22 Jahre Jüdisches Museum: Ein Direktor zieht Bilanz

Hanno Loewy, scheidender Direktor des Jüdischen Museums Hohenems, über die besten Ausstellungen, veränderte Debatten und welche Aufgaben bis zur Übergabe noch vor ihm liegen.
NEUE: Sie scheinen im Moment wirklich sehr beschäftigt zu sein.
Hanno Loewy: Ja, es ist viel aufzuräumen bis zur Pension. Mit den Büchern habe ich angefangen, jetzt sind die Aktenordner dran. Ich suche all das heraus, was man zum Teil auch woanders im Haus weitergibt. Die Komplexität steigert sich dabei langsam. Dann kommen die Papierstapel mit einzelnen Dingen, die man irgendwann einmal einfach abgelegt hat. Und dann kommt der Computer – das ist dann die Krönung.
NEUE: 22 Jahre an Aufzeichnungen sind sicherlich nicht wenig Material. Wenn Sie so zurückblicken, was würden Sie Ihrem Ich von vor 22 Jahren raten?
Loewy: Man wird doch mit der Zeit immer ein bisschen klüger. Aber so richtig etwas anders zu machen würde mir jetzt nicht einfallen. Und den Rat „Leg los“ habe ich mir damals ohnehin schon gegeben. Und auch die Irrtümer gehören dazu.
Was hat Sie im Laufe der Zeit klüger gemacht?
Loewy: Ich habe in dieser Zeit viel gelernt. Es beginnt damit, dass man, anders als in der Großstadt, in einem Kosmos wie hier mit einer wesentlich bunteren Vielfalt an Menschen unmittelbar zu tun hat – jedenfalls im Museum, wenn man mit offener Tür neben dem Eingang sitzt. Was es hier gibt, sind ausgeprägte Familienstrukturen, bei denen man grundsätzlich ein wenig auf Distanz bleibt, wenn man von außen kommt. Das Museum ist aber ein öffentlicher Ort, an dem sich die Menschen dieser Gesellschaft in unterschiedlichsten Zusammenhängen begegnen. An so einem Ort hat man mit allen sehr direkt zu tun. Das empfinde ich als große Qualität, um hier zu arbeiten.

NEUE: Würden Sie wieder Hohenems der Großstadt vorziehen?
Loewy: Natürlich ist es ein Riesensprung, aus einer Großstadt hierherzukommen. Was man hier mögen muss, ist das Leben in und mit der Natur. Das war für meine Familie und mich von Anfang an klar und etwas, das wir sehr schätzen. Zudem wussten wir, dass Hohenems ein schon immer experimentierfreudiges Museum besitzt, in dem Dinge ausprobiert werden, die man sich anderswo nicht traut, nicht nur bei den Sonderausstellungen. Das war ein Ruf, der mich damals gereizt hat.
NEUE: Was war Ihre bisher beste Sonderausstellung?
Loewy: Naja, manche wuchsen uns besonders an Herz. Wir produzierten viele der Ausstellungen selbst, was oft herausfordernd und wirkungsvoll war. Aber auch übernommene Ausstellungen – wie jene über vier palästinensisch-israelische Frauen – ermöglichten wichtige gesellschaftliche Diskussionen. Einige unserer eigenen Ausstellungen, etwa zu jüdischen Beziehungen zu den Alpen, zur weiblichen Seite Gottes oder zu Juden im globalen Musikbusiness, erhielten große Resonanz und tourten international, weil sie dialogorientiert gestaltet waren und Besucher aktiv einbezogen. Grundsätzlich verfolgen wir mit jeder Ausstellung das Ziel, Perspektivwechsel anzuregen, Offenheit zu fördern und Fragen zu stellen, die alle Menschen betreffen, ohne belehrend zu wirken.
NEUE: Hat sich der Umgang von außerhalb mit der jüdischen Kultur im Laufe der Zeit verändert?
Loewy: In den letzten Jahren haben sich die gesellschaftlichen Debatten auch hier durch den Nahostkonflikt polarisiert. Das Museum in Hohenems ist jedoch ein ruhiger, offener Ort des zivilen Dialogs, an dem unterschiedliche Perspektiven auf jüdische Geschichte und Gegenwart ohne Hysterie diskutiert werden können. Das ist mir wichtig. Dieser Ansatz hat dem Museum breite Anerkennung verschafft, obwohl offene Diskussionen über jüdische Themen vielerorts schwierig geworden sind und Mitarbeitende anderer Museen oft Angst haben, sich klar dazu zu äußern. Das ist hier nicht der Fall.
Der Israel-Palästina-Konflikt war gerade in den vergangenen zwei Jahren ein sehr schwieriges Thema. Wie geht es Ihnen damit?
Loewy: Ich war zunächst erleichtert, als die Geiseln freikamen und die Gewalt kurz nachließ. Doch mir ist klar, dass die Katastrophe in Gaza weitergeht und politisch keine Lösung in Sicht ist. Für mich zeigt sich eine ausweglose Situation, in der beide Seiten an Maximalpositionen festhalten, Gewalt eskaliert und äußere Akteure den Konflikt zusätzlich anheizen, während realistische Perspektiven wie eine geteilte Souveränität in immer weitere Ferne rücken. Gleichzeitig beobachte ich mit Sorge, wie Menschen sich mental in ihre eigenen Blasen zurückziehen, kaum noch zuhören und gesellschaftliche Polarisierung zunimmt – ein allgemeiner Trend, der sich in den Debatten über Israel und Palästina nur besonders hitzig zeigt
NEUE: Wenn sich jeder zurückzieht, entstehen ja oft schnell Missverständnisse und Vorurteile gegenüber anderen. Mit welchen Missverständnissen waren Sie häufiger konfrontiert?
Loewy: Zu dem Thema hatten wir 2012 sogar eine Ausstellung. Dafür sammelten wir typische, oft unausgesprochene Fragen über das Judentum – von Begrifflichkeiten bis zu der oft mit einem seltsamen Unterton vorgetragenen Frage, warum die Juden denn immer verfolgt würden, über die Beschneidung bis zur Beziehung zu Israel – und wir machten sie offen diskutierbar, ohne sie zu bewerten. Die Antworten bestanden meist aus mehrdeutigen Objekten, die Besucher dazu anregten, sowohl über ihre Frage als auch über ihre eigenen Vorannahmen nachzudenken und die Vielfalt jüdischer Communities wahrzunehmen. Ein Beispiel: Auf die Frage, ob Palästinenser und Juden friedlich zusammenleben können, installierten wir das Werk einer israelischen Künstlerin, das zwei seltsam geformte Flaschen zeigte: eine mit hebräischer, die andere mit arabischer Beschriftung.
NEUE: Sie gehen jetzt bald in Pension. Was sind Ihre Pläne für den kommenden Lebensabschnitt?
Loewy: Meine Nachfolgerin übernimmt ein sich dynamisch entwickelndes Museum, das räumlich an seine Grenzen stößt und behutsam erweitert werden muss, ohne den besonderen Charakter des Hauses zu verlieren. Gleichzeitig wurde in den letzten Jahren ein umfangreiches Bildungs- und Dialogprogramm zu gesellschaftlichen Konfliktlinien wie Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit aufgebaut, das nun langfristig verankert und weiterentwickelt wird. Zudem entsteht gemeinsam mit Schweizer Partnern ein großes internationales Erinnerungs- und Vermittlungsprojekt zum Thema Flucht und Asyl 1933–45, einer von zwei Standorten des geplanten Schweizer Memorials – direkt an der Grenze zu Österreich. Das wird das Museum weiter intensiv beschäftigen. Es gibt also einiges zu tun, aber Irene Aue-Ben David ist dafür eine wunderbare Wahl. Sie bringt viel Erfahrung und Wissen mit. Und ich helfe auch in der Pension selbstverständlich dort, wo ich kann und gebraucht werde.