Extreme Skeptiker und Leugner

Die Anti-Corona-Demos sind abgeflaut, die Szene ist aber nicht verschwunden.
Die Fallzahlen sinken, die Regierung verkündet weitere Lockerungen, die Lage scheint sich zu entspannen. Ist das das Ende der Verschwörungstheoretiker und Coronaskeptiker? Hat sich die Szene nach den Demonstrationen im Frühjahr in Luft aufgelöst? “Die einen haben den Verschwörungstheorien den Rücken gekehrt, weil langsam der Alltag zurückkehrt”, erklärt Ulrike Schiesser von der Bundesstelle für Sektenfragen. Die anderen seien dafür “umso radikaler” geworden.
Die Influencer der Szene wollen die Menschen bei der Stange halten, schüren die Unsicherheit und Ängste und greifen auf immer extremere Theorien zurück: “Schon seit über einem Jahr kündigen sie die große Katastrophe an, es passiert aber nichts. Sie müssen also ständig noch etwas und noch etwas nachschieben”, so Schiesser. Die Verbreitung von Theorien und Mythen nimmt dabei oftmals einen pseudo-religiösen Charakter an, beobachtet die Bundesstelle für Sektenfragen. “Innerhalb der Bewegung sind viele in der Esoterik und im fundamental christlichen Bereich verortet. Außerdem ist die Art und Weise, wie Verschwörer ihr Weltbild verbreiten, pseudo-religiös. Sie missionieren und leben in einer Parallelwelt.”

“Irre Mythen”: Wenn die Geimpften zur “Gefahr” werden
Das aktuell brennendste Thema in der Szene? Die Impfung. “Die Menschen glauben, dass Geimpfte gefährlich, schädlich und krankmachend für jene sind, die nicht geimpft sind.” Aussagen wie: “Wenn du dich impfst, lasse ich mich scheiden” kommen Schiesser bei der Stelle für Sektenfragen unter.
Auch Faktencheck-Experte Andre Wolf von der Recherche-Plattform “Mimikama” bemerkt, dass die Theorien zunehmend auf extremerer und emotionalerer Schiene fahren: “Wir haben derzeit irre Mythen, zum Beispiel, dass ungeborene Kinder sterben würden, wenn die schwangeren Mütter in Kontakt mit Geimpften kommen.”
Verschwörungstheorien rund um Impfungen sind keineswegs ein neues Thema, weiß Religionswissenschaftler Julian Strube: “Die Impfdebatte gibt es seit dem 19. Jahrhundert. Impfen wird von den Skeptikern als etwas identifiziert, das die Menschen auf industrielle und nicht natürliche Weise kaputtmacht.”

Perfekte Verschwörungstheorie
Generell kehren historisch gesehen immer ähnliche Themen wieder. “Es gibt Namen und Narrative, die immer wieder auftauchen, aber anders interpretiert und gerahmt werden”, so Strube. Das Feindbild der Skeptiker sind meist die Eliten – die dann schnell auf die Gruppe der Juden projiziert werden, sagt Wolf. Immer wieder tauchen “knallharte antisemitische Verschwörungsmythen” auf. “Eliten” würden etwa das Blut von Kindern trinken, um ewig jung zu bleiben. Historische Mythen gepaart mit aktuellen, realen Ereignissen ergeben die perfekte Verschwörungstheorie, so Wolf. “Man nimmt immer etwas, das real existiert, und baut es in das eigene Erzähluniversum ein, um seine Theorien zu begründen.”

Themen, die die Szene in Zukunft beschäftigen, sind laut Experten medizinische Technologien, der Klimawandel oder die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie. Ein “Trend”, den Sektenexpertin Schiesser erwartet, sind Schulabmeldungen. Im Umgang mit Menschen, die sich in diese radikalen Netze verstrickt haben, raten Schiesser und Wolf, sich Hilfe zu holen. Ungeschult könne man niemanden “bekehren”. Sektenbeauftragte könnten Betroffene begleiten und versuchen, zumindest eine gemeinsame Gesprächsbasis zu erhalten.