Biden: Israel bekommt, was es zur Verteidigung braucht

18.10.2023 • 16:10 Uhr

US-Präsident Joe Biden hat nach dem Terrorangriff der islamistischen Hamas bei einem Kurzbesuch in Tel Aviv sein Mitgefühl mit Israel ausgedrückt. “Die Amerikaner trauern mit Ihnen”, sagte Biden am Mittwoch kurz nach seiner Ankunft bei einem Treffen mit Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu. Die USA würden dafür sorgen, dass Israel das habe, was es brauche, um sich zu verteidigen, betonte Biden. Netanyahu dankte Biden für seine “eindeutige Unterstützung”.

Der US-Präsident sagte, er sei “traurig und empört” über die Explosion im christlichen Al-Ahli-Arab-Spital im Gazastreifen. Nach dem, was er gesehen habe, sei diese “vom anderen Team” verursacht worden. In Folge der Explosion wurden mutmaßlich hunderte Menschen getötet und verletzt. Der Vorfall, der sich am Dienstag kurz vor Bidens Abreise aus Washington ereignete, verschärft die Spannungen in der Region dramatisch und befeuert Sorgen vor einer Ausweitung des Konflikts. Laut Nachrichtenagentur Reuters erklärte die Hamas, die USA folgten Israel “blind”. Später am Nachmittag erklärte Biden, der Kommentar zur Explosion sei auf Daten des US-Verteidigungsministeriums basiert. Der britische Premier Rishi Sunak hatte zuvor mitgeteilt, die britischen Geheimdienste würden “unabhängig Beweismaterial analysieren”.

Die von der islamistischen Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde machte die israelische Armee dafür verantwortlich. Israels Armee sprach hingegen von einer fehlgeleiteten Rakete der militanten Palästinenserorganisation Islamischer Jihad, die für das Unglück verantwortlich sei. Es fehle etwa an den für einen Luftangriff typischen Kratern. Das Lagebild spreche vielmehr dafür, dass Raketentreibstoff Feuer gefangen habe. Der überwiegende Teil der Schäden wäre demnach durch Treibstoff und nicht durch einen Raketensprengkopf entstanden. An Gebäuden in der Umgebung des Krankenhauses seien keine strukturellen Schäden beobachtet worden. Unabhängig waren die Informationen nicht zu überprüfen.

Der britische Außenminister James Cleverly forderte indes via Twitter (X) auf, auf Spekulationen zu verzichten: “Gestern Abend haben zu viele voreilige Schlüsse aus den tragischen Todesfällen im Al-Ahli-Krankenhaus gezogen. Ein falscher Schluss würde noch mehr Menschenleben in Gefahr bringen. Wartet auf die Fakten, berichtet sie klar und genau.” Es brauche “einen kühlen Kopf”.

Im Rahmen seines Treffens mit dem US-Präsidenten forderte Netanyahu die westliche Welt dazu auf, gemeinsam die Hamas zu besiegen. Das Massaker in Israel am 7. Oktober beweise, dass die Organisation das “reine Böse” verkörpere, sagte Netanyahu am Mittwoch bei seinem Treffen mit Biden. “Die zivilisierte Welt muss sich zusammentun, um die Hamas zu besiegen.” Er verglich die Hamas, die auch von EU und USA als Terrororganisation eingestuft wird, erneut mit den Nazis und dem Terrornetzwerk Islamischer Staat (IS).

Die Hamas habe in Israel schlimmste Verbrechen verübt, sagte Netanyahu. Frauen seien vergewaltigt worden, Soldaten enthauptet und Kinder ermordet. “Stellen Sie sich nur die Angst und Panik dieser kleinen Kinder vor, in ihren letzten Momenten, als sie von diesen Monstern in ihren Verstecken gefunden wurden”, sagte der israelische Regierungschef. “Wir werden die Hamas besiegen und diese schreckliche Bedrohung aus unseren Leben entfernen”, sagte Netanyahu. Biden sei als erster US-Präsident der Geschichte in Kriegszeiten nach Israel gekommen. “Dies ist zutiefst bewegend”, sagte Netanyahu. Es beweise, wie verpflichtet Biden sich persönlich dem jüdischen Volk und dem jüdischen Staat gegenüber sehe. “Danke, Mr. President, dafür, dass Sie Israel zur Seite stehen, heute, morgen und immer.”

Bei dem Angriff der Hamas am 7. Oktober seien die Menschen “abgeschlachtet” worden, sagte Biden. “Sie haben Übeltaten und Gräueltaten begangen, die ISIS etwas rationaler aussehen lassen”, sagte er. Man müsse bedenken, dass die Hamas nicht das gesamte palästinensische Volk vertrete und diesem nur Leid gebracht habe, sagte Biden weiter. Es sei auch notwendig, lebensrettende Kapazitäten zu fördern, um den Palästinenserinnen und Palästinensern zu helfen, die unschuldig in der Mitte des Konflikts gefangen seien. Zu den Menschen in Israel sagte Biden abschließend: “Ihr Mut, Ihr Engagement und Ihre Tapferkeit sind überwältigend (…). Ich bin stolz, hier zu sein.”

Nach eigenen Angaben hat Biden bei seinem Treffen mit Netanyahu auch “harte Fragen” gestellt. Es sei unter anderem über die Lage vor Ort gesprochen worden, die Sicherheitsbedürfnisse und Informationen bezüglich der US-Bürger, deren Schicksal noch unklar sei, hieß es via Twitter (X).

Während seines anschließenden Treffens mit dem Kriegskabinett heulten in der Stadt Sderot an der Grenze zum Gazastreifen die Sirenen, berichtete die linksliberale israelische Tageszeitung “Haaretz” in ihrem Online-Ticker. Demnach sagte Biden zu dem Kabinett, dass die Vereinigten Staaten “Israel weiterhin den Rücken stärken” würden, “wenn es darum geht, sein Volk zu verteidigen”. Am Nachmittag traf Biden auch den israelischen Präsidenten Yitzhak Herzog.

Im Anschluss an seinen Kurzbesuch in Israel wollte Biden ursprünglich nach Jordanien reisen, um mit dem palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas, Ägyptens Staatschef Abdel Fattah al-Sisi und Jordaniens König Abdullah II. im Zuge der Nahost-Krisendiplomatie zusammenzukommen. Jordanien habe das Treffen in Absprache mit der US-Delegation abgesagt, so Kirby. Abbas werde wegen einer dreitägigen Trauer nach der Explosion in Gaza nicht anreisen. Biden werde mit Abbas und Sisi auf dem Rückflug reden.

Terroristen im Auftrag der Hamas hatten am Samstag vor einer Woche im Zuge des überraschenden Großangriffes auf Israel ein Massaker an israelischen Zivilistinnen und Zivilisten in Grenzorten und auf einem Musikfestival angerichtet. Es war das schlimmste Blutbad der israelischen Geschichte. Mehr als 1.400 Menschen kamen dabei und bei weiterem Blutvergießen in den folgenden Tagen ums Leben. Mitglieder der Hamas verschleppten zudem mindestens 199 Menschen, darunter auch US-Bürgerinnen und US-Bürger. Die israelische Luftwaffe griff als Reaktion auf das Massaker Ziele im Gazastreifen an. Erwartet werden außerdem weitere militärische Schritte Israels gegen die Hamas.

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz ist unterdessen, von Israel kommend, in Kairo ein- und mit Präsident Sisi zusammengetroffen. Sisi warnte dabei, dass sich die Entwicklung im Nahen Osten nicht mehr kontrollieren lasse könne, wenn die Kämpfe zwischen Israel und Hamas weitergingen. Es sei nicht auszuschließen, dass sich die Auseinandersetzungen ausweiteten, sagte er. Sisi sagte außerdem, dass es keine Massenflucht der Palästinenser aus dem Gazastreifen nach Ägypten oder Jordanien geben dürfe. Er warnte vor einer militärischen Auseinandersetzung zwischen seinem Land und Israel, sollte sein Land Palästinenser aus dem Gazastreifen aufnehmen und auf der Halbinsel Sinai ansiedeln. “Der Sinai würde dann die Basis für weitere Angriffe gegen Israel”, sagte Sisi. “Israel wird sich dann bestimmt wehren.” Die Folge dürften Angriffe auf ägyptisches Territorium sein. Deshalb sei eine Evakuierung der Palästinenserinnen und Palästinenser aus dem Gazastreifen nach Ägypten unmöglich. Ägypten ist das einzige arabische Nachbarland Israels, das an den Gazastreifen grenzt.

In einer gemeinsamen Pressekonferenz sagte Scholz Sisi deutsche Hilfe bei den Bemühungen um eine Freilassung der von der Hamas entführten Geiseln zu. “Wir bemühen uns nach Kräften, ihre Freilassung zu erreichen”, so der deutsche Kanzler. Später betonte er, eine solche Freilassung müsse “ohne Bedingungen” geschehen. “Diese berührenden Gespräche, die ich mit einigen der Angehörigen führen kann, haben mich noch mal in dieser Priorität sehr bestärkt.”

Scholz dankte Sisi für seine Bemühungen um Deeskalation und Vermittlung im Krieg zwischen der Hamas und Israel. Zudem forderte er rasche humanitäre Hilfe für die Menschen im abgeriegelten Gazastreifen. “Die Palästinenser sind nicht Hamas. Und die Hamas hat kein Recht, für die Palästinenser zu sprechen”, betonte Scholz. Deutsches Ziel sei es, die Zivilistinnen und Zivilisten in dem Küstenstreifen zu schützen und etwas gegen das menschliche Leid zu tun. Es müsse so schnell wie möglich einen humanitären Zugang zum Gazastreifen geben. “Die Menschen dort brauchen Wasser, Nahrung und Medikamente”, sagte Scholz. Der Kanzler versicherte dem ägyptischen Staatschef: “Wir lassen die Menschen nicht allein. Die Bundesregierung wird ihr humanitäres Engagement für Gaza fortsetzen, um das Leid der Zivilbevölkerung zu lindern.”