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Wächst Indien zum neuen Klimasünder Nummer eins heran?

23.04.2023 • 12:31 Uhr
In Sachen Bevölkerung lässt Indien China bereits hinter sich
In Sachen Bevölkerung lässt Indien China bereits hinter sich. Wird der Subkontinent auch Nummer eins beim CO₂-Ausstoß, wären alle internationalen Klimaziele Makulatur. Um zu verhindern, dass es so weit kommt, benötigt Indien aber Hilfe.AP

Indien löst China als bevölkerungsreichstes Land der Welt ab.

Wann genau es so weit (gewesen) ist, lässt sich nicht exakt sagen. Faktum ist: Entweder schon jetzt oder aber spätestens in der zweiten Jahreshälfte ist China nicht mehr das bevölkerungsreichste Land der Erde. Dieser Rang wird dem Reich der Mitte nach mehr als 200 Jahren von Indien abgelaufen, das nun bei rund 1,4 Milliarden Menschen hält. Und die Zeichen auf dem Subkontinent stehen vorerst weiter auf Wachstum. Die UNO erwartet, dass Indien bis Mitte des Jahrhunderts 1,7 Milliarden Menschen beherbergen wird, während sich die chinesische Bevölkerung weiter dezimiert.

Für Beobachter drängt sich da eine Frage förmlich auf: Wird Indien China über kurz oder lang nicht nur einwohnertechnisch, sondern auch beim Treibhausgasausstoß überflügeln? China hatte sich im Zuge seines Aufschwungs in den frühen 2000er-Jahren erstmals vor den USA an die Spitze der Nationen mit dem größten CO-Fußabdruck gesetzt. Und seither schienen die chinesischen Emissionen kein Halten mehr zu kennen. Mittlerweile stammt jede dritte Tonne an weltweit ausgestoßenem Kohlendioxid aus dem Reich der Mitte. Pro Kopf liegen die Chinesen heute mit rund acht Tonnen CO-Äquivalent im Jahr in etwa im Bereich der europäischen Staaten (allerdings nach wie vor deutlich hinter den USA mit rund 15 Tonnen).

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Wachstum ohne Emissionen?

In Indien dagegen ist das Wohlstandsniveau noch viel geringer. Laut Weltbank hat die Hälfte der Inder weniger als vier US-Dollar pro Tag zur Verfügung. Entsprechend hält Indien, obwohl insgesamt bereits drittgrößter Treibhausgasverursacher, bislang bei jährlich nicht mehr als zwei Tonnen CO-Äquivalent pro Kopf. Schwingt sich dieser Wert mit dem angepeilten Wachstum von Wirtschaft und Wohlstand auf chinesisches und europäisches Niveau empor, wäre das der Todesstoß für alle internationalen Klimaziele.

Dass es dazu kommt, glaubt Aniruddh Mohan allerdings nicht. Der Energiepolitikforscher am Center für Energie und Umwelt der US-Universität Princeton erwartet, dass Indiens Emissionsanstieg am Ende weniger dramatisch ausfallen wird wie der Chinas. “Erstens ist Indiens Wirtschaftsprofil anders – die Nachfrage nach Energie im verarbeitenden Gewerbe und in der Industrie wird nicht so schnell wachsen wie in China.” Zweitens, so Mohan, seien die weltweiten Beschränkungen der Umweltverschmutzung heute verbindlicher als während des Wachstums Chinas in den 1980er- und 1990er-Jahren.

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Kohle als Rückgrat

Bislang jedenfalls bezieht Indien laut der Internationalen Energieagentur (IEA) 70 Prozent seiner Elektrizität aus Kohlekraftwerken. Und wohl nicht zufällig war es just die Delegation aus Neu-Delhi, die bei der UN-Klimakonferenz 2021 in Glasgow im letzten Moment den Anstoß gab, dass die zuerst im Schlussdokument geplante Formulierung von einem weltweiten “Ende” der Kohleverbrennung auf ein “Zurückfahren” der Kohleverbrennung abgeschwächt wurde. Auch die Emissionen aus dem indischen Verkehrssektor wachsen wegen der steigenden Mobilität rasant.

Von einem raschen Rückgang des CO-Ausstoßes in Indien ist somit nicht auszugehen. Auch Mohan hält es für nicht wahrscheinlich, dass die Emissionen auf dem Subkontinent noch im laufenden Jahrzehnt ihren Höhepunkt erreichen. “Der Energiebedarf Indiens wächst stetig. Das bedeutet, dass beispielsweise der Ausbau der erneuerbaren Energien nicht unbedingt zu einer Verringerung der Emissionen führt, sondern lediglich den neuen Bedarf deckt.”

Finanzhilfe erforderlich

Die entscheidende Frage ist allerdings, was nach 2030 geschieht. Formal hat sich Indien gegenüber der UNO dem Ziel verpflichtet, bis 2060 klimaneutral zu sein. Von selbst wird der Staat das aber kaum schaffen. Nötig sei dafür internationale Finanzierung, sagt Mohan. “Ohne Zugang zu kostengünstigem Kapital wird Kohle in Indien wesentlich günstiger bleiben als saubere Energie.” Das wichtigste kurzfristige Ziel sei es, dass Indien in den 2030er-Jahren keine neuen Kohlekraftwerke mehr baut. “Unter den richtigen Bedingungen ist das machbar”, sagt Mohan.

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