Vorarlberg

„Warum trennst du dich nicht einfach?“

29.06.2023 • 23:00 Uhr / 8 Minuten Lesezeit
Nicht nur körperliche Gewalt zählt zur häuslichen Gewalt.<span class="copyright">Shutterstock/Symbolbild</span>
Nicht nur körperliche Gewalt zählt zur häuslichen Gewalt.Shutterstock/Symbolbild

Die eigenen vier Wände sind für Frauen oft kein sicherer Ort. Trotzdem brauchen sie durchschnittlich bis zu sieben Anläufe, sich aus gewaltgeprägten Beziehungen zu lösen. Was Betroffene tun können.

Das Zuhause ist teilweise alles andere als ein sicherer Ort – besonders für Frauen. Laut der Studie „Geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen in Österreich“ der Statistik Austria ist, jede dritte Frau in Österreich von körperlicher und/oder sexueller Gewalt betroffen.

Opfer sind oft Frauen. <span class="copyright">Symbolbild/Shutterstock</span>
Opfer sind oft Frauen. Symbolbild/Shutterstock

Die Zahl der von Gewalt betroffenen Menschen, die sich in Vorarlberg an die ifs-Gewaltschutzstelle gewendet haben, ist in den vergangenen Jahren laut Leiterin Angelika Wehinger sogar gestiegen.

Die Fallzahlen sind also in die Höhe gegangen, nicht verändert haben sich in den vergangenen Jahren hingegen die Anliegen der Menschen, die Hilfe bei der Gewaltschutzstelle suchen. „Betroffene möchten, dass die Gewalt aufhört. Sie wünschen sich, die eigenen vier Wände als Ort der Geborgenheit und Sicherheit zu erfahren“, berichtet Wehinger aus dem Alltag der ifs-Gewaltschutzstelle. Doch wie kann sich ein Opfer aus einer gewaltgeprägten Beziehung lösen?

Bis zu sieben Anläufe

„Oftmals ist dieses Ziel nicht einfach zu erreichen und es braucht einige Anläufe“, betont Wehinger. Sie unterstreicht das mit Studienergebnissen, die besagen, dass Frauen durchschnittlich bis zu sieben Anläufe benötigen, um sich aus einer Gewaltbeziehung zu lösen. Trennungen seien oft nicht ohne Weiteres einfach möglich und würden Betroffenen viel abverlangen, so Wehinger. Denn Täter machen es ihren Opfern meist nicht einfach, sich aus der durch Gewalt geprägten Beziehung loszulösen. Diese seien laut Wehinger nämlich oft durch Dynamiken geprägt, welche sich durch Abhängigkeiten, Isolierung, Zwang, Drohung und Herabwürdigung auszeichnen würden.

„Oft ist das Lösen aus der Beziehung nicht einfach und es braucht einige Anläufe.“

Angelika Wehinger, Leiterin ifs Gewaltschutzzentrum

„Vielmals hören Frauen vom Gewalttäter immer wieder, dass ihnen ohnehin niemand glauben würde, sie bei einer Trennung die Kinder verlieren oder sie den Kindern den Vater wegnehmen würden“, führt Wehinger aus. Auch Aussagen der Täter wie „Es wird ein Leben ohne mich für dich nicht geben“ oder „Dich wird kein anderer haben“ seien dabei keine Seltenheit.

Auch das Umfeld der Betroffenen treibt den Ausstieg aus der Beziehung teilweise durch Reaktionen nicht zwingend voran. Von Familie und Freundinnen hören Opfer Sätze wie „Wieso trennst du dich nicht einfach, wenn es wirklich so schlimm ist.“ „Dieses victim blaming erschwert es den Betroffenen zusätzlich, sich aus Gewaltbeziehungen zu lösen“, so Wehinger.

Häusliche Gewalt geht also weit über körperliche Gewalt wie Schläge, Würgen, Stoßen oder Verletzungen durch Waffen hinaus. Auch soziale Gewalt, die sich in Form von Kontrolle oder Zerstörung von sozialen Beziehungen äußert, oder ökonomische Gewalt sind Formen der häuslichen Gewalt. Das kann sich durch das Eingrenzen von finanziellen Mitteln oder ein Arbeitsverbot äußern. In Sachen Finanzen herrscht leider immer noch keine Gleichberechtigung. In einer Befragung des Frauenzentrums Femail aus dem Jahr 2020 geben etwa zwölf Prozent der Frauen an, schon einmal in den Entscheidungen bezüglich der Familienfinanzen behindert worden zu sein, oder daran, selbstständig einzukaufen.

“Du bist nicht genug!”

Nicht nur die Beziehungsdynamik ist ein Hindernis für den Ausstieg. Opfer sind sich ihrer Betroffenheit darüber hinaus oft nicht bewusst. Laut der Geschäftsführerin Lea Putz-Erath von Femail erkennen viele Frauen nicht, dass sie betroffen sind. „Es kommen teilweise Frauen zu Femail in die Trennungsberatung und sind sich gar nicht bewusst, dass sie psychischer Gewalt ausgesetzt sind“, erzählt sie. Doch wie erkenne ich, ob ich Opfer von häuslicher Gewalt bin? Wenn einem etwas nicht richtig vorkomme, so Putz-Erath. Das können etwa manipulative Verhaltensmuster sein, wie dass der Partner verbietet, Freunde zu treffen, die Partnerin von Freunden isoliert und das Infragestellen der Wahrnehmung.

„Es kommen Frauen in die Trennungsberatung und sind sich gar nicht bewusst, dass sie psychischer Gewalt ausgesetzt sind.“

Lea Putz-Erath, Femail

Psychische Gewalt erfolgt also nicht durch Fäuste, sondern der Tatort ist das Gespräch. „Alles, was du machst, ist nicht gut genug und Erfolge werden kleingeredet. Man wird immer wieder als unfähig und dumm bezeichnet. Irgendwann glaubt man es als Betroffene selbst“, beschreibt Putz-Erath, wie unter anderem psychische Gewalt ausgeübt wird. In so einem Fall empfiehlt sie, dass Opfer sich an Selbsthilfegruppen wenden. In Vorarlberg etwa ist die Selbsthilfegruppe Sonnenblume eine mögliche Anlaufstelle für Frauen, die Opfer von seelischer und körperlicher Gewalt sind. Eine weitere Anlaufstelle ist die ifs-Gewaltschutzstelle, wo psychosoziale Begleitung und Unterstützung sowie rechtliche Beratung zur Verfügung gestellt werden. Dort werden die Hilfesuchenden über Handlungsmöglichkeiten, wie etwa eine Anzeige oder Strafverfahren informiert. Betroffenen können dann selbst über den nächsten Schritt entscheiden.

Prävention beginnt früh

Wehinger empfiehlt, Hilfe bei der Polizei zu ersuchen. „Wenn schon Gewalt passiert ist oder unmittelbar bevorsteht, muss die Polizei ein Betretungs- und Annäherungsverbot aussprechen“, erklärt sie. Dann muss die gefährdende Person die Wohnung verlassen und darf diese für zwei Wochen nicht betreten und sich der gefährdeten Person im Umkreis von 100 Metern nicht annähern. Darüber hinaus kann das Opfer durch die Beantragung einer Einstweiligen Verfügung beim Bezirksgericht einen längeren Schutz erlangen. Dann wird für mehrere Monate die Rückkehr in die Wohnung, die Kontaktaufnahme sowie die Annäherung an das Opfer verboten.

Damit es erst gar nicht so weit kommt, ist Prävention wichtig. Häusliche Gewalt entspringt unter anderem Machtgefällen. Gewalt ist ein Instrument, diese Machtverhältnisse aufrechtzuerhalten. Vorsorge ist schon im Kindesalter anzusetzen, wenn etwa durch Familie und Bildungseinrichtungen Geschlechterrollen vermittelt werden. Sensibilisierung für das Thema ist essenziell. Außerdem ist die Gleichstellung der Geschlechter eine Grundlage, um Gewaltbeziehungen entgegenzuwirken. Bei weniger Abhängigkeiten, wie etwa finanzielle, ist es für Frauen leichter, derartige Beziehungen zu beenden.

Anlaufstellen

Selbsthilfegruppe Sonnenblume: sonnenblumeshg@gmail.com

ifs Gewaltschutzstelle: +43 5 1755-535

Frauenhelpline gegen Gewalt: +43 800 222 555

Amazone: +43 5574 45 801

Femail: +43 5522 310 02

Schlussendlich liege trotz dieser Maßnahmen die Verantwortung aber bei den Tätern, so Wehinger. „Nur die Person, die die Gewalt ausübt, kann diese auch nachhaltig beenden.“ Auch diese können bei der Gewaltberatung Hilfe suchen.