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„Mit volla Hosa isch guat stinka“

04.10.2020 • 13:00 Uhr
<span class="copyright">Klaus Hartinger</span>
Klaus Hartinger

Günther Wohlgenannt hat ein Buch über das Jassen geschrieben.

In Vorarlberg als Vorarlberger ein Buch über das Jassen zu schreiben, wirkt auf den ers­ten Blick wie Eulen nach Athen zu tragen. Aber eben nur auf den ersten Blick. Deshalb rentiert sich in diesem speziellen Fall ein zweiter und auch noch ein dritter Blick. Für gelernte Vorarl­berger ist Jassen mehr als ein Kartenspiel. Es ist Zeitvertreib, Sozialisation, Weltanschauung, Gemütlichkeit, Lebensfreude, Freundschaftspflege, Selbstverständnis und noch vieles mehr. Das Spiel scheint sich in die die Genetik des Vorarlbergers regelrecht eingebrannt zu haben.

Kulturgeschichte

Günther Wohlgenannt hat nun ein Buch dazu geschrieben. Es hat den schlichten Titel: „Jassen in Vorarlberg“. Aber die Schlichtheit täuscht. Beim Lesen des Untertitels „Mehr als 33 Spiele mit Jasskarten“ ahnt der geneigte Leser bereits, dass das nicht nur ein Buch über das beliebteste Spiel im Ländle ist. Es ist eine Kulturgeschichte über das Kartenspiel im Allgemeinen und eine Zusammenfassung all der unterschiedlichen Varianten und Spielarten dieses hochkomplexen und dann doch wieder so einfachen Spiels. Einfach vor allem in der Grundausstattung: 36 Karten und vier Farben. Ein Pack Jasskarten ist oft kleiner als ein Smartphone. Mehr braucht es nicht.
„Wir in Vorarlberg sind ja wahnsinnig verwurzelt mit dem Jassen. Es ist DAS Spiel der Vorarlberger. Bei genauerer Betrachtung ist mir aber aufgefallen, dass es kein umfassendes Buch über das Jassen gibt.“
Früher war es so, dass das Spiel und seine Regeln von Generation zu Generation weitergegeben worden sind. „Heute ist das einfach nicht mehr so. Und wenn sich dann Fragen ergeben wie: Wie ist das jetzt, wenn man sieben Blatt weist, oder wie geht das mit dem Untertrumpfen? Da wollte ich einfach die Regeln zusammentragen und aufschreiben. Zudem war es mir ein Bedürfnis, die verschiedensten Spiele, die mit diesen Karten gespielt werden, und Variationen des Spiels aufzuzeigen.“

Günther Wohlgenannt hat ein Nachschlagewerk über das beliebte Kartenspiel geschrieben. <span class="copyright">Klaus Hartinger</span>
Günther Wohlgenannt hat ein Nachschlagewerk über das beliebte Kartenspiel geschrieben. Klaus Hartinger

Jasskodex

Wohlgenannt hat im Zuge seiner Recherchen die unterschiedlichsten Spielarten des Jassens kennengelernt. Es gebe nicht die in Stein gemeißelten Jassregeln. „Ich habe mir das ja zu Beginn so gedacht. Jetzt mach ich ein Jasserbuch, in dem die Regeln genau aufgeschrieben sind. So eine Art Kodex des Jassens. Und überall, wo ich war, haben mir die Menschen von unterschiedlichen Regeln erzählt. Und ich habe das Buch x-mal umgeschrieben. Bis ich draufgekommen bin, dass das Jassen nicht standardisiert ist.“
Nicht nur von Tal zu Tal wird anders gejasst. Sondern schon von Dorf zu Dorf gibt es Nuan­cen, die sich unterscheiden. „Am Ärgsten ist das im Bregenzerwald. In Schoppernau spielen sie anders als in Mellau und in Alberschwende anders als in Müselbach.“ Das zeigt, wie lebendig dieses Spiel ist und wie es sich im Laufe der Zeit weiterentwickelt hat. Deshalb ist es vor dem Spielen wichtig, dass man sich die Regeln, nach denen man spielt, ausmacht. Sonst kann es schnell zu Streitereien kommen. Generell gibt es ein wesentliches Merkmal, dass das Symptomatische fürs Jassen ist: Bei all den unterschiedlichen Varianten, und das sind Bauer und Nell.

Historie

Begonnen hat alles im Mittelalter. Die Kartenspiele kommen eigentlich von China und Korea. Dort ist der Ursprung, der etwa im 12. Jahrhundert liegt. Im 14. Jahrhundert sind dann die Karten auch in Europa langsam bekannt geworden. „Davor haben die meisten Würfel gespielt. Dann kamen die Karten und haben sich rasant verbreitet. Die Menschen haben immer gern um Geld und Wertsachen gespielt. Schon damals gab es viele, die sprichwörtlich Haus und Hof verspielt haben. Deshalb gab es auch immer wieder Spielverbote.“ Eines der ältesten im Land dokumentierten Spielverbote stammt aus dem Kloster Mehrerau. Und das galt für das Kloster selber und für die umliegenden Gebiete. „Denn die Klosterbrüder und die Äbte selbst waren oft selbst auch passionierte Spieler.“

Farbsysteme

In Europa haben sich dann unterschiedliche Farbsysteme entwickelt. Einerseits das Deutsche Blatt mit Eichel, Herz, Schelle und Laub. Dann das Französische Blatt mit Kreuz, Herz, Karo und Pik. Und dann gab es noch das italienisch-spanische Blatt mit Schwert, Kelch, Münze und Keule. Das Wort „Jas“ stammt aus dem Alt-Holländischen und heißt „Bauer“. „Somit ist es naheliegend, dass holländische Söldner das Spiel in unsere Region getragen haben. Davor hat man in unseren Breitengraden vor allem Karnöffeln gespielt, das als Vorläufer das Jassens gilt“, wie Wohlgenannt erzählt. Heute wird das Spiel mit den einfachdeutschen Jasskarten, dem sogenannten Salzburger Blatt gespielt, das seit 1850 bei uns gebräuchlich ist. Die unterschiedlichen deutschen Kartenbilder Eichel, Laub, Herz und Schelle stammen vom „Späten Albayrischen Bild“ ab.

Wohlgenannt "jasst" leidenschaftlich gerne. <span class="copyright">Klaus Hartinger</span>
Wohlgenannt "jasst" leidenschaftlich gerne. Klaus Hartinger

Weltberühmt in Vorarlberg

1794 wird das Jassen als Kartenspiel in der Bodenseeregion zum ersten Mal namentlich erwähnt. Das Spiel hat sich dann im Alemannischen sehr schnell verbreitet und etabliert. „Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass das Jassen für Vorarlberger durchaus auch etwas Identitätsstiftendes hat.“ Nicht zuletzt deshalb treffen sich „Exilvorarlberger“, wo auch immer sie sich gerade befinden, gern zu einem zünftigen Jass und ein, zwei hopfenhaltigen Erfrischungsgetränken. Nichts hilft angeblich besser gegen Heimweh. „Das Jassen ist tief in der Seele des Vorarl­bergers verankert“, wie Wohlgenannt überzeugt ist. „Vom Wesen her gibt es Unterschiede zwischen einem Schachspieler und einem Kartenspieler. Ersterer ist primär der Denker, und der Kartenspieler ist eher ein geselliger Mensch.“ Wobei das nicht ganz so eng gesehen werden darf. Beim Jassen braucht es eine ausgewogene Mischung zwischen Glück und Können. Wenn es nur Können ist, wird es akademisch, und nur Glück ist langweilig auf die Dauer. Geselligkeit ist ein wesentliches Merkmal beim Jassen. „Für mich ist das Jassen vor allem auch ein Ritual, um Freundschaften zu pflegen. Das sind dann oft sehr enge Verbindungen, die da über die Jahre hinweg entstehen. Das schweißt zusammen, und man ist im wahrsten Sinne des Wortes aufeinander eingespielt.“

„Für mich ist das Jassen vor allem auch ein Ritual, um Freundschaften zu pflegen.“

Günther Wohlgenannt, Autor

Ein Buch für Einsteiger und Connaisseure

Das Nachschlagewerk über das beliebteste Kartenspiel der Vorarlberger hat 296 Seiten und lässt kaum Fragen offen.
Das Jassen gehört zu Vorarlberg wie Riebel, Käsknöpfle oder der Bodensee. Viele Begriffe aus dem beliebten Kartenspiel sind aus dem heimischen Sprachgebrauch nicht mehr wegdenken.
Sei es nun das „Nochejassa“ ist oder das weitverbreitete „aus dem Schneider sein“. Viele dieser Redewendungen haben ihren Ursprung im Jassen beziehungsweise im Kartenspielen. Man denke nur an „Farbe bekennen“, „ein abgekartetes Spiel“ oder „alles auf eine Karte setzen“. In Wohlgenannts Buch gibt es viele dieser Verweise und Querverbindungen. Und wer immer schon einmal wissen wollte, wie Schwizera oder Kuahschwanza geht, der wird hier fündig. Aber auch Hundsfuda oder ein Muntafoner Jass werden ausführlich erklärt.
Zudem gibt es einen historischen Abriss, in dem die Geschichte und Herkunft des Kartenspiels im Allgemeinen und dem Jassen im Speziellen erzählt werden. So manch einer hat in seiner Jugend vom Vater oder Opa beim Mischen gehört: „Di schick ma uf an Mischlarkurs gi Müselbach“. Das so leichtfertig und lustig Dahergesagte hat eine tiefere historische Bedeutung. Denn Müselbach war um 1900 eine Jasserhochburg. Laut einem Eintrag im „Vorarlberger Volksblatt“ gab es dort ein Preisjassen um 16.000 Kronen. Das sind heute über 100.000 Euro.