Sport

Der Abgrund menschlichen Handelns

01.11.2025 • 22:32 Uhr
Der Abgrund menschlichen Handelns
Die Altacher Frauenmannschaft steht vor einer schwierigen Aufarbeitung. Serra

Essay. NEUE-Sportchef Hannes Mayer hat sich in einem Meinungsbeitrag Gedanken über die Videocausa beim Bundesliga-Frauenteam des SCR Altach gemacht.

Was geht in einem Mann vor, der als Funktionär einer Frauenfußball-Abteilung in der Kabine seiner Spielerinnen heimlich eine Kamera installiert, die Mädchen und Frauen offensichtlich über einen langen Zeitraum ohne deren Wissen filmt und diese Aufnahmen fein säuberlich archiviert? Manch einer beschreibt den mutmaßlichen Täter als Kontrollfreak. Aber lassen wir uns nicht in die Irre führen. Diesem Mann ging es nicht um Kontrolle. Nicht ums Überwachen. Es ging ihm nahezu sicher um Macht. Es ging ihm um die Illusion, seine Spielerinnen besitzen zu können, sexuell besitzen zu können – und das jederzeit. Diese abstruse Begierde würde man mitunter einem Menschen zuschreiben, der frustriert und isoliert lebt, der nie so recht gelernt hat, soziale Kontakte zu knüpfen. Doch der mutmaßliche Täter ist Familienvater. Seine Machtfantasien lebte er auch nebenberuflich aus – als Person, die Verstöße ahndete und über andere entschied.
Es wäre ein Leichtes, seinen Namen an dieser Stelle zu nennen. Viele, die sich im Vorarlberger Sport bewegen, kennen die Identität des Beschuldigten ohnehin. Aber auch das wäre eine massive Grenzüberschreitung, auch dieser Mann hat gerade als mutmaßlicher Täter den Anspruch auf Persönlichkeitsschutz. Das mag bizarr klingen, denn gerade er war es ja allem Anschein nach, der den Persönlichkeitsschutz der Altacher Bundesliga-Spielerinnen auf so verachtenswerte Weise mit Füßen getreten hat. Doch Selbstjustiz, und sei sie noch so unter dem hehren Mantel der Gerechtigkeit, darf in unserer Gesellschaft keinen Platz haben.

Unfassbare Datenmenge. Trotzdem dreht es einem mehr als nur den Magen um, wenn man daran denkt, was dieser Mann wohl getan hat – es gilt natürlich die Unschuldsvermutung. Der Mann soll laut NEUE-Informationen Filmmaterial mit einer Gesamtdatenmenge von 70 Terabyte bei sich zu Hause archiviert haben. Das ist eine größere Datenmenge, als für die kommendes Jahr geplante bemannte zehntägige Mondmission „Artemis 2“ benötigt wird, für die ein Datenaufkommen von 30 bis 50 Terabyte vorhergesagt wurde. Allein dieser Vergleich zeigt auf, wie mutmaßlich krankhaft das Verhalten des ehemaligen Altacher Funktionärs war.
Und auch wenn man es irgendwie gar nicht wissen will, stellt sich natürlich die Frage, was dieser Mensch mit diesen Aufnahmen gemacht hat. Hat er sie ausschließlich angefertigt, um seinen Voyeurismus, seinen Machttrieb, seine Lust zu befriedigen – oder hat er mit den Aufnahmen mitunter im Darknet, als dem dunklen Teil des Internets, Handel betrieben? Hat der Mann also vielleicht Aufnahmen von Altacher Fußballspielerinnen gegen Videosequenzen von Mädchen in anderen Erdteilen getauscht?
Denn wie die Kriminalberichte in ähnlich gelagerten Fällen oftmals dokumentieren, ist diesen Menschen das Sammeln solcher Aufnahmen alsbald zu wenig, sie wollen andere an ihren Erfahrungen teilhaben lassen, darüber mit ihnen kommunizieren, die Lust des Anderen spüren – und damit wieder Macht erleben. Natürlich klingt das alles mehr als grauslich, aber man muss schon benennen, was da passiert ist und was das alles bedeutet oder zumindest bedeuten könnte. Klarheit werden die Ermittlungen bringen.

Der Abgrund menschlichen Handelns
Das Altacher Vereins- und Stadiongelände als mutmaßlicher Tatort. Klaus Hartinger

Schutzbefohlene. Um eines klar auszusprechen: Was in Altach passiert ist, ist kein dummer Jungenstreich, es ist nicht damit abzutun, dass jemand, der die Möglichkeit dazu hatte, eben irgendwo eine Kamera versteckt hat, um Aufnahmen nackter oder halbnackter Frauen anzufertigen. Und wer sich bei der Bewertung gar noch beim Gedanken ertappt, dass die Spielerinnen sich jetzt bloß nicht so anstellen sollen, der sollte schleunigst an die frische Luft und seine Werte einer gründlichen Prüfung unterziehen. Nein, dieser ehemalige Altach-Funktionär ist in die intimste Privatsphäre eingedrungen, auch bei Schutzbefohlenen, also Mädchen und jungen Frauen, die während der Aufnahmen unter 18 waren und dabei in einem Abhängigkeitsverhältnis standen. Mit Verlaub, man kann gar nicht so viel saufen, wie man kotzen möchte, wenn man über die Dimensionen dieser Angelegenheit nachdenkt. Gott sei Dank ist nach jetzigem Ermittlungsstand das Altacher Future-Team nicht betroffen, es gibt auch keinerlei Verdachtsmomente. Die Mädchenmannschaft, in der diejenigen Jugendlichen spielen, die vor dem Sprung in den Bundesligakader stehen, ist im Adi-Hütter-Campus untergebracht, also nicht im Profibereich.

Besser spät als nie. Nichtsdestotrotz stellt sich freilich die Frage, wie es dem Beschuldigten möglich war, im Altacher Kabinentrakt eine Kamera zu installieren und die so gut zu verstecken, dass sie offensichtlich über einen ganz langen Zeitraum hinweg unentdeckt blieb, obwohl sicherlich regelmäßig Speicherabflüsse notwendig waren und diese Kamera ja auch eine Stromzufuhr benötigte, sei es über Batterien oder Akkus.
Das soll keine Anschuldigung an den SCR Altach sein, aber natürlich werden sie sich auch beim SCRA längst die Frage stellen, wie eine solche mutmaßliche Straftat, noch dazu offenbar fortlaufend, in ihren Räumlichkeiten stattfinden konnte. Wobei man ja landläufig eigentlich nicht damit rechnet, auf solche menschlichen Abgründe zu treffen. Doch genau das ist eben ein Irrtum. Die Wahrheit ist leider, dass die menschliche Seele aus sehr vielen Abgründen besteht und viel mehr von uns, als wir das glauben, auch in diese Abgründe stürzen.
Man möchte den Altacher Spielerinnen zurufen, dass sie es nicht zulassen sollen, dass dieser ehemalige SCRA-Funktionär die Macht über ihre Gefühle bekommt, dass sie mutig und stark sein sollen und sie sich nicht von den Geschehnissen brechen lassen sollen. Denn der, der sie mutmaßlich systematisch beobachtet, ausgespäht und entwürdigt hat, ist nur vermeintlich der Mächtige bei dieser Intrige: Eigentlich ist er der Schwache, dieser mutmaßliche Spanner ist wohl vielmehr völlig hilflos gegenüber anderen; und machtlos gegenüber den Bedürfnissen und dem freien Willen seiner Gegenüber. Sonst hätte ein erwachsener Mann solche Abscheulichkeiten nicht nötig. Er besitzt noch nicht mal die Macht, bei einem so weitreichenden Handeln von Gut von Böse zu unterscheiden. Ein solcher Mann fühlt mitunter nur Macht, wenn sich andere schwach fühlen. Doch so leicht solche Sätze geschrieben sind, so schwierig ist es, sich nicht unterkriegen zu lassen, zumal jeder Mensch ob seiner Erfahrungen und Prägungen anders ist und anders reagiert. Es kann durchaus sein, dass einige Altacher Spielerinnen ihren ehemaligen Funktionär auslachen und belächeln, ihn als armselige Witzfigur abtun. Doch leider genau so wahrscheinlich ist, dass es andere Spielerinnen gibt, die zutiefst verletzt sind und sich gedemütigt fühlen.
Wichtig ist jetzt nicht nur eine lückenlose Aufklärung, sondern auch, dass Präventionsmaßnahmen gesetzt werden, in Altach und im gesamten österreichischen Frauenfußball. Es darf einfach nicht wahr sein, dass Frauen, die ihren Sport ausüben, von Einzelnen zum Objekt, oder um es beim Namen zu nennen, zum Lustobjekt degradiert werden. Dass solche Plädoyers im Jahr 2025 in Österreich notwendig sind, macht betroffen. Doch leider ist die Primitivität mancher grenzenlos. Einer dieser Sorte ist jetzt offenbar aufgeflogen. Besser spät als nie.