Vorarlberg

Die Erfindung der Funkenhexe

06.03.2022 • 14:24 Uhr / 7 Minuten Lesezeit
Ein traditioneller Dornbirner Funken. <span class="copyright">Landesarchiv</span>
Ein traditioneller Dornbirner Funken. Landesarchiv

Historiker forscht zur Geschichte der Hexenverfolgung in Vorarlberg.

Was ist Ihre schönste Erinnerung an einen Funken?
Manfred Tschaikner: Als kleiner Bub spazierte ich mit einer tollen Laterne in einem großen Umzug zum Funken. Dort gab es eine Wurst und eine Limo, Musik war auch dabei. Es war eine dunkle, erhebende Stimmung.

Haben Sie auch eine schlechteste Erfahrung bei einem Funken gemacht? Was ist da passiert?
2014 wollte man eine Puppe auf einem Funken verbrennen, die ein Schild mit dem Namen Tschaikner um den Hals trug. Das war eine Reaktion auf meine Kritik an den Hexenpuppen.

Was für eine Kritik meinen Sie? Warum ist es Ihnen ein Anliegen?
Gegen das falsch verstandene Spektakel arbeite ich seit 30 Jahren. Was für einen Wert hat der Funken? Einen schönen? Man muss ihn nicht durch modernen Quatsch verunstalten. Es wäre eine Chance, etwas von der Denkweise unserer Vorfahren zu verstehen. Die haben das nicht aus Blödheit gemacht, denn er hatte in ihren Vorstellungen eine wichtige Aufgabe. Ich glaube, es würde uns guttun, wenn wir uns in die Vorstellungen der vergangenen Generationen hinein­ver­setzen würden. Wie und warum haben unserer Vorfahren anders gedacht als wir es heute tun?

Hat man früher den Funken aus einem anderen Grund gefeiert?
Der Sinn wurde fast ins komplette Gegenteil verdreht. Früher war er ein wichtiger Bestandteil des bäuer­lichen Lebens. Er musste auf eine genaue Art gemacht werden, sonst wirkte er nicht. Man wickelte brennbares Material um einen dürren Baum, den man auch Funkenbaum nannte. Dabei ging es auch nicht um die Vertreibung von Wintergeistern. Viel mehr war es ein positives Ritual, bei dem etwas Unbrauchbares geopfert wird, damit etwas Fruchtbares kommt. Verbrannt wurde die tote Natur, deren Asche das Wachstum fördert. Auf so einen Funken eine Hexe drauf zu stellen ist doch das Negativste. Das hat mit dem Funken nichts zu tun.

Der Historiker Manfred Tschaikner hat den Brauch erforscht. <span class="copyright">Hartinger</span>
Der Historiker Manfred Tschaikner hat den Brauch erforscht. Hartinger

Seit wann werden beim Funken Hexenpuppen verbrannt? Wie ist es dazu gekommen?
Erst Ende des 19. Jahrhunderts, in einer Zeit, wo es in Vorarlberg keine gerichtlichen Hexenverbrennungen mehr gab. Für den Funken hat sich damals fast niemand mehr interessiert. Man stand vor der Frage, ob man den Brauch aufgeben oder neu beleben soll. Durch die Hexe wurde er wieder interessant und erfolgreich gemacht. Es war auch die Zeit der Gebrüder Grimm, in deren schaurigen Märchen Hexen eine große Rolle spielen. In Bludenz wurde die Hexe zum ersten Mal ins feste Programm aufgenommen. Sie wurden damit zum Vorbild für das ganze Land. Daher ist es umso bedeutsamer, dass die Bludenzer Funkenzunft seit mehr als 20 Jahren keine Hexe mehr auf ihrem Funken verbrennt.

Bei der Bludenzer Funkenzunft beruft man sich dieses Jahr auf eine alte Funkentradition. Sie werden Fackeln mit Kindern bauen und damit durch die Stadt spazieren. Was haben Fackeln mit dem Funken zu tun?
Der Name Funken kommt von Fackeln. In allen alten Dokumenten ist der Funken eine Fackel. Anfang des 19. Jahrhunderts wollte die Obrigkeit den Funken verbieten. Im Montafon hat man zwar auf das Abbrennen der Funkenbäume verzichtet, aber die Fackeln ließen sie sich nicht nehmen. Ursprünglich ging es darum, die Vorfahren zu unterhalten. Als Totengeister waren diese auch für die Fruchtbarkeit verantwortlich. Man glaube, dass es ihnen gefällt, wenn die jungen Männer ihre Wildheit unter Beweis stellen. Etwa indem sie sich mit Fackeln gegenseitig verprügeln. Dadurch wollte man den Vorfahren beweisen, dass ihre Nachfahren eine gute Ernte verdient haben. Es war also auch etwas sehr Ernstes. Auch außerhalb von Vorarlberg, etwa in Städten wie Basel und Zürich wurde das gut dokumentiert. Irgendwann hat man das nicht mehr verstanden. Heute kommt unser Getreide aus Russland oder Brasilien, aber damals musste man es noch selber anbauen. Daher hatte der Brauch einen hohen Wert, da man damit für alle etwas tut. Frei nach dem Spruch: „Je mehr der Lärm, des­to höher das Korn“.

Was hat Sie motiviert, über die Hexenverfolgung zu forschen?
Ich habe schon als Student Bücher in die Hand bekommen, die zum Thema Hexen komplett verschiedene Aussagen getroffen haben. Dann ist mir die Idee gekommen, in einem kleinen Raum wie Vorarl­berg auf Quellenbasis das Thema zu untersuchen und einen Abgleich mit der Theorie zu machen. Was stimmt quellentechnisch? Was muss ausgesondert werden? Das hat sich sehr gelohnt.

Gibt es eine Vorstellung, die Sie besonders kritisch sehen?
Oft wird behauptet, die Hexen seien die frühen Kämpferinnen für Frauen oder die Natur gewesen. Die widerständige Frau wird in den Himmel gehoben, dabei gab es viele, die grundlos in die Misere geraten sind. Ich sehe darin keine Ermächtigung. Ich glaube auch nicht die These, dass die Frauen von Männern aus kapitalistischen Motiven knapp gehalten wurden. Es ist sehr wichtig, dass man die Quellen nicht zugunsten von Ideologien ignoriert.

Wurden nur Frauen verurteilt oder hat man auch Männer beschuldigt, Hexer zu sein?
In Vorarlberg waren 25 Prozent der Opfer Männer. In Oberösterreich, Kärnten und Salzburg wurden sogar mehr Männer als Frauen wegen Hexerei verurteilt.

Gehören Hexenverfolgungen der Vergangenheit an?
Das Thema ist immer noch aktuell, denn in vielen Regionen der Welt ist sie harte Praxis, die viele Opfer fordert. Etwa in manchen afrikanischen Ländern, in Indien oder Ozeanien.

Lässt sich die moderne Hexenverfolgung mit der neuzeitlichen vergleichen?
Die Grundstruktur ist die Gleiche, auch wenn der Hintergrund ein anderer ist. Menschen in Notsituationen versuchen ihr Leid zu erklären und glauben die Antwort in ihren Mitmenschen zu finden. Das dahinter liegende magische Denken ist zwar oft in sich logisch, fußt aber auf einer Unsicherheit. Daher haben deren Vertreter auch wenig Interesse, es rational zu überprüfen.
Wie ist es denn um das magische Denken in Vorarlberg bestellt?
Tschaikner: Die Grundlage ist gegeben. Für viele Menschen, die Antworten suchen, reicht das rationale Denken und seine Einsichten nicht aus. Das hängt aber auch von der individuellen Lage einer Person ab. Man kann sagen, es ist immer noch vorhanden, es wird aber ganz anders aktualisiert als früher.

Sebastian Vetter

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