Vorarlberg

“Etwas tun, bevor ein Unfall passiert”

04.10.2025 • 11:30 Uhr
"Etwas tun, bevor ein Unfall passiert"
Familie Mairitsch muss die L60 ohne Schutzweg an einer schmalen und unübersichtlichen Stelle überqueren. Hartinger (8)

In Feldkirch-Nofels beklagen Eltern fehlende Schutzwege und gefährliche Situationen für ihre Kinder, während Stadt und Land auf Vorschriften verweisen.

Die Sorge um die Sicherheit ihrer Tochter hat Julia Mairitsch aus Feldkirch-Nofels zu einem drastischen Schritt veranlasst: Auf Facebook veröffentlichte sie ein Video, das zeigt, wie ihre Tochter Leonie am Straßenrand steht, die Hand hebt, aber von keinem Auto über die Straße gelassen wird. „Stellt euch vor, euer Kind steht morgens am Straßenrand – und kein Auto hält an“, schreibt sie dazu. Das Video wurde über 50 Mal geteilt und rund 14.000 Mal aufgerufen. In der Sebastian-Kneipp-Straße, einer Landesstraße, gebe es weder Schutzwege noch Markierungen, so Mairitsch. Schon im November 2024 habe sie gemeinsam mit anderen Eltern eine Beschwerde samt Video an die zuständigen Stellen geschickt, jedoch ohne Erfolg.

"Etwas tun, bevor ein Unfall passiert"

Lokalaugenschein

Die NEUE am Sonntag begleitet Julia Mairitsch und ihre Tochter Leonie auf dem Weg in den Kindergarten. Schon beim Verlassen der Wohnstraße müssen wir die Straßenseite wechseln, weil es auf einer Seite keinen Gehsteig gibt. Obwohl Leonie mit erhobener Hand gut sichtbar am Straßenrand steht, fahren Autos ohne anzuhalten vorbei. „Ich muss mich oft mitten auf die Straße stellen, damit die Kinder sicher auf die andere Seite kommen“, schildert die Mutter.

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Mit dem Kinderzügle von aks gesundheit wechseln sich die Eltern ab, um ihre Kinder sicher zum Kindergarten zu bringen.

Von Julia Mairitschs Nachbarin Sabine Amann erfährt die NEUE am Sonntag, dass auch ihre beiden Kinder täglich auf dem Weg zum Kindergarten dieser gefährlichen Situation ausgesetzt sind: „Es ist für uns unvorstellbar, unsere Kinder nächstes Jahr alleine zur Schule gehen zu lassen. Einerseits wird ständig betont, dass Kinder den Schulweg zu Fuß zurücklegen sollen – andererseits fehlt es an den nötigen Maßnahmen, um das auch sicher zu ermöglichen“, so die Nachbarin. Auch für Julia Mairitsch ist es keine Option, ihre Tochter ab dem nächsten Jahr alleine zur Schule gehen zu lassen: „So lange auf dem Schulweg so eine Verkehrssituation herrscht, würde ich mir dabei viel zu große Sorgen machen.“

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Die NEUE am Sonntag hat Familie Mairitsch auf dem Weg zum Kindergarten begleitet.

Ausweichroute

Der Gehsteig ist so schmal, dass nicht einmal zwei Kinderwagen aneinander vorbeikommen, ohne dass einer auf die Straße ausweichen muss. Wenig später verlassen wir daher den Gehweg und nutzen einen Trampelpfad über Privatgrund, der von vielen Familien als Ausweichroute genutzt wird. Direkt hinter uns folgt eine Schülergruppe diesem Weg.

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Bei Gegenverkehr wäre es einem Auto auf der schmalen Straße nicht möglich, ausreichend Abstand zum Gehsteig zu halten.

Reaktionen von Stadt und Land. Die Stadt Feldkirch verweist auf die Zuständigkeit der Bezirkshauptmannschaft, die für die Verordnung eines Schutzweges verantwortlich sei. Voraussetzung dafür sei aber eine bestimmte Anzahl querender Personen, was in der Sebastian-Kneipp-Straße jedoch nicht gegeben sei.

Die Abteilung Straßenbau des Landes wiederum argumentiert, dass das Verkehrsaufkommen auf der L 60 nicht außergewöhnlich hoch sei. Bei einer Zählstelle in der Nähe seien rund 5000 Fahrzeuge pro Tag in beide Richtungen erfasst worden. Im Vergleich dazu passiere auf der L 190 ein Vielfaches.

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Wegen der oft gefährlichen Situationen weichen die Familien zur Sicherheit auch auf Privatgrundstücke aus.

Fehlende Infrastruktur

„Viele Eltern verzichten ganz bewusst darauf, ihre Kinder zu Fuß gehen zu lassen, eben weil es hier keinen sicheren Übergang gibt“, erklärt Mairitsch. Das Argument, dass für einen Schutzweg eine bestimmte Anzahl querender Personen notwendig sei, greife zu kurz. „Die niedrige Frequenz ist nicht die Ursache, sondern die Folge fehlender Infrastruktur.“

Zudem sei Tempo 40 vorgeschrieben. „Ungeachtet dessen gilt für Kinder der ,unsichtbare Schutzweg‘. Das heißt, Fahrzeuge müssen auch ohne Schutzwegmarkierung stehen bleiben“, heißt es von offizieller Seite. Für die Einhaltung der Straßenverkehrsordnung sei aber die Exekutive zuständig. Wer Verstöße beobachte, solle sich an die Polizei wenden.

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Bei Gegenverkehr ist der Bus gezwungen, zum Teil auf den Gehsteig auszuweichen.

Auch zum Thema Radarmessungen gab es bereits Reaktionen. Eine Kontrolle wurde nach Mairitschs erster Beschwerde von der Polizei durchgeführt, allerdings am Nachmittag. Für die betroffenen Familien ist das unzureichend. „Die Kinder sind am Morgen unterwegs, wenn der Pendlerverkehr rollt. Dass man ,nur‘ 5000 Fahrzeuge pro Tag zählt, ist kein Argument. Entscheidend ist die Situation in der Früh“, kritisiert Mairitsch.

Die besorgte Mutter fordert eine erneute Prüfung der Situation unter besonderer Berücksichtigung der Schutzbedürftigkeit von Kindern, kurzfristige Maßnahmen wie Fahrbahnverengungen, Hinweisschilder oder temporäre Markierungen sowie einen klaren Willen, gefährliche Situationen zu entschärfen, bevor ein Unfall passiert.

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Leonie wird täglich von Erwachsenen zum Kindergarten begleitet, damit sie dort sicher ankommt.