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Neue Aufrüstung weckt Erinnerungen an Kalten Krieg

29.03.2023 • 11:40 Uhr
Die Iskander-M-Raketensysteme können mit Nuklearsprengköpfen bestückt werden
Die Iskander-M-Raketensysteme können mit Nuklearsprengköpfen bestückt werden imago

Mit in Belarus stationierten Nuklearwaffen verfolgt der russische Präsident Wladimir Putin wohl eher taktische als militärstrategische Ziele.

Russlands Präsident Wladimir Putin verwies bei seiner Ankündigung, taktische Nuklearwaffen in Belarus zu stationieren, darauf, dass auch die USA bei Verbündeten in Europa Atomwaffen stationiert haben. “Wir machen nur das, was sie schon seit Jahrzehnten machen.” Der Hintergrund: Sowohl die Nato als auch die Sowjetunion haben im Kalten Krieg in verbündeten Staaten Nuklearwaffen stationiert. So hatte Moskau Sprengköpfe in der Ukrainischen Sowjetrepublik, erzählt Philipp Eder, Brigadier und Leiter der Abteilung Militärstrategie beim österreichischen Bundesheer. Gegen Sicherheitsgarantien gab Kiew diese 1994 an Russland zurück. Auch die Nato hatte und hat noch Atomwaffen in Europa stationiert, “allerdings”, so Eder, “wenn Sie sich die Karte anschauen, sehen Sie, das Ganze ist nicht weiter östlich als die Türkei, Deutschland, Belgien oder Italien”.

Taktische Atomwaffen

Taktische Atomwaffen haben eine geringere Reichweite als Interkontinentalraketen, aber auch noch mehrere Hundert Kilometer.

Entwickelt wurden sie für den Einsatz am Gefechtsfeld, etwa um die eigene Flanke zu schützen, indem man ein Gebiet so verstrahlt, dass ein Gegenangriff auf dieser Seite nicht möglich ist.

Vergleichbar mit Hiroshima und Nagasaki

Taktische Atomwaffen sind im Gegensatz zu strategischen für den Einsatz im Gefecht konzipiert. Sowohl Reichweite als auch Sprengkraft sind geringer. Die Wirkung ist unterschiedlich groß und kann zum Beispiel jener der Bomben, die Hiroshima und Nagasaki im Jahr 1945 zerstört haben, entsprechen.

Bis dato kam es zu keinem Einsatz solcher Waffen. Im Kalten Krieg wurde allerdings ein Einsatz von beiden Blöcken simuliert. Etwa in einem Szenario, indem der Warschauer Pakt die Nato angreift, und diese das Donautal “nuklear abriegelt” um die Flanke zu schützen und Zeit für die Mobilisierung von Truppen zu gewinnen.

Brigadier Philipp Eder warnt aber davor zu meinen, taktische Atomwaffen wären weniger kritisch als strategische: Wenn man die völkerrechtliche Schwelle zum Einsatz von Atomwaffen überschritten hat, ist es egal, ob diese mit strategischen oder taktischen überschritten wurde.

Im norditalienischen Aviano sind etwa 20 Atomwaffen gelagert – keine 70 Kilometer von der Grenze zu Kärnten entfernt. An der Grenze zu Russland gibt es dagegen keine Nuklearwaffen – wenn man die Türkei ausnimmt. Für die Nato-Osterweiterung vereinbarten die USA und Russland nämlich, dass in die ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten keine entsprechenden Systeme kommen.

Vieles deutet aber darauf hin, dass Russland in seiner Enklave Kaliningrad (zwischen Polen und Litauen) taktische Nuklearwaffen stationiert hat. Im Mai letzten Jahres haben russische Truppen dort einen entsprechenden Angriff simuliert. Es handelt sich dabei offenbar um dasselbe System, das nun in Belarus stationiert werden soll, sagt Eder.

Abgereichertes Uran

Ebenfalls ins Treffen führte Putin in seiner Argumentation die Ankündigung Londons, der Ukraine panzerbrechende Munition zu liefern, die abgereichertes Uran enthält. Laut Putin eine “Waffe mit nuklearer Komponente” also eine Art Atomwaffe, so die Implikation der Formulierung. Philipp Eder kann diesem Argument wenig abgewinnen: “Das eine hat mit dem anderen überhaupt nichts zu tun.” Tatsächlich wird mit Uran abgereicherte Munition wegen der hohen Dichte und damit hohen Sprengkraft eingesetzt. Die geringe Strahlung kann Haut oder Kleidung nicht durchdringen, das direkte Einatmen von Uranstaub kann allerdings Schäden verursachen.

Neue Aufrüstung weckt Erinnerungen an Kalten Krieg
Philipp Eder, Brigadier und Leiter der Abteilung Militärstrategie beim österreichischen BundesheerSonstiges

Der Militärstratege glaubt auch nicht, dass militärtaktische Überlegungen bei der aktuellen Nuklear-Rhetorik eine große Rolle spielen. Vor allem, weil eine Stationierung in Belarus die Reichweite im Vergleich zu jener von Kaliningrad nicht erheblich steigert. Vielmehr sei es eine Botschaft nach innen, das Demonstrieren von Stärke.

“Nukleare Teilhabe” als Abschreckung

“Aber Putin will auch Unsicherheit in Europa schüren.” So sollen die Ängste des Westens befeuert werden, letztendlich um die breite Unterstützung für die Ukraine zum Bröckeln zu bringen. Damit wiederhole Putin nicht nur seine bisherige Taktik, sondern auch die Geschichte – schon einmal hatte die Sowjetunion Nuklearwaffen auf dem Gebiet des heutigen Belarus stationiert, erzählt Eder.

Die Atommächte der Nato sind Großbritannien, Frankreich und die USA. Letztere sind es auch, die den europäischen Nato-Staaten ohne eigenes Atom-Arsenal im Rahmen der “Nuklearen Teilhabe” taktische Waffen zur Verfügung stellen. Philipp Eder glaubt, dass dies der entscheidende Grund sei, der Putin bisher von einem Angriff auf die baltischen Staaten abhielt und von Überfällen auf Nato-Staaten künftig abhält.