gruppen wie „Extinction Rebellion“ oder „Letzte Generation“ und ihre Aktionen. Nur wenige Themen und Organisationen polarisieren in diesem Ausmaß.
Der Juli war österreichweit ein „protestintensiver“ Monat: In Wien etwa war die „Letzte Generation“ fast dauerpräsent, in Vorarlberg sorgte „Extinction Rebellion“ mit einer großen Aktion vor dem Landhaus für Aufsehen. Doch egal, in welchem Bundesland und mit welcher Gruppe: Stets ein zentrales Thema der Diskussion rund um den Aktivismus ist das Wechselspiel der Protestierenden mit Exekutive und Behörden. Scharfe Vorwürfe wechseln die Seiten: „Klima-Terrorismus“, „Versagen“, „Polizeigewalt“ heißt es regelmäßig.

Marina Hagen-Canaval, eines der bekanntesten Gesichter des österreichischen Klima-Aktivismus, Pressesprecherin der „Letzten Generation“ und auch bei „Extinction Rebellion“ aktiv, hat in den letzten Monaten viel – durchaus auch medial beachtete – Erfahrung im Umgang mit den Behörden gesammelt, wurde auch mehrmals festgenommen. Der Vorarlberger Polizei wirft sie vor allem eines vor: Unprofessionalität. „Die Polizei wirkte beim ersten größeren Protest in Vorarlberg im Oktober 2022 eher überfordert – die Beamten kamen spät und haben nur zugesehen, anstatt die Versammlung zu schützen, wie es ihre Aufgabe gewesen wäre. Sie sind auch viel zu spät eingeschritten, als ein Autofahrer in einen Aktivisten hineinfuhr“, so Hagen-Canaval.
Auch beim großen Juli-Protest vor dem Landhaus, bei dem unter anderem ein mit Beton gefülltes Boot, festbetonierte Aktivisten und Dreibein-Steher zum Einsatz kamen, sei die Polizei „überfordert, unprofessionell, grob, gewaltvoll“ gewesen und habe sich im Ton vergriffen. „Man warf mir vor, aggressiv, extrem und psychisch krank zu sein, das habe ich auf Video“, so die Aktivistin. Auch sei sie beim Wegtragen von Beamten an den Haaren gerissen worden, man habe ihr die Schulter gezerrt. „Dafür gibt es Befunde und Videos“, so Hagen-Canaval. Sie ist nicht die Einzige, von der solche Anschuldigungen Richtung Exekutive kommen.
Ausweichende Reaktion
Was setzt die Vorarlberger Polizei den Vorwürfen des gewaltvollen Vorgehens entgegen? Eigentlich nichts. Auf eine Anfrage der NEUE reagiert man ausweichend: „In Vorarlberg wird bei Aktionen der Klimaaktivisten durch die zuständige Behörde immer abgewogen, ob die (meist unangemeldete) Versammlung aufgelöst werden muss, oder nicht. Wenn es die Situation erlaubt, wird von den Beamten die Abhaltung der Versammlung überwacht und geschützt, damit die Abhaltung der Versammlung störungsfrei durchgeführt werden kann.
So auch in Lustenau im April dieses Jahres, als ein Grenzübergang von den Klimaaktivisten blockiert wurde. Bei dieser Versammlung hat man den Verkehr umgeleitet und die Klimaaktivisten durften ihre Versammlung bis zu ihrem selbst gewählten Versammlungsende, ungestört durchführen“, heißt es seitens Pressestelle. Über Vorwurf und Vorgehensweise verliert man allerdings kein Wort.

Klarer drückt das Sicherheitslandesrat Christian Gantner (ÖVP) aus. „Diese Vorwürfe weise ich als Sicherheitslandesrat aufs Vehementeste zurück. Diese Proteste produzieren für Polizistinnen und Polizisten, in einem ohnehin schon angespannten Umfeld, nicht nur zusätzliche Arbeitsbelastung, sondern bedeuten für sie auch eine große psychische Belastung. Mir ist in Vorarlberg kein Vorgehen bekannt, bei dem Polizisten nicht mit besonderer Sensibilität reagiert haben“, so der Politiker.
Alles wird dokumentiert
Eine „Beweisaufnahme“ gibt es auf beiden Seiten: Die Aktivisten filmen ihre Aktionen stets mit, auch bei der Polizei ist bei jedem Einsatz das Team der Beweissicherung („BeSi“) dabei und dokumentiert den gesamten Vorgang per Foto- und Videoaufnahme.
Laut Pressestelle durchlaufen die Beamten regelmäßig ein spezielles Einsatztraining, „wo auch aktuelles einsatztaktisches Verhalten trainiert wird“. Dieses Trainingskonzept werde immer wieder auf neue Anforderungen, die auf die Beamten im Außendienst zukommen, angepasst.

Auch insofern betont Landesrat Gantner hier den regelkonformen Ablauf: „Was die Einsätze in Vorarlberg betrifft, bedanke ich mich bei den Einsatzkräften für ihr professionelles und besonnenes Vorgehen. Ich sehe es als wichtige Aufgabe der Politik, hinter den geltenden Gesetzen und den im Sinne dieser handelnden Polizistinnen und Polizisten zu stehen und ihnen den Rücken zu stärken.“
Rote Linie überschritten
Rote Linie überschritten. Die Art und Weise der Klimaproteste kritisiert Gantner, wenngleich nicht die Ideologie dahinter: „Grundsätzlich finde ich es positiv, wenn sich Menschen für den Klimaschutz einsetzen. Wenn jedoch gesetzliche Vorgaben missachtet und Personen gefährdet werden, dann überschreitet auch der Protest eine rote Linie. Egal von wem und für welches Thema. Das dürfen wir auch als Rechtsstaat und Demokratie nicht tolerieren.“
Eines gesteht auch Aktivistin Marina Hagen-Canaval der Vorarlberger Polizei zu: „Sie achtet zumindest unser Recht auf friedliche Versammlung, bis sie uns gewaltvoll entfernen. Zudem wird man in Wien eingesperrt, auch wenn man sich ausweist. In Vorarlberg durften wir nach Vorlegen unseres Ausweises gleich wieder gehen.“

Für den Sommer seien jedenfalls weitere Proteste geplant. Es ist davon auszugehen, dass auch diese von polizeilichen Einsätzen begleitet sein werden. Wie viel diese Einsätze eigentlich kosten und welche, auch finanzielle “Belastung” sie darstellen, ist übrigens Thema einer aktuellen Anfrage des Ländle-FPÖ-Chefs Christof Bitschi an Gantner.