Vorarlberg

Wie Rollenstereotype Kinder prägen und den Fachkräftemangel beeinflussen

02.09.2025 • 09:28 Uhr
Wie Rollenstereotype Kinder prägen und den Fachkräftemangel beeinflussen
Die Autoren des Buchs “Die Rosa-Hellblau-Falle” Sascha Verlan und Almut Schnerring Hartinger

Geschlechterklischees prägen schon Kinder und verstärken den Fachkräftemangel. Warum Gleichstellung noch so fern ist und wo Veränderungen ansetzen müssen.


Von Gleichstellung der Geschlechter ist die Gesellschaft noch weit entfernt. Geht der Trend so weiter, soll diese noch lange nicht erreicht sein, erklären Sascha Verlan und Almut Schnerring. Geschlechterklischees prägen dabei schon früh das Denken: Kinder übernehmen sie unbewusst, weil sie antrainiert und von der Gesellschaft weitergegeben werden. Welche Folgen das für Fürsorgearbeit, Fachkräftemangel und das Zusammenleben hat, erzählen die Beiden im Gespräch mit der NEUEN.
Sascha Verlan ist Journalist, Autor und Radioregisseur. Er beschäftigt sich mit Geschlechterrollen, ihrer Reproduktion und den Auswirkungen auf die Care-Arbeit. Gemeinsam mit seiner Partnerin Almut Schnerring, Kommunikationstrainerin und Journalistin, hat er das Buch „Die Rosa-Hellblau-Falle. Für eine Kindheit ohne Rollenklischees“ geschrieben und 2016 den „Equal Care Day“ ins Leben gerufen. „Wir arbeiten und leben zusammen, haben also eine Equal-Care-Beziehung und ein Jobsharing“, erklärt Verlan.

Wie sie das Interesse am Thema fanden

Das Interesse für Gleichstellung begleitet die beiden seit Langem.

“Als Kommunikationstrainerin wurde ich oft angefragt, Frauen das richtige Kommunizieren beizubringen, um beruflich erfolgreich zu sein. Aber was ist schon die Norm?”

erzählt Schnerring.

Gerade an der Verteilung der Sorgearbeit werde deutlich, wie tief verankert Geschlechterrollen sind. Auch die nächste Generation wachse nicht wesentlich anders auf. Verlan: „In vielen Gesprächen mit Erziehern, Erzieherinnen oder Eltern merken wir, dass sich kaum etwas verändert hat.“

Wie Rollenstereotype Kinder prägen und den Fachkräftemangel beeinflussen
Verlan und Schnerring halten Workshops und Vorträge, auch außerhalb Deutschlands. Hartinger

Eigenes Verhalten und Verhältnisse ändern

Ihre eigenen Kinder, heute 19 bis 23 Jahren alt, haben sie für diese Muster sensibilisiert. Verlan und Schnerring fiel früh auf, dass ihr Sohn anders behandelt, wurde als seine Schwestern. Als die älteste Tochter im Kindergarten blaue Turnschuhe trug, wurde sie schnell auf die „Jungsschuhe“ hingewiesen. Typisch sind Zuschreibungen wie Rosa und Puppen für Mädchen oder Blau und Technik für Jungen. Auch Verlan und Schnerring selbst tappten als Eltern in Rollenfallen: „Wenn es eine Getränkekiste zu tragen gilt, denkt man automatisch an den Sohn. Dabei war die ältere Schwester damals viel stärker.“ so Verlan. Solche Alltagssituationen führten dazu, aktiv gegen Klischees vorzugehen.
„Ein weiterer Schritt, ist das Bemerken dieser Verhaltensmuster und die Selbstreflexion“ sagt Schnerring. Doch individuelles Umdenken allein reicht nicht:

„Das eigene Verhalten zu ändern, ist zum Scheitern verurteilt, wenn sich die Verhältnisse nicht ändern.“

Almut Schnerring

Deshalb wollen beide mit Büchern, Workshops und Vorträgen auf festgefahrene Strukturen der Geschlechterrollen aufmerksam machen. „Wir alle sind gefragt, uns selbst zu reflektieren, aber auch die Verhältnisse um uns herum“, betont Verlan.

“Die Rosa-Hellblau-Falle: Für eine Kindheit ohne Rollenklischees”

Wie stark Rollenbilder wirken, zeigt die „Rosa-Hellblau-Falle“: „Wir sind in eine Welt hineingewachsen, die großen Wert auf Unterschiede zwischen Mann und Frau legt, gegen das eigene Gefühl, dass wir alle sehr individuell sind“, erklärt Verlan. Diese verinnerlichten Regeln geben Erwachsene unbewusst weiter, an Kinder, ebenso wie an andere Erwachsene. „Wir merken es immer dann, wenn etwas untypisch für eine Frau oder einen Mann wirkt“, ergänzt Schnerring.

Die EU-Richtlinien schreiben Gleichstellung vor, die Realität sieht anders aus. Veränderung sei nur gemeinsam möglich, betonen die Beiden: „Nicht mit dem erhobenen Zeigefinger, sondern im Bewusstsein, dass wir alle in dieser Rosa-Hellblau-Falle sitzen und uns freikämpfen müssen.“ Niemand sei schuld daran, wir alle seien so sozialisiert worden. Wichtig ist, sich zu reflektieren und bewusst neue Wege zu gehen.

„Es ist wie beim Sport: üben, üben, und noch mehr üben“,

sagt Verlan.

Gerade Kinder seien dabei ein guter Spiegel: Sie erkennen Rollenklischees oft schneller, weil diese noch nicht so tief verankert sind. Deshalb sei es wichtig, bereits im Kindergarten mit ihnen ins Gespräch zu kommen.

Wie Rollenstereotype Kinder prägen und den Fachkräftemangel beeinflussen
Kinder bemerken häufig viel schneller, wenn jemand in ihrem Umfeld in die “Rosa-Hellblau-Falle” tappt. Hartinger

Wie Sprache den Fachkräftemangel beeinflusst

Neben Bildern in Büchern und Medien spielt Sprache eine zentrale Rolle. Wird ein Beruf nur in der männlichen Form, vorgestellt, reagieren Kinder stereotypischer. Werden beide Geschlechter genannt, entscheiden sie freier. Diese sprachlichen Muster wirken sich sogar auf den Fachkräftemangel aus. Berufsfelder wie Pflege und Erziehung sind stark weiblich dominiert, während in Mathematik und Naturwissenschaften Männer überwiegen. Hier liegt der Anteil des anderen Geschlechts jeweils unter 20 Prozent. „Wenn der Nachwuchs nur aus der Hälfte der Gesellschaft kommt, ist die Auswahl erheblich geringer“, erklärt Verlan. Die Folge: verstärkter Fachkräftemangel und auch persönliche Unzufriedenheit. „Wer in einem Beruf arbeitet, den er oder sie zwar gut ausführt, aber nicht ergreifen wollte, kann langfristig unglücklich werden.“, so Schnerring.

Soziale Medien und die Geschlechterrollen

Doch statt Fortschritten sei eher ein Rückschritt zu beobachten. Verlan verweist auf soziale Medien: Junge Männer, die sich Wimpern abrasieren, weil sie „zu weiblich“ sind, oder Frauen, die das Hausfrauenleben romantisieren, zu sehen im „Trad-Wife-Trend“. Wie groß der Einfluss sozialer Medien ist, sei noch schwer einzuschätzen, sagt Schnerring. „Aber vieles weist darauf hin, dass sie Treiber in die falsche Richtung sind.“

Wie Rollenstereotype Kinder prägen und den Fachkräftemangel beeinflussen
Auch die Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz auf Geschlechterrollen sind noch nicht klar. Hartinger

“Equal-Care-Day” am 29. Februar

Der Tag ist angelehnt an den 2008 entstandenen „Equal-Pay-Day“ an welchem aufgezeigt wird, dass Frauen nach wie vor, weniger verdienen, weniger Rente erhalten und weniger Vermögen erwirtschaften. Eine der Hauptursachen dafür, ist die ungleiche Verteilung der Sorgearbeit. Darauf soll der „Equal-Care-Day“ aufmerksam machen. Frauen übernehmen rund 80 Prozent der unbezahlten Sorgearbeit und haben dadurch weniger Zeit für Erwerbstätigkeit. „Eine faire Verteilung der Sorgearbeit löst zwar nicht alle Probleme, ist aber ein zentraler Ansatzpunkt gegen Geschlechterungerechtigkeit,“ betont Schnerring. Seit dem 29. Februar 2016 gibt es den Tag, auch, um Medien, einen Anlass zu geben, darüber zu berichten. Seither hat sich noch nicht allzu viel verändert. Die Berichterstattung sei gestiegen und auch das Bewusstsein zum Thema. Verlan: „Bei Frauen geht es um Geld und die damit einhergehende Unabhängigkeit und Selbstbestimmung in unserer Gesellschaft. Bei Männern geht es um Emotionen, Lebensglück und Lebenszeit.“ Viele Männer würden am Ende ihres Lebens bereuen, so wenig Zeit mit Familie und Kindern verbracht zu haben.
Wenn Fürsorgearbeit denselben Stellenwert hätte wie Erwerbstätigkeit, könnten alle profitieren: „Wer heute Care-Arbeit übernimmt, schadet sich langfristig: weniger Geld, weniger Zeit, mehr Überlastung“, so Verlan. „Wir hätten auch mehr Zeit für uns selbst, füreinander, letztlich tut die Vision, dass wir alle in einer gleichberechtigten Gesellschaft leben, uns allen gut“ ergänzt Schnerring.

Goldener Zaunpfahl

Sprache, Bilder in Büchern, Filme oder Werbung, überall greifen die gleichen Mechanismen. Auch heute bedienen viele Werbespots klassische Rollenklischees: Frauen stehen für Haushalt und Pflege, Männer für Bier, Grill oder Gartenarbeit. Um auf solche Stereotype aufmerksam zu machen, haben Verlan und Schnerring die Auszeichnung „Goldener Zaunpfahl“ ins Leben gerufen. Sie wird an besonders klischeebeladene Werbespots vergeben, um zu zeigen, wie hartnäckig sich solche Muster halten. Über Einsendungen, auch aus Österreich, freuen sich die Beiden.

Die „Rosa-Hellblau-Falle“ greift im Alltag häufiger, als zuerst vermutet. Gleichstellung der Geschlechter kann nur gemeinsam erreicht werden, nicht mit Fingerzeigen, sondern mit dem gemeinsamen Ziel vor Augen und viel Übung.

Wie Rollenstereotype Kinder prägen und den Fachkräftemangel beeinflussen
Gemeinsam als Gesellschaft und mit viel Übung kann gegen Rollenklischees vorgegangen werden. Hartinger