Selbständig in einer männlich dominierten Branche: Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Warum entscheiden sich Architektinnen für die Selbstständigkeit und wie erleben sie ihren Berufsalltag? Die NEUE am Sonntag hat mit vier Frauen gesprochen, die ein Architekturbüro gegründet haben und ihren Blick auf Chancen, Hürden und notwendige Veränderungen teilen.
Die Wege in die Selbstständigkeit sind unterschiedlich, die Herausforderungen oft ähnlich. Die Architektinnen Helena Weber, Catharina Fineder, Heike Schlauch und Nina Beck – alle haben ihr eigenes Büros gegründet – sprechen über fachliche Anerkennung, Rollenbilder im Wandel und Rahmenbedingungen, die den Weg in die Selbstständigkeit ermöglichen oder erschweren.

Wann und warum haben Sie sich selbständig gemacht?
Helena Weber: Nach einigen Jahren Tätigkeit in Architekturbüros in Berlin, Graz, Málaga und Dornbirn habe ich mich 2008 in Dornbirn als Architektin selbständig gemacht. Seit 2021 führe ich gemeinsam mit Philipp Berktold das Architekturbüro BERKTOLD WEBER Architekten. Die Selbstständigkeit ermöglicht es mir, architektonische Projekte eigenverantwortlich zu realisieren und die Themen und Aspekte der Baukultur aufzugreifen, die ich für relevant halte.
Welche Erfahrungen haben Sie als selbständige Architektin im beruflichen Alltag gemacht – auch in Situationen, in denen Geschlechterrollen spürbar wurden?
Weber: Wie in allen Berufen gibt es auch als Architektin positive und herausfordernde Situationen. In Bezug auf Geschlechterrollen habe ich persönlich keine gravierenden Unterschiede festgestellt. Die Akzeptanz hängt schlussendlich von der fachlichen Expertise ab und das Vertrauen in die eigene Arbeit muss man sich stets erarbeiten.
Welche strukturellen und gesellschaftlichen Veränderungen wären Ihrer Meinung nach notwendig, damit mehr Frauen langfristig Architekturbüros gründen?
Weber: Das Potenzial von Frauen in der Architektur ist enorm und aus gesellschaftlicher Perspektive von großer Bedeutung. Die gebaute Umwelt prägt unseren Alltag und unsere zukünftigen Lebensräume –deshalb sollten vielfältige Perspektiven in Planungs- und Entscheidungsprozesse einfließen. Frauen bringen Aspekte und Sichtweisen ein, die zu ganzheitlichen und qualitativ hochwertigen Lösungen beitragen. Wie in vielen anspruchsvollen Berufen bleibt die Vereinbarkeit von Beruf und Familie eine zentrale Herausforderung – besonders in der Selbstständigkeit, wo Projektverläufe schwer planbar sind, Arbeitszeiten stark variieren und organisatorische Anforderungen umfangreich sind. Deshalb braucht es strukturell verlässliche Rahmenbedingungen, die dabei unterstützen, ein Architekturbüro zu gründen und langfristig zu führen. Auf gesellschaftlicher Ebene bin ich zuversichtlich, dass ein Umdenken längst begonnen hat und gelebt wird – hin zu einer Selbstverständlichkeit, dass Frauen in der Selbstständigkeit und in Führungsrollen präsent und erfolgreich sind. Dennoch liegt noch ein Weg vor uns, und es braucht weiterhin Engagement, Bewusstsein und unterstützende Strukturen, um echte Gleichstellung nachhaltig zu verankern.

Wann und warum haben Sie sich selbständig gemacht?
Catharina Fineder: Räume und ihre Wirkung auf Menschen haben mich immer fasziniert. Um Atmosphäre und soziale Dynamiken bewusst gestalten zu können, habe ich mich 2009 selbständig gemacht. Die Selbstständigkeit ermöglicht mir, Projekte ganzheitlich zu entwickeln und räumliche Qualität präzise umzusetzen.
Welche Erfahrungen haben Sie als selbständige Architektin im beruflichen Alltag gemacht – auch in Situationen, in denen Geschlechterrollen spürbar wurden?
Fineder: Geschlechterrollen werden etwa in Verhandlungen, auf Baustellen oder in Gestaltungsbeiräten sichtbar, wo Frauen fachliche Positionen oft klarer vertreten müssen. Bauherrschaften schätzen insbesondere meinen dialogorientierten Zugang und den Blick auf die Bedürfnisse der Nutzer*innen – eine Arbeitsweise, die mir als Architektin häufig positiv rückgemeldet wird. Die Vereinbarkeit von Selbstständigkeit und Familie bleibt eine Herausforderung, die nach wie vor überwiegend Frauen zugeschrieben wird.
Welche strukturellen und gesellschaftlichen Veränderungen wären Ihrer Meinung nach notwendig, damit mehr Frauen langfristig Architekturbüros gründen?
Fineder: In meinen Augen ist wichtig, dass das Bewusstsein für die umfassende Leistung von Architektinnen und Architekten wächst. Planung bedeutet viel Verantwortung und wirtschaftliches Risiko – und gute Honorare sind die Voraussetzung, um diese Qualität leisten zu können. Wesentlich ist auch ein fairer Zugang kleiner und weiblicher Büros zu Wettbewerben. Entscheidungsträger spielen hier eine zentrale Rolle: Vielfalt in der Architektur entsteht dort, wo unterschiedliche Perspektiven wahrgenommen und aktiv einbezogen werden.

Wann und warum haben Sie sich selbständig gemacht?
Heike Schlauch: Ich habe seit jeher freiberuflich und später selbständig gearbeitet. Zur Bürogründung kam es im Jahr 2001 gemeinsam mit Robert Fabach, nachdem erste Projekte an uns herangetragen wurden. Seit 2013 führe ich mein Büro alleine.
Welche Erfahrungen haben Sie als selbständige Architektin im beruflichen Alltag gemacht – auch in Situationen, in denen Geschlechterrollen spürbar wurden?
Schlauch: Den beruflichen Alltag in Vorarlberg erlebe ich persönlich als relativ frei von Geschlechterkonflikten. Mit Handwerkern und auf der Baustelle gibt es keine Schwierigkeiten. Es ist eher die emotionale Unreife „gleichgestellter“ Männer, die diese als Dominanz auszuleben versuchen. Seit ich diese narzisstischen Ansätze durchschaue, kann ich Grenzen setzen.
Welche strukturellen und gesellschaftlichen Veränderungen wären Ihrer Meinung nach notwendig, damit mehr Frauen langfristig Architekturbüros gründen?
Schlauch: Meiner Meinung nach ist es nur das Ende des Patriarchats, das sowohl Frauen als auch Männern bessere Rahmenbedingungen für ein ausgewogeneres Leben bieten kann. Weiter ist zu hoffen, dass auch in unserem Job zeitraubende Arbeit automatisiert werden kann. Dann werden auch mehr Frauen die Möglichkeit haben, sich selbständig zu machen.

Wann und warum haben Sie sich selbständig gemacht?
Nina Beck: Ich habe im Jahr 2022 meine Prüfung zur Ziviltechnikerin abgelegt und mich im Jänner 2023 selbständig gemacht. Zuvor war ich mehrere Jahre in einem renommierten Architekturbüro als Projektleiterin tätig, das seinen Fokus auf hochwertigen Neubau legt. Mit der Zeit habe ich jedoch gemerkt, dass mich andere Fragen immer stärker beschäftigt haben. Was passiert mit all den bestehenden Gebäuden? Was bedeutet es für die Zukunft, wenn kaum noch bebaubarer Grund vorhanden ist? Wie wird sich Architektur verändern und wie können wir jungen Architektinnen und Architekten darauf Antworten finden?Diese und viele weitere Überlegungen haben mich schließlich ermutigt, den Schritt in die Selbständigkeit zu wagen. Schon kurz nach der Gründung meines Büros habe ich mit meiner oft klaren und direkten Art gemerkt, dass ich mit diesen Fragen nicht alleine bin. Städte, Gemeinden, Private, eigentlich jede und jeder, beschäftigt das. Die Antworten darauf sind nicht vollständig gefunden und werden es wahrscheinlich auch nicht, aber es ist Teil unseres beruflichen Alltags, uns intensiv damit auseinanderzusetzen und mit jedem Projekt erneut die Herausforderung anzunehmen, einen Schritt näher an die Antworten zu gelangen.
Welche Erfahrungen haben Sie als selbständige Architektin im beruflichen Alltag gemacht – auch in Situationen, in denen Geschlechterrollen spürbar wurden?
Beck: Als selbständige Architektin bewege ich mich oft in Strukturen, die historisch eher männlich geprägt sind. Auch in Arbeitsgruppen, politischen Gremien oder Gestaltungsbeiratssitzungen bin ich häufig die einzige Frau unter vielen Männern. Im Alltag und in diesen Sitzungen gibt es Momente, in denen man spürt, dass Kompetenz erst bestätigt werden muss, bevor sie selbstverständlich anerkannt wird. In meinem Fall würde ich sagen, dass meine Größe, meine Lautstärke und meine klare Meinung oft helfen und manchmal sogar benötigt werden. Gleichzeitig erlebe ich immer mehr, wie stark Authentizität und Empathie wirken. Wenn empathisch und authentisch kommuniziert wird, entsteht Vertrauen, unabhängig von Rollenbildern. Offenheit, Gespräche und Begegnungen auf Augenhöhe sind keine Nebensächlichkeiten, sondern zentrale Werkzeuge, um Bauherrschaften und Projektpartnerinnen und -partner zu überzeugen und um Projekte wirklich voranzubringen. Manchmal braucht es Durchhaltevermögen, hin und wieder eine dicke Haut und oft auch Humor. Am Ende zählt, dass gute Architektur keine Frage des Geschlechts ist, sondern der Haltung, mit der man arbeitet und führt.
Welche strukturellen und gesellschaftlichen Veränderungen wären Ihrer Meinung nach notwendig, damit mehr Frauen langfristig Architekturbüros gründen?
Beck: Damit mehr Frauen den Schritt in die Selbständigkeit wagen, braucht es sicher noch viel Veränderung in Bezug auf die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, flexible Arbeitsmodelle und verlässliche Betreuungsstrukturen. In diesen Bereichen können andere junge Architektinnen sicherlich besser aus Erfahrung sprechen. Meine persönliche Meinung ist, dass vor allem mehr Sichtbarkeit von Frauen in Führungsrollen wichtig ist, nicht als Quote, sondern als Vorbildfunktion. In Bewerbungsprozessen wird immer deutlicher, dass sich Bewerbende bereits nach diesen Kriterien orientieren. Sie suchen bewusst nach Büros, die andere Hierarchien haben, andere Ideen verfolgen und auch weiblich geführt sind. Wenn klar wird, dass dies die Zukunft ist und neben Kreativität auch Empathie und Authentizität gefragt sind, entsteht ein Raum, in dem unabhängig vom Geschlecht Platz für alle Perspektiven und Visionen ist.