Bauskandal: Fingierte Rechnungen, Geschenke und sanierte Privathäuser

Siemens-Sachverhaltsdarstellung offenbart, wie die mutmaßlichen Betrüger von Siemens und der Krankenhausbetriebsgesellschaft die öffentliche Hand prellten.
In der Betrugscausa um Siemens und die Vorarlberger Krankenhausbetriebsgesellschaft (KHBG) treten im Rahmen der umfangreichen Aufarbeitung immer wieder neue Facetten ans Tageslicht. Gleichzeitig sind noch viele Frage offen. Die NEUE am Sonntag konnte nun als erstes Medium in Vorarlberg Einsicht in die von Siemens-Anwälten erstellte Sachverhaltsdarstellung nehmen.
In dem fast 100-seitigen Konvolut (exklusive Anhänge) finden sich zahlreiche Details, die bis dato noch nicht bekannt waren. Die minutiös aufgearbeiteten und mit zahlreichen E-Mails dokumentierten Vorgänge zeigen, wie schamlos sich die mutmaßlichen Täter und involvierten Firmen an öffentlichen Geldern bedienten und welches Ausmaß der finanzielle Schaden annehmen könnte. Darüber hinaus zeichnet sich immer klarer ab, dass neben Siemens- und KHBG-Mitarbeitern in großem Umfang auch Unternehmen im Baugewerbe in den Skandal verwickelt sein könnten. Immerhin findet sich in der Anzeige eine lange Liste von Vorarlberger Betrieben, die Arbeiten an den privaten Häusern der Beschuldigten vorgenommen, sich diese jedoch großteils von der KHBG bezahlen lassen haben sollen. Wie berichtet hinterlegten bislang zwei Unternehmer, ein Elektroinstallateur und ein Dachdecker, beträchtliche Geldsummen zur Schadenswiedergutmachung.
Unterschiedliche Maschen
Die Hauptfiguren im Betrugsnetzwerk – ein Siemens-Salesmanager, zwei Mitarbeiter der KHBG-Bauabteilung in Feldkirch und ein leitender Angestellter bei Hirschmann Automotive in Rankweil (mittlerweile alle entlassen) – bedienten sich unterschiedlicher Maschen. Die Dokumente, die im Zuge einer internen Untersuchung beschafft wurden, lassen Siemens zufolge eine „ausgefeilten Systematik des Zusammenwirkens“ erkennen

Scheinrechnungen
Unter „Faktenkomplex 1“ wird beschrieben, wie ein KHBG-Mitarbeiter und der Hirschmann-Angestellte über ihre eigenen Firmen Rechnungen ohne Gegenleistungen an Siemens stellten. Diese sollen bezahlt und auf Projekte von Siemens-Kunden – meistens die KHBG oder Hirschmann – umgelegt, sprich weiterverrechnet worden sein.
Wie aus der Sachverhaltsdarstellung hervorgeht, hat allein die Baufirma des KHBG-Mitarbeiters zwischen April 2013 und März 2023 insgesamt „211 Rechnungen über insgesamt 1,46 Millionen Euro an Siemens gestellt, die allesamt auch bezahlt wurden“. Über die ökonomische Logik, so heißt es in er Anzeige, „muss man im gegebenen Zusammenhang nicht spekulieren, hier wurden mutmaßlich Scheinleistungen durch Scheinrechnungen zu Geld gemacht“. Dass Abrechnung und Bestellung häufig am selben Tag erfolgten, während die Abrechnungszeiträume meist Monate betreffen, weist laut den Prüfern auf eine „nachträglich zwischen den Tätern akkordierte Scheinrechnungslegung“ hin.
Vom Handy bis zum Mähroboter
Ebenfalls im Faktenkomplex 1 behandelt wird „das Verteilen von Geschenken an bestimmte Personen auf Kosten von Kunden“. So soll der Siemens-Manager, „nachdem er über Wünsche und Bedürfnisse bestimmter, offenbar wichtiger Personen informiert wurde“, bei einem Drittunternehmen Elektronikgeräte bestellt haben. Angeführt werden hier unter anderem Smartphones, Tablets und Apple Watches, aber auch ein Weinkühlschrank sowie Rasenmäh- und Saugroboter. Getarnt als sogenannte „Schaltschrankanpassungen“ sollen die Gerätschaften dann mittels fingierter Rechnungen auf Projekte von Siemens-Kunden wie der KHBG verbucht worden sein. Im Zuge der internen Untersuchung fanden die Prüfer mehrere Dutzend derartiger Vorgänge. Wie berichtet, hat auch ein früherer Baumanager, der auch Stadtrat in Bregenz war, ein iPhone von Siemens erhalten. Er räumt dies zwar ein, streitet aber jede Tatbeteiligung ab und wird auch nicht als Verdächtiger geführt.

Der elfte Beschuldigte
Als Zwischenhändlern dürfte hier die auf Steuerungen und Prozesstechnik spezialisierte Firma Protec in Rankweil fungiert haben. Deren Miteigentümer und Geschäftsführer, einst FPÖ-Landtagsabgeordneter und Vizepräsident der Wirtschaftskammer, Fritz Amann, hatte Anfang September publik gemacht, dass sein Unternehmen eine Sachverhaltsdarstellung über Verstrickungen mit den Siemens-Malversationen eingebracht habe. Zur VN sagte Amann, dass die Sache die Vergangenheit betreffe und der Mitarbeiter nicht mehr in der Firma sei. Laut Firmenbuch ist dieser zwar seit Oktober 2022 nicht mehr Geschäftsführer der Firma, wird dort allerdings noch immer als Bereichsleiter geführt. Auf NEUE-Nachfrage sagt Amann nun, dass das vertragliche Arbeitsverhältnis noch bis Ende Monat laufe, der Mitarbeiter aber keine Funktion mehr innehabe. Der ehemalige Geschäftsführer wurde vor Kurzem als elfter Beschuldigter erfasst, wie die Staatsanwaltschaft Feldkirch am Freitag auf NEUE-Anfrage bestätigte.
Haussanierungen
Im Faktenkomplex 2 geht es hauptsächlich um Sanierungsarbeiten, die der frühere Siemens-Manager und die ehemaligen Mitarbeiter der KHBG-Bauabteilung an ihren eigenen Liegenschaften vornehmen ließen. Laut Sachverhaltsdarstellung gibt es Indizien dafür, dass die Leistungen unter anderer Bezeichnung auf Projekte der KHBG verbucht wurden. Die systematische Vorgangsweise der handelnden Personen ziehe sich über Jahre und zahlreiche Beauftragungen, heißt es.
In der Anzeige nennt Siemens rund ein Dutzend Handwerks- und Baubetriebe, die in die Malversationen involviert sein könnten. Auf der Liste finden sich nahezu alle Gewerke, die es für den Bau eines Hauses benötigt. Dem Vernehmen nach sollen die betreffenden Firmen auch bei Auftragsvergaben der KHBG immer wieder zum Zug gekommen sein.